Interview Johann Lafer zur Sternegastronomie

Düsseldorf Johann Lafer ist einer der bekanntesten Köche des Landes. Der 65-jährige Österreicher begann seine Laufbahn in Deutschland im Restaurant Hotel Schweizer Hof, dem Le Canard und kam als Patissier des Jahres 1981 zu Eckart Witzigmann ins Münchener Aubergine. In seinem eigenen Restaurant auf der Stromburg gelang es ihm, mit zwei Michelin-Sternen ausgezeichnet zu werden.

Bereits 1984 arbeitete er erstmals im Fernsehen, es folgen zahlreiche Formate und Sendungen. Derzeit arbeitet Lafer beim Start-up Starcook mit, das eine App mit Rezepten, einen Youtube-Kanal und eine Fernsehsendung umfasst. Beim Talentwettbewerb Next Chef Award, der auf der Internorga verliehen wurde, saß Lafer in der Jury.

Dass am Dienstagabend der wichtigste deutsche Gastronomieführer Guide Michelin eine Rekordzahl an Sternerestaurants auszeichnete, freut ihn einerseits. Andererseits sorgt er sich um die gehobene Küche in Deutschland – vor allem wegen des Personalmangels. „Viele Köche und Servicekräfte haben in anderen Branchen sehr schnelle Erfolge erzielen können, da der Dienstleistungsgedanke in deren DNA verankert ist. Das hat vieles verändert“, sagte Lafer.

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Herr Lafer, Sie haben zu Beginn Ihrer Karriere im Aubergine von Eckart Witzigmann gearbeitet. Die Hochküche ist berüchtigt für ihren fast militärischen Drill, rauen Umgangston und lange Arbeitszeiten. Heute müssen viele Betriebe Öffnungszeiten reduzieren, um ihre Mitarbeiter bei der Stange zu halten. Wären Arbeitsbedingungen wie damals heute noch durchzusetzen?
Ich denke schon, wenn das Ziel für den Beteiligten klar erkennbar ist. Für mich war damals die oberste Prämisse, alles dafür zu tun und einen harten Weg zu gehen, um erfolgreich zu sein. Ich habe damals gesagt, dass man nur sehr gut sein könne, wenn man Opfer bringt. Ich habe damals in keiner Form darüber nachgedacht, was die optimale Entlohnung oder die Arbeitszeiten wären, für mich war der Weg das Ziel. So nach dem altbekannten Sprichwort „Ohne Fleiß kein Preis“.

Sie haben im März auf der Internorga beim Next Chef Award viele junge ambitionierte Köche getroffen. Was hat sich geändert zu der Zeit vor der Pandemie?
Grundsätzlich muss man sagen, dass sich bei den Menschen in der Coronapandemie – und nicht nur in der Gastronomie – sehr vieles verändert hat. Viele Mitarbeiter der Gastronomie haben diese verlassen. Zunächst, weil sie sich mit den Zahlungen in Höhe von 60 oder 70 Prozent des vorigen Gehalts ihr Leben nicht mehr leisten konnten. Sie waren also gezwungen, sich eine Alternative zu suchen. Im Service haben viele mit dem Trinkgeld ihren Lebensunterhalt finanziert, das fiel weg. Zum anderen haben sie erkannt, dass sie in Jobs geschätzt werden, in welchen sie das Wochenende frei haben und acht Stunden arbeiten. Das hat dazu geführt, dass viele Menschen ihren Beruf gewechselt haben, manche haben sich neu erfunden.

>>Lesen Sie hier: Guide Michelin zeichnet mehr Premium-Restaurants denn je aus.

Was meinen Sie?
Viele haben gesehen, dass einige Influencer mit Angeboten in den sozialen Medien sehr erfolgreich sind. Das haben einige Köchinnen und Köche aufgegriffen und zum Beispiel Videos – auch für Online-Kochkurse – produziert und aus ihrer Küche gesendet. Viele Köche und Servicekräfte haben in anderen Branchen sehr schnelle Erfolge erzielen können, da der Dienstleistungsgedanke in deren DNA verankert ist. Das hat vieles verändert.

Die Sterne-Restaurants in Deutschland

Die Antwort vieler Restaurants, auch für Mitarbeiter dieser Branche Familie und Beruf in Einklang zu bringen, war, die Öffnungszeiten zu reduzieren und das Angebot zu verringern. Ist das der einzige Weg, der auch der absoluten Spitze bleibt?
Nein, das glaube ich nicht. Wenn ein Mensch sehr erfolgreich sein will, dann kommt nicht als allererstes die Arbeitszeit, sondern auch dieser Ehrgeiz und das Brennen für den Beruf. Es auf die Arbeitszeit zu reduzieren ist mir zu einseitig. Man kann nicht sagen, dass alle Menschen entdeckt haben, dass sie vier Tage mit siebeneinhalb Stunden Arbeit glücklich machen. Es gibt durchaus andere Branchen, in welchen die Arbeitszeiten in Bezug auf Wochenend-, sowie Abend- und Nachtarbeit ähnlich sind.

Ist der Wunsch nach Freizeit nicht normal?
Natürlich ist er das, da hat sich gegenüber früher auch schon sehr viel geändert, was ja auch gesetzlich geregelt ist. Lassen Sie mich zurückspringen zu der Zeit, in der ich aktiv in der Küche gearbeitet habe. Vieles hat man als zu selbstverständlich hingenommen. Daraus entstand irgendwann eine allgemeine Beurteilung des Berufs in der Gesellschaft, die dem nicht dienlich war. Das ist klar. Zum Zweiten – und das werfe ich der Branche samt Verbänden vor – hat man es nicht geschafft, wie zum Beispiel in anderen Branchen, Menschen so zu platzieren, dass andere zu ihnen aufschauen, die eine vorbildliche Figur sind, der junge Menschen nachstreben möchten. Da wurde zu wenig getan, um die Menschen, die in dieser Branche erfolgreich sind, als Opinion Leader nach vorn zu schieben, damit die jungen Leute sehen, da sind welche, die haben klein angefangen und sind heute einflussreich und erfolgreich.

Der Ruf nach der Politik?
Ich vergleiche das immer ein wenig mit dem Bauernverband. Die haben so einen großen Einfluss als Lobbygruppe in der Politik, dass an deren Interessen nicht einfach vorbeientschieden wird. Den hat die Gastronomie so nicht. Das reicht von Vertretern von Landgasthäusern bis Hotels, die mit Selbstbewusstsein die Interessen dieser nicht kleinen Branche vertreten müssten.

Wo liegen die Probleme?
Das beginnt beispielsweise mit den Wohn- und Lebenshaltungskosten. Spitzenrestaurants sind oft in Ballungsräumen, dort sind Wohnungen teuer, was es schwieriger macht, Mitarbeiter zu finden. Inzwischen sind die Löhne aber schon sehr gestiegen. Die Nachfrage regelt den Preis. Viele Umstände sind hinzugekommen, die früher so nicht existierten. Ein weiteres Problem sehe ich in der Wertschätzung der Gesellschaft in Bezug auf unsere Branche. Oft hat man das Gefühl, wer in der Gastro arbeitet, ist weniger wert. In anderen Ländern, wie etwa Frankreich, werden die gastronomischen Berufe sehr viel mehr wertgeschätzt.

Was können Gastronomen unternehmen?
Ich hörte unlängst von einem Haus in Hamburg-Harburg, in dem Auszubildende untergebracht sind, die sich dort die Miete leisten können. Sonst könnte dieser Nachwuchs praktisch kaum nach Hamburg gehen für eine Ausbildung. Damit werden sie indirekt gefördert. Es ist in der Gastronomie fast schwerer, Mitarbeiter zu finden, als Gäste. Die sind da, aber was nutzt es, wenn ein Unternehmer keine Mitarbeiter findet in Küche oder Service.

Unlängst erregte die angekündigte Schließung eines der einflussreichsten Restaurants der Welt, das Noma in Kopenhagen, Aufsehen, weil sein Gründer und Chefkoch René Redzepi sagte, dass diese Art zu arbeiten mit vielen Mitarbeitern, die schlecht oder gar nicht bezahlt werden, nicht mehr zeitgemäß sei. Viele reden vom Ende der Haute Cuisine in ihrer jetzigen Form. Teilen Sie die Einschätzung?
Sternegastronomie hat für mich weiter Hochkonjunktur. Wonach sollen sich die Gäste denn sonst richten? Bei der Flut der Onlinebewertungen muss man sagen, dass da viele Menschen bewerten, obwohl sie etwas nicht verstehen, sich geärgert haben oder weil sie schlicht Aufmerksamkeit erhaschen wollen. Bei Guides wie dem Michelin sind es Mitarbeiter, die ausgebildet sind und wissen, was und wie sie bewerten, obwohl es da länderspezifisch auch Unterschiede gibt, die ich nicht immer ganz nachvollziehen kann. Die Frage ist nur: Will der Gast die unterschiedlichen Arten der Hochküche, und entwickelt sich ein Restaurant so, dass der Gast es versteht und ausreichend bereit ist, die Preise zu zahlen. Ich habe den Eindruck, dass Gäste inzwischen oft überfordert sind und das Gefühl haben, dass ein Abendessen anstrengend war, da sie sich sehr konzentrieren mussten.

Was benötigt ein junger Gastronom heute, um an die Spitze zu gelangen?
Es geht darum klarzumachen, warum der Gast dort essen sollte. Wenn man aus der Vielzahl der bewerteten Restaurants herausstechen möchte, dann benötigt man Referenzen. Das war früher nicht anders. Wir waren wie Jäger, je mehr man bei ausgezeichneten Betrieben gearbeitet hat, desto besser war der Lebenslauf. Was heute für junge Köche dazukommt, ist, dass sie Wertschätzung der Gesellschaft brauchen. Ich hatte in meinem Restaurant viele Köche, die nicht die größten Talente waren, aber durch Vernunft und Geduld sich so entwickelt haben, dass ich sie zum einen nicht missen möchte und sie zum anderen auch sehr erfolgreich geworden sind. Nicht zu vergessen ist die Gastfreundschaft, in meinen Augen ein ganz wichtiger Punkt. Herzlichkeit, freundlicher Service, das Bemühen, dem Gast ein wirkliches Wohlfühlempfinden zu vermitteln, ist ebenso wichtig wie die Kochkunst, beziehungsweise sollte mit derselben Hand in Hand gehen.

Wo liegen die größten Probleme für die Branche?
Es lassen sich – trotz der gestiegenen Zahl an Spitzenrestaurants – immer weniger junge Menschen in der Branche ausbilden. Die Zahl der Auszubildenden in der Gastronomie sank zuletzt um 15 Prozent. Das betrifft auch das Spitzensegment, dessen Personal sich aus der Summe der Auszubildenden rekrutiert, da viele Sternerestaurants selber nicht ausbilden. Um die Basis des Kochens zu lernen, das Fundament, sind sie ja besser in einem familiären Landgasthaus aufgehoben. Denn wenn sie die grundsätzliche Basis nicht gelernt haben, wird es schwierig, das High End zu bewältigen. Sie brauchen die Grundlagen, es kann ja nicht sein, dass jemand, der heute Wasabi mit Crème fraîche verrühren kann, schon glaubt, er sei ein Spitzenkoch.
Gute Küche, ganz gleich welcher Art, hat auch immer noch mit Handwerk zu tun.

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