Warum immer mehr Unternehmen in Mexiko produzieren

Mexiko-Stadt Vor einiger Zeit veröffentlichte der in Mexiko eher unbekannte Wirtschaftsverband AMPIP eine Zahl, die normalerweise im Nachrichtenfluss untergeht. Es ging um die Auslastung der Gewerbegebiete in der zweitgrößten Volkswirtschaft Lateinamerikas.

Aber dieses Mal hatte Sergio Argüelles, Präsident des Verbands der privaten Industrieparks (AMPIP), einen Rekord zu vermelden: 97 Prozent der Industrieparks waren im vergangenen Jahr belegt. Das sind ein Drittel mehr als noch 2021.

Argüelles sagte: „Die Entwicklung ist eine Folge davon, dass die internationalen Unternehmen ihre Produktionsstätten immer mehr nach Mexiko verlagern.“ Dabei entfiel fast die Hälfte der Ansiedlungen auf Produktionsstätten aus den USA. Nicht nur Firmen aus den USA verlagern ihre Produktionskapazitäten nach Mexiko, auch Unternehmen aus China und Europa wollen ihre Lieferketten dort effizienter und kürzer machen.

Vorangetrieben wird die Expansion im Wesentlichen vom Automobilsektor, von der Zulieferindustrie und zunehmend von der Konstruktion von E-Autos. Der E-Auto-Riese Tesla plant etwa eine Gigafactory nahe Monterrey im Norden des Landes. Auch deutsche Unternehmen bauen ihre Fertigungen in Mexiko aus.

„Nearshoring“ bezeichnet diese neue Entwicklung der Globalisierung, in der mehr Wert auf regionale Netzwerke gelegt wird. Man siedelt die Produktion deutlich näher an den Märkten der wichtigsten Handelspartner an.

Neue Regionalisierung ist Folge der Coronapandemie

Diese neue Regionalisierung ist Folge der Coronapandemie. Denn diese legte die Anfälligkeit langer Lieferketten offen, als Schiffe ihre Ladungen etwa nicht transportieren konnten, stockten Nachschub und vor allem Produktion.

Während der Transport aus China in die USA per Schiff oft zwei Wochen über den Pazifik braucht, sind die Waren von Mexikos Fertigungsanlagen meist nur ein paar Tage im Lkw bis auf den größten und wichtigsten Absatzmarkt der Welt unterwegs.

Hinzu kommen die Handelsspannungen zwischen den USA und China, die viele globale Unternehmen dazu bewegen, ihre Betriebe von Asien in Länder zu verlagern, wo sie vor eventuellen Handelssanktionen geschützt sind. Zudem können sie von den Vergünstigungen des USMCA (United States-Mexico-Canada Agreement) profitieren. Das USMCA erneuerte Ende 2018 die in die Jahre gekommene „Nordamerikanische Freihandelszone“ (Nafta) von 1994.

In dem Dreiländerabkommen sind die Lieferketten auflagenbedingt eng miteinander verflochten. Jedes Land steuert Rohstoffe und Komponenten bei, die in den Fertigerzeugnissen des jeweils anderen Landes verwendet werden.

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So sind beispielsweise in Mexiko montierte Autos in hohem Maße von Autoteilen abhängig, die in US-Fabriken hergestellt werden. Umgekehrt gilt das auch. Insgesamt bestehen 40 Prozent des Wertes der mexikanischen Exporte in die Vereinigten Staaten aus Teilen und Komponenten, die in US-Fabriken hergestellt werden, wie es in einem Artikel der „New York Times“ heißt. Bei chinesischen Exporten sind es demnach oft nur vier Prozent.

Trend zum Nearshoring

Der Trend zum Nearshoring werde sich „aufgrund der geopolitischen Bedingungen und der Neukonfiguration der Wertschöpfungsketten vermutlich verstärken“, prognostiziert José Manuel Salazar-Xirinachs, Generalsekretär der UN-Kommission für Lateinamerika und die Karibik (CEPAL). „Mexiko ist eines der Länder, das am meisten von diesen geopolitischen Veränderungen profitiert.“

Deutsches Unternehmen in Mexiko

Laut AMPIP gibt es weitere Beschäftigungsfelder für deutsche Firmen in Mexiko.

(Foto: imago/photothek)

Auch Zahlen belegen das Phänomen. Im vergangenen Jahr exportierte Mexiko laut „United States Census Bureau“ Waren im Wert von knapp 455 Milliarden Dollar in die USA. Im Vorjahr waren es etwa 16 Prozent weniger.

Und allein im ersten Quartal dieses Jahres stiegen die internationalen Direktinvestitionen nach Mexiko um 48 Prozent auf 18,6 Milliarden Dollar, wie Zahlen des mexikanischen Wirtschaftsministeriums zeigen. Schon 2022 war mit 35,3 Milliarden Dollar das beste Jahr seit 2015 (35,9 Milliarden) verzeichnet worden.

Mexiko liegt laut der „Konferenz der Vereinten Nationen für Handel und Entwicklung“ (Unctad) auf Platz elf der globalen Investitionsziele und ist die Nummer zwei in Lateinamerika hinter Brasilien. Die Lücke ist allerdings sehr groß. Brasilien sammelte vergangenes Jahr 86 Milliarden Dollar ein. Aber so viel kann man schon jetzt sagen: Dieses Jahr wird sich Mexiko ganz sicher um einiges verbessern.

Diese Woche erhöhte die Bank of America (BofA) die Wachstumsprognose für Mexiko. Das Bruttoinlandsprodukt werde dieses Jahr um 3,2 Prozent wachsen, prognostizieren die Ökonomen. Auch der mexikanische Peso steigt und steigt und hat allein im ersten Quartal 2023 um 12,27 Prozent gegenüber dem Dollar zugelegt.

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Dies alles wäre nicht möglich, wenn Mexiko nicht das richtige Investitionsklima und die richtigen Bedingungen hätte, zu denen auch das Angebot an qualifizierten Arbeitskräften und das USMCA gehörten. „Mexiko ist hochindustrialisiert mit Clustern in den Bereichen Luft- und Raumfahrt, Automobilbau, Software und Medizintechnik“, lobt Manuel Salazar-Xirinachs das nordamerikanische Land.

Weitere Möglichkeiten in Mexiko

Mexiko ist also längst mehr als nur die Werkbank der USA, wo Jeans genäht und Fernseher zusammengelötet werden. Mexiko ist heute in der Lage, Produkte mit einem hohen Grad an Wertschöpfung zu erzeugen. „Das Land hat eine hohe industrielle Reife erlangt“, fasst es Johannes Hauser, Geschäftsführer der Deutsch-Mexikanischen Industrie- und Handelskammer (AHK), zusammen.

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Und all das trotz der hohen Kriminalität und eines autoritären und innovationsfeindlichen Linkspräsidenten Andrés Manuel López Obrador. Gute Geschäfte lassen sich offensichtlich jenseits der sozialen und politischen Realität eines Landes machen. Das Land scheint beide Welten zu vereinen: einen von der organisierten Kriminalität gekaperten Staat, aber auch ein Land, das ein gutes Businessumfeld bietet.

Die Nachfrage nach Platz, Industrieparks und Fertigungsstätten steigt trotzdem weiter an, wie AMPIP-Chef Argüelles versichert. 40 neue Industrieparks seien in Planung. Laut der Investmentgesellschaft Templeton geht mehr als die Hälfte auf Unternehmen aus China zurück, gefolgt von italienischen Investitionen (13 Prozent) und deutschen Firmen (acht Prozent).

Leider seien das kaum Neuinvestitionen, sondern neue Werke beziehungsweise Erweiterungen bereits präsenter Firmen, erläutert Johannes Hauser. „Mit rund 2100 Unternehmen mit deutschem Kapital sind wir schon auf einem sehr hohen Niveau unterwegs, aber potenzielle neue Investoren sind derzeit sehr zögerlich.“

Hauser berichtet, dass von fünf geplanten Unternehmensdelegationen in diesem Jahr nur eine einzige auch tatsächlich nach Mexiko kam. „Allerdings ist die Bereitschaft der bereits angesiedelten Firmen aus Mittelstand und Großindustrie, ihre Kapazitäten auszuweiten, sehr groß“, unterstreicht der AHK-Chef.

Dabei gäbe es noch genügend Betätigungsfelder für deutsche Firmen, etwa beim Automobil-Boom bei den Komponentenzulieferern. Weitere Möglichkeiten böten sich in der Medizintechnik und dem Vertrieb im Maschinenbausektor, sagt Hauser.

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Auch die Agroindustrie könnte zukünftig ein Betätigungsfeld sein. Zumal sich die deutschen Unternehmen von der Unsicherheit in Mexiko nicht abschrecken ließen. Es sei vor allem ein Kostenfaktor für Prävention und Risikominderung. „Aber in der Abwägung zwischen Risiken und Chancen überwiegen definitiv die Chancen“, ist sich der AHK-Chef sicher.

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