Warum Künstliche Intelligenz für Miele wichtig wird

Berlin Für Miele ist die IFA eine der wichtigsten Veranstaltungen des Jahres: Noch bis Dienstag präsentiert der Hausgerätehersteller die Produkte für das wichtige Weihnachtsgeschäft. Am Messestand ist digitale Technologie omnipräsent. So gibt es eine App, die Kunden mithilfe Künstlicher Intelligenz (KI) bei der Diagnose von Fehlern helfen soll.

Für den geschäftsführenden Gesellschafter Markus Miele, der sich auf Technologiethemen fokussiert, sind solche Funktionen keine Spielerei. Jüngere Kunden hätten „einen anderen Zugang zu Hausgeräten“, sagt er im Interview mit dem Handelsblatt. Zumal die Hilfe in der Küche oft nötig sei: „Das Wissen über das Kochen nimmt tatsächlich von Generation zu Generation ab.“

Bei allem Hochglanz am IFA-Stand: Für Miele sind die Zeiten nicht leicht. Nach der Sonderkonjunktur durch die Coronakrise läuft das Geschäft schlechter – und in Deutschland belasten die hohen Energiepreise die Wettbewerbsfähigkeit. „Wenn ein Standort in allem teurer ist, wird es schwierig“, mahnt Miele.

Lesen Sie hier das gesamte Familienunternehmer-Interview mit Miele:

Herr Miele, Ihre neuen Backöfen wählen für Lebensmittel automatisch die richtige Garzeit. Haben Ihre Kunden das Kochen verlernt?
Das Wissen über das Kochen nimmt tatsächlich von Generation zu Generation ab. Früher waren die Kinder stärker in den Haushalt integriert und haben mehr mitbekommen. Diese Lücke möchten wir füllen, damit die Ergebnisse genauso gut sind wie früher bei Mutter oder Großmutter. Zwar gibt es immer mehr Kochshows, die sind aber vor allem Unterhaltung, da lernen die Zuschauerinnen und Zuschauer wenig.

Die Vernetzung von Kühlschränken und Herden wirkt oft wie Spielerei.
Wir tun das, was einen wirklichen Mehrwert liefert. Ich kann bei unseren Geräten die Restlaufzeiten anzeigen lassen, Verbrauchsgüter wie Waschmittel nachbestellen, aber auch in der App schauen, wie weit der Auflauf im Backofen ist. Neu ist, dass das Gargut mittels Künstlicher Intelligenz automatisch erkannt und zubereitet wird. Das ist eine praktische Hilfe im Alltag, etwa wenn es schnell gehen soll.

Wäsche einfüllen und Geschirrspüler ausräumen muss man ja immer noch selbst.
Natürlich, aber vieles Weitere wird durch Vernetzung einfacher. Die entscheidende Frage ist: Was wollen die Kunden von morgen? Meine Kinder haben viel häufiger das Smartphone in der Hand als meine Generation – die haben auch einen anderen Zugang zu Hausgeräten. Sie fragen, ob das nicht alles noch etwas leichter geht. Deswegen brauchen wir immer mehr digitale Komponenten.

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Der Kühlschrank, der selbstständig Lebensmittel bestellt, ist nie Wirklichkeit geworden. Wie identifizieren Sie Trends, die tatsächlich relevant sind?
Es ist wichtig, dass man die Funktionen in der Praxis ausprobiert. Es gibt 200 Testhaushalte, wir in der Geschäftsführung zählen auch dazu. Darüber hinaus betreiben wir Forschung und Entwicklung. Die ist mittlerweile stärker datengetrieben. Viele Kunden geben uns außerdem die Zustimmung, dass wir die Daten aus den vernetzten Geräten pseudonymisiert verarbeiten dürfen.

Haben Sie ein Beispiel?
Für unsere Anwendung Smart Food ID nutzen wir Millionen Fotos aus Backöfen, um die Bilderkennung zu trainieren. In unserer Cloud sind alle Parameter für die Zubereitung von Pizza, Croissants und weiteren Gerichten hinterlegt. Zugleich erfahren wir, welches die beliebtesten Rezepte sind.

Einige Autohersteller kassieren für Zusatzfunktionen. Funktionieren solche neuen Geschäftsmodelle bei Hausgeräten?
In England testen wir die Akzeptanz von Smart Food ID als Bezahlmodell. Ob das erfolgreich ist, werden wir sehen. Was schon gut läuft ist der Verkauf von Zubehör über die App, wie Filter für Dunstabzugshauben oder Spülmittel für die Spülmaschine. Ähnliche digitale Geschäftsmodelle funktionieren auch im Profibereich. Das ist aber ein kleiner Anteil des Geschäfts.

Wie groß ist denn Ihr B2B-Geschäft?
Mit unserer Business-Unit Professional erzielen wir derzeit fast 15 Prozent unseres Gesamtumsatzes. Dort bündeln wir Wäschereitechnik, gewerbliche Spülmaschinen und Geräte für Arztpraxen, Kliniken und Labore.

Alle reden im Moment über KI. Wie wichtig ist die Technologie für Miele?
Hier stehen wir auch bei Miele noch am Anfang einer äußerst spannenden Entwicklung. Fakt ist: KI wird viele Bereiche unseres Unternehmens durchdringen, bei Produkten, im Wissensmanagement, im Service und natürlich in der Produktion.

Seit wann beschäftigt sich Miele denn mit Künstlicher Intelligenz?
Unser erstes Kochfeld mit einem neuronalen Netz haben wir vor sieben Jahren auf den Markt gebracht. Der Algorithmus stellt sicher, dass eingestellte Temperaturen unabhängig vom Kochgeschirr konstant bleiben. So brennen Speisen kaum noch an.

Wie hat sich Miele derartige Kompetenzen angeeignet?
Das geschieht überwiegend intern. Zum Beispiel entwickeln und produzieren wir die Elektronik für unsere Geräte seit Jahrzehnten selbst. Unsere Expertinnen und Experten kennen das Zusammenspiel zwischen den Geräten und der Software ganz genau. Das ist etwas anderes, als wenn Unternehmen diese Komponenten auf dem Weltmarkt zukaufen. Auf diesem Fundament haben wir 2016 die Einheit Smart Home/Electronics mit mehr als 1200 Beschäftigten gegründet. Darin bündeln wir auch viel KI-Know-how.

Wie viele Leute beschäftigen sich bei Miele mit KI?
Über alle Bereiche hinweg inzwischen mehrere Hundert. Das reicht von den Abteilungen für Forschung und Entwicklung über die IT, Smart Home bis zu unserem Digital Hub „Miele X“ in Amsterdam.

Geben Sie uns doch einen Blick ins Labor: Wie funktioniert die KI-gestützte Fehlerdiagnose, die Sie angekündigt haben?
Mit unserer neuen Funktion AI Diagnostics helfen wir Kundinnen und Kunden bei Störungen, die immer mal auftauchen können. Typisches Beispiel ist ein blockierter Wasserzulauf, der als Fehler F10 im Display oder in der App erscheint. Hier kann es mehrere Ursachen geben, die oft leicht zu beheben sind. Per Pushnachricht in der App zeigen wir die wahrscheinlichsten Lösungen an und geben eine Schritt-für-Schritt-Anleitung zur Lösung.

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Für so ein Szenario braucht es aber keine KI. Was bemerkt der Algorithmus früher als der Mensch?
Ein Beispiel ist die vorausschauende Wartung. Menschen tendieren dazu, das Waschmittel überzudosieren. Abhängig von Gerätetyp, Alter der Maschine und Waschverhalten können wir mit KI-basierter Auswertung von Sensordaten voraussagen, dass der Ablaufschlauch wegen übermäßiger Schaumbildung zu verstopfen droht. Eine Empfehlung auf dem Smartphone kann dann beispielsweise sein, die Dosierung zu ändern oder ein Waschprogramm mit höherer Temperatur zu starten. Das ist dann die nächste Ausbaustufe von AI Diagnostics.

Und in der Produktion?
In der Produktion automatisieren wir beispielsweise die Prüfung von Oberflächen – nichts ist langweiliger, als weiße Vorderwände mit bloßem Auge zu beurteilen. Stattdessen nehmen 32 Kameras das Material aus verschiedenen Winkeln und bei wechselnden Lichtverhältnissen auf. Wir mussten viel experimentieren, aber jetzt ist die Technik reif für den Serieneinsatz. Das Gute ist: Die Lösung ist skalierbar und wir werden sie auch für Backofenfronten oder Staubsaugergehäuse nutzen.

Bei der Digitalisierung konkurriert Miele mit globalen Technologiekonzernen wie Bosch und Samsung. Wie wollen Sie mithalten?
Die Investitionen für Künstliche Intelligenz steigen, die Teams wachsen. Wir haben vielleicht nicht ganz so viel Budget wie manche Wettbewerber, können aber unser Geld sehr fokussiert und flexibel einsetzen. Uns geht es nicht darum, unbedingt immer der Erste zu sein, sondern bei Qualität und Performance der Beste.

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Die Vernetzung ist auch zentral für die Nachhaltigkeit: In der App können Verbraucher den Stromverbrauch mit anderen Haushalten vergleichen. Warum dieser Wettbewerb?
Viele Leute machen sich keine Gedanken um die Einstellungen ihrer Geräte. Natürlich gibt es Anwendungsfälle, für die man höhere Temperaturen braucht – wenn jemand zu Hause krank ist, sollte man bei 60 Grad waschen. Aber oft reichen 30 Grad aus. Wir wollen Kundinnen und Kunden helfen, die Vorteile umweltschonenden Verhaltens besser zu erkennen und zu nutzen.

Messestand von Miele auf der IFA

Nach der Sonderkonjunktur durch die Corona-Pandemie ist das Geschäft deutlich schwieriger geworden.

(Foto: Stefan Boness/Ipon)

Wo hoch ist das Einsparpotenzial?
Aktuell nutzen nur fünf Prozent unserer Kundinnen und Kunden das Eco-Programm ihrer Waschmaschine regelmäßig. Wenn wir den Anteil verdoppeln, wäre viel gewonnen: Wir könnten damit so viel CO2 einsparen, wie rund um die Produktion der Geräte entsteht. Das erfordert aber eine gewisse Umgewöhnung.

Da kann schnell der Eindruck entstehen, dass Sie die Kunden bevormunden wollen.
Das wollen wir unbedingt vermeiden. Das Interesse am Energiesparen ist groß, über 90 Prozent der Nutzerinnen und Nutzer unserer vernetzten Waschmaschinen und Geschirrspüler schauen aufs Consumption Dashboard, den digitalen Verbrauchsmonitor in unserer App.

Nachhaltigkeit ist derzeit fast das einzige Argument, das bei den Kunden zieht: Die Hausgerätebranche schrumpft. Welche Entwicklung erwarten Sie für die nächsten Monate?
Im Moment ist das Umfeld schwierig. Nach drei äußerst wachstumsstarken Jahren werden auch wir den Umsatz aus dem vergangenen Jahr wohl nicht erreichen können. Das hat zum einen mit dem Ende der Corona-Sonderkonjunktur zu tun, zum anderen mit dem allgemeinen wirtschaftlichen Umfeld infolge des Kriegs in der Ukraine. Wenn Baukosten und Zinsen steigen, bauen die Menschen weniger, kaufen weniger Küchen – und damit auch weniger Hausgeräte.

In Deutschland sind die Energiepreise eine zusätzliche Belastung.
Ja, und das trifft Konsumenten und Unternehmen. Deutschland ist seit jeher ein Hochlohnland – und jetzt sind auch noch die Energiekosten mit am höchsten.

Miele-Stand

„Just use eco“: Der Hausgerätehersteller wirbt für das Energiesparprogramm.

(Foto: obs)

Kann ein Industriestrompreis helfen?
Ich finde einen Industriestrompreis sinnvoll, um wieder mehr Wettbewerbsfähigkeit herzustellen. Wobei es natürlich noch besser wäre, wenn der Strompreis für alle deutlich fiele. Dafür müsste der Staat die hohen Abgaben reduzieren. Wenn ein Standort in allem teurer ist, wird es schwierig.

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Stellen Sie angesichts der hohen Kosten Investitionen in Deutschland infrage?
Nein. Ein großer Teil unserer Investitionen fließt traditionell in die Entwicklung neuer Gerätegenerationen sowie Umrüstung, Modernisierung und Ausbau der Produktion in unseren 15 Werken, davon acht in Deutschland. Richtig ist auch: In Deutschland sind tatsächlich eine besonders hohe Effizienz und ein hoher Automatisierungsgrad nötig, damit die Fabriken im Vergleich zu Standorten in anderen Ländern wettbewerbsfähig bleiben. Das ist durch hohe Energiepreise und Inflation nicht einfacher geworden.

Wo sind für Sie denn weitere Investitionsschwerpunkte in Deutschland?
Im Moment investieren wir zum Beispiel viel in Geothermie und Photovoltaik an unserem Standort in Gütersloh und darüber hinaus. Die Entscheidung haben wir übrigens schon vor der Gasmangellage getroffen, um weniger fossile Energie zu verbrauchen und stattdessen mehr regenerative Energie selbst zu gewinnen und zu nutzen.

Die Bundesregierung will die Wirtschaft um sieben Milliarden Euro entlasten und Bürokratie abbauen. Wie viel bringt Ihnen das?
Die Ankündigung haben wir noch nicht im Detail geprüft. Die Bürokratie ist aber ein großes Problem, da wüsste ich viele Punkte, bei denen man anfangen könnte. Photovoltaik ist so ein Beispiel: Wenn wir eine Anlage aufs Fabrikdach setzen möchten, dauert die Genehmigung länger als Beschaffung und Aufstellung. Es gibt viele Vorschriften, die das Wirtschaften schwierig machen und sich teils auch noch widersprechen. Das schränkt unsere Innovationskraft immer mehr ein.

Herr Miele, vielen Dank für das Gespräch.

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