Wisag-Chef zur Ukraine „Wir Unternehmer tragen Verantwortung“

Frankfurt Wisag-Chef Michael Wisser warnt, im Krieg in der Ukraine nicht die Fehler der Vergangenheit zu wiederholen. „Wer sich jetzt von den Handlungen und der Person Putins nicht distanzieren kann, für den ist in einer freiheitlichen Gesellschaft kein Platz“, sagt der Familienunternehmer im Interview mit dem Handelsblatt mit Blick auf den von Russlands Präsident Wladimir Putin befohlenen Angriffskrieg. Es sei nicht das erste Mal, dass Russland seine westlichen Nachbarn angreife. Anders als bisher müsse der Westen dieses Mal helfen, den Krieg zu stoppen.

Wisag, einer der größten Gebäudedienstleister Deutschlands und auch als Bodendienstleister an Flughäfen tätig, hat alle Aktivitäten mit Unternehmen, deren Eigentümer Russland zuzuordnen sind, eingestellt.

Der Sohn des Firmengründers Claus Wisser sieht in dem Konflikt gerade die Wirtschaft in der Pflicht: „Alle Unternehmen, die es wirtschaftlich verantworten und verkraften können, denen sage ich: Stellen Sie die Geschäfte mit russischen Unternehmen beziehungsweise Russland ein!“ Noch geschehe hier zu wenig, auch auf Seiten der IT-Riesen. „Warum werden die Cloud oder Office 365 nicht abgeschaltet? Das könnten diese Unternehmen wirtschaftlich doch sicher verkraften“, sagt Wisser: „Ich kann nur alle auffordern: Stoppt das!“

Denn das sei es, womit Putin nicht rechne. „Es ist jetzt der Zeitpunkt, der Welt und den autoritären und totalitären Systemen zu zeigen, dass es eine rote Linie gibt. Dass wir bereit sind, unsere Werte wie Freiheit und Demokratie zu verteidigen, auch wenn dabei unser Wohlstand leidet.“

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Lesen Sie hier das komplette Interview: 

Herr Wisser, hätten Sie jemals damit gerechnet, einen Krieg in Europa erleben zu müssen?
Nein, ich konnte mir das beileibe nicht vorstellen. Wenn ich mit meinen Eltern spreche, die entweder im oder vor dem Krieg geboren wurden, erlebe ich gerade, wie schlimm es ist, wenn die Erinnerungen von früher hochkommen. Ich glaube, wir können uns alle noch nicht wirklich vorstellen, was in der Ukraine gerade passiert.

Nun regt sich ja doch Widerstand gegen die Invasion, die Truppen scheinen langsamer voranzukommen als gedacht. Ist zu befürchten, dass Putin die Nerven verliert?
Rational ist das, was da gerade passiert, auch aus Sicht von Russland nicht zu erklären. Für mich agiert da jemand, der nichts mehr zu verlieren hat und trotz des wirtschaftlichen Niedergangs seines Landes kurz vor seinem eigenen Ende noch einmal ins Geschichtsbuch will.

Wie gefährlich ist diese Situation für Europa?
Ich habe wie alle in den letzten Wochen lernen müssen, dass nichts mehr ausgeschlossen werden kann. Aber ich persönlich halte einen Übergriff auf Nato-Gebiet für sehr unwahrscheinlich. Wir haben es allerdings mit einem Staatschef zu tun, der offensichtlich von einem großrussischen Reich träumt …

… das er im Zweifel versuchen wird, auch mit Atomwaffen zu erreichen?
Ich bezweifele, dass er so weit geht. Aber selbst wenn Herr Putin das in dem verzweifelten Versuch der Geschichtsschreibung ernsthaft erwägt, habe ich die Hoffnung, dass es innerhalb von Russland noch den einen oder anderen mit Einfluss, Verstand und den entsprechenden Möglichkeiten gibt, der das notfalls gewaltsam zu verhindern weiß.

Gibt es überhaupt eine schnelle Lösung in dem Konflikt?
Putin hat sich selbst verschuldet in eine Sackgasse manövriert, aus der man ihn selbst mit Diplomatie kaum herausbekommen wird, ohne dass er massiv an Gesicht verliert. Wie soll das gehen? Es ist für ihn auf der anderen Seite relativ ungefährlich, die Ukraine weiter anzugreifen und später zu okkupieren. Er weiß, dass die Nato die Ukraine militärisch nicht mit eigenen Truppen unterstützen wird. Aber es wird ihn wesentlich mehr Kraft und Reputation kosten, das Land danach unter Kontrolle zu halten. Von seinem eigenen Land angesichts der internationalen Sanktionen gegen Russland ganz zu schweigen.

Warum glauben Sie das?
Für Putin ist das Konzept der Freiheit nicht nachvollziehbar. Das Volk, das er regiert, hat seit Jahrhunderten keine echte Freiheit erleben dürfen. Das ukrainische Volk hat Freiheit kennengelernt. Jemandem etwas vorzuenthalten, was er nicht kennt, ist viel einfacher, als jemandem etwas wegzunehmen, was er kennen und lieben gelernt hat. Ich glaube, das unterschätzt Wladimir Putin.

Auch der Westen hat Fehler gemacht

Hat der Westen Putin zu lange nicht ernst genug genommen?
Vielleicht haben wir ihn in den ersten Jahren seiner Amtszeit zu sehr ignoriert. Vielleicht war es ein Fehler, nicht auf ihn zuzugehen, als er etwas verschmitzt – und wie ich glaube durchaus ehrlich – gesagt hat: „Vielleicht sind wir ja auch mal bei der Nato dabei.“ Es war wohl der Versuch einer Annäherung. Hier hat sich der Westen nicht mit Ruhm bekleckert. Das rechtfertigt aber in keiner Weise sein jetziges Handeln.

Sie haben jeden Einzelnen dazu aufgerufen, seinen Teil dazu beizutragen, diesen Krieg zu beenden. Was fordern Sie von unserer Regierung?
Von unserer Regierung habe ich seit gut einer Woche nicht mehr viel zu fordern. Ich gebe zu, das anfängliche Zögern bei der Frage, ob wir der Ukraine beispringen, konnte ich nur schwer nachvollziehen. Ich bin deshalb froh darüber, dass die Bundesregierung inzwischen realisiert hat, dass die Welt seit Kurzem eine andere ist und dass es Situationen gibt, in denen man mit selbst auferlegten Dogmen brechen muss. Die Bundesregierung will versuchen, die Folgen der beschlossenen Maßnahmen, die auf uns einprasseln werden, abzufedern. Mehr können wir von unserem Staat nicht verlangen.

Warum nicht?
Jeder Einzelne von uns ist nun gefragt, sich im Rahmen seiner Möglichkeiten zu engagieren. Unsere Familie hat über das Rheingau Musikfestival eine große Nähe zur Kultur. Die Entscheidung, den russischen Dirigenten in München zu entlassen, weil er sich von Putin nicht distanzieren möchte, ist dem Intendanten sicher nicht leichtgefallen.

In diesem Zusammenhang gilt mein Respekt aber auch Sportvereinen wie Schalke 04 oder den Frankfurter Löwen, die sich selbst in finanzielle Schwierigkeiten brachten, als sie sich von ihren russischen Werbepartnern trennten. Lassen Sie mich das an dieser Stelle ganz deutlich sagen: Wer sich jetzt von den Handlungen und der Person Putins nicht distanzieren kann, für den ist in einer freiheitlichen Gesellschaft kein Platz.

Gilt das auch für den SPD-Altkanzler Gerhard Schröder?
Das gilt auch für ihn. Ich würde mir immer noch wünschen, dass er sich endlich von Putin distanziert und seine Ämter in den russischen Konzernen niederlegt. Oder dass er zumindest die Nähe zu Wladimir Putin nutzt, um ihn glaubhaft und eindringlich davon zu überzeugen, den Krieg zu beenden. All das tut er nicht, und bald ist es dafür auch zu spät.

Es fällt mir schwer, das zu sagen. Unsere Familie hängt bekanntermaßen der Sozialdemokratie an. Gerhard Schröder hat viel für unser Land getan, insbesondere verdanken wir ihm die Arbeitsmarktreformen. Das befreit ihn aber nicht davon, dass er eine Vorbildfunktion hat, im Gegenteil. Er trägt den Titel Bundeskanzler a. D. und damit eine besondere Verpflichtung.

Protest gegen den Krieg in Frankfurt

Weltweit demonstrieren Menschen gegen den Krieg, den der russische Staatschef Wladimir Putin in der Ukraine begonnen hat.

(Foto: dpa)

Stichwort Verpflichtung: Kann ein Unternehmen angesichts der aktuellen Situation überhaupt noch Geschäfte in Russland machen?
Die Frage, so wie sie gestellt ist, möchte ich nicht beantworten, weil die Situation in den Unternehmen sehr unterschiedlich ist. Wenn eine Firma 1000 Mitarbeiter hat und nur Geschäfte mit Russland macht, maße ich mir nicht an, zu sagen, dass sie das nicht mehr machen dürfe. Das käme einer Insolvenz gleich.

Gerade haben Sie aber noch an die Verantwortung eines jeden Einzelnen appelliert …
… die natürlich auch für die Wirtschaft gilt. Alle Unternehmen, die es wirtschaftlich verantworten und verkraften können, denen sage ich: Stellen Sie die Geschäfte mit russischen Unternehmen beziehungsweise Russland ein. Je mehr wir den Geschäftsverkehr dort stoppen, desto mehr steigt der Druck auf Putin. Das ist eine große Chance.

Was meinen Sie damit?
Ich glaube, dass dieser Konflikt nur in Russland selbst beigelegt werden kann. Die Lösung kann nur sein, dass wir das russische Volk dazu ermutigen und im Zweifel auch durch Maßnahmen ermuntern, sich gegen den Krieg und ihren Machtapparat zu erheben, auch wenn ich weiß, dass das in Russland keinesfalls leicht ist. Wir betonen gerne die Vorzüge der Marktwirtschaft. Kennzeichen der Marktwirtschaft ist es aber, dass nicht alle Verantwortung beim Staat liegt. Wir Unternehmer und Unternehmen tragen auch Verantwortung. Wir sind es dieser Verantwortung schuldig, in der aktuellen Situation zu handeln. Jeder und jede im Rahmen seiner und ihrer Möglichkeiten.

>> Lesen Sie dazu: Sanktionsexperte Kluge: „Putin hat die Russen ihres Lebensstandards beraubt“

Machen die Unternehmen schon genug?
Nein. Es passiert viel, aber da geht noch viel mehr. Um nur Beispiele zu nennen: Russische Firmen können weiter auf die Cloud westlicher Anbieter zugreifen, Office 365 von Microsoft oder die Cloud-Produkte von Amazon oder SAP laufen nach wie vor, auch den Fernseher von Samsung gibt es noch überall.

Fordern Sie gerade die IT-Konzerne auf, ihre Dienste in Russland vom Netz zu nehmen?
Warum werden die Cloud oder Office 365 nicht abgeschaltet? Das könnten diese Unternehmen wirtschaftlich doch sicher verkraften. Warum löschen und beladen Häfen in Asien noch russische Schiffe oder Schiffe mit einem russischen Ziel? Ich kann nur alle auffordern: Stoppt das! Ich ziehe meinen Hut davor, dass BP viel Geld in die Hand nimmt, um die Beziehungen zu Russland zu kappen und hier für Hygiene zu sorgen.

Eine solche konzertierte Aktion der weltweiten Wirtschaft würde helfen?
Ja, weil es das ist, womit Putin nicht rechnet. In seinen Augen ist der Westen ein dekadenter Sauhaufen, der irgendwelche Pseudowerte vor sich herträgt, in dem aber jeder nur nach seinem persönlichen Wohlstand und seinem individuellen Profit strebt. Es ist jetzt der Zeitpunkt, der Welt und den autoritären und totalitären Systemen zu zeigen, dass es eine rote Linie gibt. Dass wir bereit sind, unsere Werte wie Freiheit und Demokratie zu verteidigen, auch wenn dabei unser Wohlstand leidet. Es gibt ja noch andere totalitäre Systeme, die nur darauf warten, gezeigt zu bekommen, wie die Ausweitung des eigenen Einflussbereichs funktioniert.

Wisag hat Geschäfte mit russischen Kunden beendet

Sie selbst haben Geschäfte mit russischen Kunden eingestellt. Um was geht es da?
Wir hatten Beschäftigte, die zum Teil auf Industriemontage in Russland tätig waren. Die haben wir zurückgeholt. Und wir haben sämtliche Aktivitäten mit Kunden, deren Eigentümer Russland zuzuordnen sind, eingestellt. Das sind etwa Immobilieneigentümer, oder es betrifft logistische Dienstleistungen für russische Kunden.

Um wie viel Umsatz geht es?
Das ist ein Volumen im zweistelligen Millionenbereich.

Sicher keine einfache Entscheidung für Sie?
Doch, die ist sehr einfach und sehr schnell gefallen.


Wisag beschäftigt Mitarbeiter aus vielen unterschiedlichen Kulturen. Das zu managen ist sicher nicht einfach in so einer Situation.
Wir beschäftigen auch russische Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Die Diskussion im Unternehmen ist nicht einfach. Es gibt alle möglichen Reaktionen, die von Unterstützung für den russischen Präsidenten bis hin zur Scham über das eigene Land reichen. Gott sei Dank sind Erstere aber Einzelfälle. Die meisten Russen, die sich bewusst entschieden haben, in anderen Ländern zu leben, haben eine breitere Perspektive auf das, was in ihrem Land passiert.

Sie wollen in Frankfurt für ein Jahr ein Hotel anmieten, in dem Flüchtlinge Unterkunft finden sollen. Ist das Hotel schon gefunden?

Ja. Wir arbeiten hier mit der Dormero-Gruppe zusammen, die der Unternehmerfamilie Wöhrl gehört. Herr Wöhrl wird uns dabei unterstützen. Es haben sich ganz viele gemeldet, die mitmachen wollen, auch aus anderen Bereichen wie Flixmobility oder die RTL-Stiftung „Wir helfen Kindern“. Es ist meiner Familie ein wichtiges Anliegen, dass wir den Menschen, die unverschuldet in so eine schwierige Situation geraten sind, helfen. Wir freuen uns sehr, dass wir jetzt beim Helfen Hilfe bekommen.

Herr Wisser, vielen Dank für das Interview.

Mehr: Familienunternehmer Ulrich Bettermann: „Ich verstehe Putin nicht.“

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