„Einen Bruch mit China wird es unter Scholz nicht geben“

Berlin Seit mehr als 13 Jahren führt Wolfgang Ischinger die Münchner Sicherheitskonferenz (MSC). Jetzt ist Schluss. „Es muss jetzt die nächste Generation ran“, sagt der 75-jährige Diplomat im Handelsblatt-Interview und kündigt die Stabübergabe an den früheren Merkel-Berater Christoph Heusgen an. „Meine Frau sagte vor einiger Zeit, ich solle aufhören, bevor das jemand schreibt“, erzählt Ischinger. „Ich habe gefragt, wann das wohl passieren würde. Und sie sagte: ‚Bald.‘“

Der MSC-Chef rechnet zwar „noch“ nicht mit einem Einmarsch Russlands in der Ukraine, rät dem Westen und der künftigen Bundesregierung aber zu einer Politik der Stärke gegenüber Moskau. An einen Kurswechsel der Ampel in der China-Politik glaubt Ischinger dagegen nicht.

„Der Koalitionsvertrag ist aus meiner Sicht keine Kampfansage an Peking, und Olaf Scholz kann und wird keinen Bruch mit China anstreben.“

Vor einer völlig neuen Frage stehe die deutsche Außenpolitik dagegen im Verhältnis zu Amerika: „Gibt es etwas, das wir tun oder lassen sollten, um zu verhindern, dass ein neuer Trump in den USA an die Macht kommt?“, fragt Ischinger und warnt: „Sollte Biden die nächste Wahl verlieren, müssen wir uns dann fragen lassen, ob wir ihn genug unterstützt haben?“

Top-Jobs des Tages

Jetzt die besten Jobs finden und
per E-Mail benachrichtigt werden.

Lesen Sie hier das ganze Interview:

Herr Ischinger, die Sicherheitskonferenz steht vor einem Führungswechsel. Was genau ist geplant?
Ich führe die Münchner Sicherheitskonferenz (MSC) seit 2008. In diesen 13 Jahren konnte ich mit meinem Team enorm viel bewegen und gestalten. Nun ist es an der Zeit, die operative Führung in jüngere Hände zu übergeben. Ich habe dem Stiftungsrat deshalb vorgeschlagen, Botschafter Dr. Christoph Heusgen den Vorsitz der Münchner Sicherheitskonferenz anzuvertrauen. Er wird nach der nächsten Konferenz im Februar 2022 übernehmen. Ich selbst bleibe Vorsitzender des Stiftungsrats.

Der Wechsel kommt zu einer Zeit wachsender außenpolitischer Spannungen: Wird es zwischen Russland und der Ukraine einen neuen Krieg geben?
Ich glaube – noch – nicht an den von manchen befürchteten bevorstehenden Einmarsch Russlands in die Ukraine. Moskau weiß, dass der Preis dafür viel höher wäre als der Ertrag. Es ist aber gut, Russland daran zu erinnern, was die Nato dieser Tage ja auch getan hat.

Beunruhigen Sie Putins Drohungen nicht?
Doch. Aber der russische Präsident Putin sieht sich in der Defensive. Er wird seit Langem von der Furcht getrieben, Amerika wolle die Ukraine und Georgien doch noch in die Nato holen. Das ist für Russland die rote Linie. Wir können zwar nicht sagen, die Ukraine und Georgien können niemals Mitglied der Nato werden. Aber wir könnten der Ukraine nahelegen, orientiert euch doch längerfristig mal ein bisschen an den Finnen. Finnland ist Mitglied der EU, aber nicht der Nato.

Was sollte die neue Bundesregierung gegenüber Moskau anders machen?
Gut ist, dass der Koalitionsvertrag erst zur Lage in der Ukraine und Belarus klar Position bezieht und dann erst über Russland spricht. Das ist besser als umgekehrt. Russland verfolgt weniger eine strategische als vielmehr eine opportunistische Politik. Deshalb ist es so wichtig, mit Russland aus einer Position westlicher Stärke zu verhandeln.

Sollte die neue Bundesregierung den Dialog mit Moskau wieder aufnehmen?
Ja, unbedingt! Sie sollte an diesem Ziel beharrlich festhalten und für bilaterale Zusammenarbeit und einen Dialog zwischen EU und Nato auf der einen und Moskau auf der anderen Seite werben. Es ist doch grotesk, dass zwar die USA mit Russland intensiv über Abrüstung und strategische Stabilität sprechen, aber zwischen der EU und Russland völlige Funkstille herrscht. Wir lassen uns hier von unseren eigenen Partnern in der EU zu starke Fesseln anlegen. Ein Dialog mit Russland könnte nur dann falsch sein, wenn er als Zeichen der Schwäche interpretiert werden könnte.

Xi Jinping

Der chinesische Präsident positioniert sein Land weltpolitisch neu.


(Foto: imago images/Xinhua)

Keine Kampfansage an Peking

Die designierte Außenministerin Annalena Baerbock hat gerade einen härteren Kurs gegenüber China angekündigt. Wird Deutschland künftig weniger Rücksicht auf seine Wirtschaftsinteressen nehmen?
Die neue Koalition will eine China-Strategie erarbeiten und sie dann in die EU einbringen. Das ist der richtige Weg, aber die Strategie gibt es noch nicht. Wenn Olaf Scholz bei seinem ersten Treffen mit Chinas Staatspräsident Xi Jinping die Forderungen zu Taiwan und Hongkong aus dem Koalitionsvertrag vorliest, dann wird der sagen: ‚Vielen Dank, aber ich sehe das ganz anders.‘ Der Koalitionsvertrag ist aus meiner Sicht keine Kampfansage an Peking, und Olaf Scholz kann und wird keinen Bruch mit China anstreben.

Wie könnte eine China-Strategie Deutschlands konkret aussehen?
Früher sahen wir China vor allem als Exportmarkt, jetzt beginnen wir strategisch zu denken. Deutschland sollte Vorreiter einer EU-China-Strategie sein, damit wir Peking gegenüber mit einer Stimme auftreten können. Unser Verhältnis zu China muss eingebettet werden in eine europäische Strategie für den wichtigen indopazifischen Raum, wo wir Europäer bislang kaum auf dem geopolitischen Radarschirm sind. Außerdem müssen wir das ausgehandelte Investitionsabkommen zwischen der EU und China vom Eis bekommen.

Sie sind für das umstrittene Abkommen?
Ich halte das Abkommen trotz mancher Schwächen für einen wichtigen Schritt in Richtung einer EU-China-Politik. Wenn wir das Investitionsabkommen nicht in Kraft setzen, können wir das Ziel einer gemeinsamen China-Politik der EU erst einmal vergessen.

Wie lässt sich eine deutsche China-Strategie mit dem Wunsch der USA nach einem Decoupling, einer Entkopplung, in Einklang bringen?
Eine enge transatlantische Abstimmung zum Thema China ist schwierig, aber wichtig. Sie setzt allerdings voraus, dass Washington nicht mit 27 Staaten verhandeln muss, sondern dass die EU mit einer Stimme spricht. Sonst nehmen die USA uns nicht ernst. Außerdem könnte Peking dann nicht mehr die EU-Staaten gegeneinander ausspielen.

Brauchen wir auch eine Amerika-Strategie?
Ja. Unsere Amerika-Politik steht vor einer ganz neuartigen Fragestellung, die es seit den Zeiten Konrad Adenauers noch nie gab, nämlich vor der Frage: ‚Gibt es etwas, dass wir tun oder lassen sollten, um zu verhindern, dass ein neuer Trump in den USA an die Macht kommt?‘ Sollte Biden die nächste Wahl verlieren, müssen wir uns dann fragen lassen, ob wir ihn genug unterstützt haben?

Was kann und sollte Europa tun, um eine Rückkehr Trumps zu verhindern?
Europa könnte es Biden erleichtern, 2024 vor seine Wähler zu treten und zu sagen: ‚Ich habe es geschafft, dass die Europäer mehr Verantwortung übernehmen und uns, also die USA von schweren Lasten befreien.‘ Also: Europa muss auch dem Trump-Wähler in Idaho zeigen können, dass wir für die USA ein wichtiger Partner sind und bleiben.

Wladimir Putin

Der russische Präsident lässt Großmanöver im Grenzgebiet zur Ukraine abhalten.

(Foto: dpa)

Nord Stream 2 bleibt ein Zankapfel mit den USA

Würde nicht auch der Stopp von Nord Stream 2 Joe Biden das Leben erleichtern?
Ja, aber dafür ist es jetzt wohl zu spät. Außerdem: Wenn wir nach dem Ausstieg aus der Nuklearenergie bis 2030 auch aus der Kohle aussteigen wollen, wird unser Gasimportbedarf wohl auch auf mittlerer Sicht nicht sinken. Natürlich sollten wir uns nicht abhängig machen von der amerikanischen Innenpolitik. Aber wir müssen schon sicherstellen, dass unsere Politik in Amerika auch weiterhin richtig verstanden und ernst genommen wird.

Im US-Kongress versteht man die deutsche Position noch immer nicht und droht mit neuen Sanktionen. Zu Recht?
Im amerikanischen Kongress wird heute weithin nicht verstanden, warum wir uns vom russischen Gas nicht weniger abhängig machen und – aus US-Sicht – Russland quasi subventionieren. Aktuell blockieren die Republikaner deshalb den amerikanischen Verteidigungshaushalt. Mit anderen Worten: Nord Stream 2 bleibt nicht nur ein Problem im Umgang mit der Ukraine und im Europäischen Parlament, sondern leider auch eine transatlantische Belastung.

Die Außenpolitik taucht im Koalitionsvertrag der Ampel erst ab Seite 130 auf. Sind Sie enttäuscht von den Plänen der neuen Regierung?
Der außenpolitische Textteil ist gar nicht schlecht. In einigen Teilen ist er sogar richtig gut.

Was gefällt Ihnen?
Die Ampelkoalition hat einige sicherheitspolitische Streitthemen, wie etwa die Beschaffung von Kampfdrohnen oder die nukleare Teilhabe, aus dem Weg geräumt. Der Koalitionsvertrag schafft außenpolitisch kein neues Misstrauen, gerade bei unseren östlichen Partnern. Das ist sehr wichtig.

Thomas Bagger, einer der außenpolitischen Vordenker im Lande, sieht Deutschland in dem Dilemma zwischen Nabelschau und Weltverbesserer. Weist der Koalitionsvertrag daraus einen Ausweg?
Erfreulicherweise weist die Ampel mit ihren starken europapolitischen Bekenntnissen weg von deutscher Nabelschau, hin zu außenpolitischer Führungsverantwortung in Europa. Das Abkommen verspricht zwar eine nationale Sicherheitsstrategie, liefert diese aber noch nicht. Darauf und auf die erste Regierungserklärung des neuen Bundeskanzlers sollten wir warten. Der Koalitionsvertrag ist eher eine Ansammlung von wünschbaren Zielen aller drei Parteien. Einige Themen werden jedoch gar nicht angesprochen.

Die neue Regierung verzichtet auf einen nationalen Sicherheitsrat. Ein Fehler?
Ich glaube, dass das Regieren zu dritt schwierig sein wird, und dass ein erweiterter Bundessicherheitsrat das erleichtern würde. Die Ampel tut sich keinen Gefallen, wenn sie glaubt, sie könne mit den Strukturen, die im Wesentlichen noch aus 70er-Jahren stammen, moderne Außenpolitik betreiben. Heute macht eigentlich jedes Ministerium Außenpolitik. Deshalb brauchen wir ein neues Format für die Koordinierung unter den drei Partnern. Jetzt muss die Ampel beweisen, wie sie auch ohne ein solches Gremium die Außenpolitik „aus einem Guss“ betreiben kann, die sie verspricht.

Munich Security Conference (MSC)

Außen- und Sicherheitspolitik ohne die FDP

Die neue Regierung verzichtet auch darauf, das „Zwei-Prozent-Ziel“ der Nato für die Verteidigungsausgaben explizit zu nennen. Stattdessen gibt es jetzt ein „Drei-Prozent-Ziel für internationales Handeln“. Ist das ein Trick, um sich aus der Verantwortung zu stehlen?
Nein, kein Trick. Ich freue mich über die „Drei-Prozent-Formel“, die ein Wachstumsversprechen für den deutschen internationalen Auftritt ist und die schon seit Jahren von der Sicherheitskonferenz vorgeschlagen wird. Es ist aber natürlich unklar, wie viel davon tatsächlich für die Verteidigung ausgegeben werden wird.

Wie viel Geld braucht die Bundeswehr?
Wir sollten uns aber auch nicht an dem „Zwei-Prozent-Ziel“ allzu sehr festbeißen. Ich finde es viel wichtiger, dass die neue Koalition ihre Verteidigungsausgaben daran bemessen will, welche Fähigkeiten die Bundeswehr benötigt. Wir müssen die Bundeswehr nicht besser ausrüsten, weil die Nato das beschlossen hat, sondern weil es in unserem ureigenen Interesse notwendig ist. Und das „Drei-Prozent-Ziel“ macht klar, dass mehr Engagement in allen Bereichen gefordert ist.

Die FDP ist außen- und sicherheitspolitisch gar nicht vertreten. Ist das ein Nachteil?
Die drei Partner haben das Kanzleramt, das Auswärtige Amt, das Verteidigungsministerium und das Ministerium für wirtschaftlichen Zusammenarbeit nicht gleichmäßig unter sich aufgeteilt. Die FDP ist dadurch mit den Außenbeziehungen nur indirekt befasst, was ich schade finde. Immerhin hat sie über insgesamt mehr als 30 Jahre hinweg den deutschen Außenminister gestellt.

Noch immer ist jedoch die Hälfte der deutschen Bevölkerung gegen ein militärisches Eingreifen im Ausland. Kann man gegen den Pazifismus in der Bevölkerung regieren?
Die Umfragen zeigen doch auch, dass die Zahl derer wächst, die eine aktivere Rolle Deutschlands befürworten. Insbesondere hat die jüngere Generation wachsendes Verständnis dafür, notfalls auch militärisch im Ausland einzugreifen zu müssen. Die Deutschen haben inzwischen begriffen, dass wir sonst die Folgen blutiger Konflikte hier bei uns ausbaden müssen. Darüber hinaus ist politische Führung gefragt: Für wichtige Einsätze waren bisherige Bundesregierungen immer in der Lage, politische Mehrheiten zu organisieren, wenn sie es denn wollten.

Sie fordern seit Langem Mehrheitsentscheidungen in der gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik der EU. Wird es mit der neuen Bundesregierung dazu kommen?
Es ist ein sehr wichtiger Schritt, dass die Ampelkoalition sich zu diesem Ziel klar bekannt hat. Angela Merkel und zahlreiche andere Politiker reden seit Jahren davon, haben aber bisher keinen konkreten Vorschlag in Brüssel auf den Tisch zu legen gewagt.

Droht ein Comeback von Donald Trump?

Eine Frau hält ein Bild des früheren US-Präsidenten Donald Trump. MSC-Chef Ischinger warnt vor einem Comeback des Populisten.


(Foto: AP)

EU muss zu Mehrheitsentscheidungen kommen

Müssen dafür nicht erst die EU-Verträge geändert werden?
Nein, das geht auch ohne Vertragsänderung: Zum Beispiel könnte der Europäische Rat eine China-Strategie beschließen. Die konkreten Schritte zur Umsetzung einer solchen Strategie könnten dann mit Mehrheit beschlossen werden. Vielleicht macht der französische Präsident Macron nach seiner Wiederwahl im nächsten Jahr bei solchen Initiativen mit. Ganz wichtig ist es, die kleineren Mitgliedstaaten mitzunehmen. Das hat der Koalitionsvertrag völlig richtig erkannt.

Eine persönliche Frage zum Schluss: Was waren Ihre persönlichen Highlights auf den Sicherheitskonferenzen in den vergangenen 13 Jahren?

Davon gab es viele. Als bei der Sicherheitskonferenz 2011 die damalige US-Außenministerin Hillary Clinton und ihr russischer Amtskollege Sergej Lawrow auf offener Bühne die Ratifikationsurkunden des gerade ausgehandelten New-Start-Abrüstungsabkommens austauschten, spürte man schon den Mantel der Geschichte. Denkwürdig war auch der Auftritt von Emmanuel Macron 2020, weil der französische Präsident ohne jedes Zögern eine Stunde lang mit unserem sachkundigen Publikum diskutierte und sämtliche Fragen spontan beantwortete. Das hat ihm offensichtlich großen Spaß gemacht. Mir auch.

Herr Ischinger, vielen Dank für das Interview.

Mehr: Das „Tief Biden“ lähmt die USA – und bereitet den Republikanern neuen Boden

.
source site-11