Wie Oracle in der Cloud-Sparte aufholt – und so die Aktie beflügelt

Düsseldorf Die Wall Street hat einen neuen Liebling, der zugleich ein alter ist. Oracle ist bereits seit 1986 an der Börse und zählt mit Unternehmen wie IBM, Hewlett-Packard und Cisco zur alten Garde der IT-Branche, die eigentlich ihre besten Tage hinter sich hat. In den vergangenen Monaten hat die Aktie des Softwareherstellers allerdings eine Kursentwicklung verzeichnet, die nicht zu diesem Image passt.

Seit Jahresbeginn ist der Kurs der Oracle-Aktie um mehr als 40 Prozent gestiegen, so viel wie Microsoft. Und deren Aktien sind dank der Vorreiterrolle bei Künstlicher Intelligenz (KI) unter Anlegern sehr gefragt. Zwischenzeitlich stieg das Papier von Oracle auf ein Allzeithoch von 127,54 Dollar, das Unternehmen auf eine Börsenbewertung von 330 Milliarden Dollar.

Oracle erfindet sich als Clouddienstleister neu. Und der Hype um KI, für die große Rechenleistung benötigt wird, könnte für weiteren Schub sorgen. „Wir sehen eine beispiellose Nachfrage nach unseren Clouddiensten und besonders unseren KI-Diensten“, sagte Konzernchefin Safra Catz kürzlich gegenüber Investoren.

Das ist keine reine Selbstvermarktung. „Oracle wurde lange totgesagt, lebt aber, und zwar so gut wie lange nicht mehr“, sagt Holger Müller, Analyst bei der Marktforschungs- und Beratungsfirma Constellation Research. Gründer und Technikchef Larry Ellison habe die beste Zeit seines Lebens – und das mit 78 Jahren.

„Bizarre“ Cloud – wie Oracle den Trend verpasste

Danach sah es für Oracle lange nicht aus. Ellison bewies zwar direkt ab der Gründung 1977 großes Gespür und machte sein Unternehmen zunächst zum Marktführer für Datenbanken. Anschließend expandierte Oracle in viele neue Geschäftssoftware – darunter Software für Finanzen, Vertrieb und Lieferketten, wie sie SAP und Salesforce anbieten.

Das Potenzial der Cloud unterschätzte er jedoch. Als Amazon Web Services (AWS) und andere schon Milliarden Dollar investierten, um IT übers Internet und auf Mausklick verfügbar zu machen, tat er das neue Paradigma noch als „bizarr“ ab: „Sie ändern einen Begriff und denken, sie hätten eine Technologie erfunden“, lästerte er 2009 über die Konkurrenten.

Larry Ellison

Der Oracle-Gründer lästerte lange über die Cloud-Ambitionen der Konkurrenz.

(Foto: dpa)

Schon bald klang er zurückhaltender. Denn im Kerngeschäft mit Datenbanksystemen verlor Oracle Marktanteile an Cloudanbieter, deren Lösungen mehr Flexibilität versprachen. Und eine eigene IT-Infrastruktur in der Datenwolke baute der Konzern erst ab 2015 auf. Bis heute führen Marktforscher den Big Red genannten Dienst in diesem riesigen Markt mangels Masse unter „Sonstige“ auf.

>> Lesen Sie hier: 14 neue Rechenzentren – Wie Oracle im Cloudgeschäft angreift

Einen Vorteil hat der Spätstart aber: Oracle kann von den Fehlern anderer Cloudanbieter lernen. Auch dank einiger Spezialisten, die der Konzern von Marktführer AWS abgeworben hat. „Wir waren nicht die Ersten in der Cloud“, sagt Richard Smith, der Oracles Europageschäft leitet. „Aber wir haben unser gesamtes Portfolio für diese Technologie überabeitet.“

Gründer und Technikchef Ellison habe sich vor einigen Jahren mit Softwareentwicklern hingesetzt und eine neue Cloudplattform konzipiert – mit allem Wissen, das bereits verfügbar gewesen sei, berichtet Smith in einem Gespräch mit dem Handelsblatt.

„Massive Nachfrage“ durch Künstliche Intelligenz

Durchaus mit Erfolg. Kunden wie Tiktok und Uber beweisen, dass die Plattform gigantische Datenmengen in Echtzeit bewältigen kann. Das Pentagon bezieht den Konzern neben den großen drei in seinen Milliardenauftrag für Clouddienste ein. Im abgelaufenen Geschäftsjahr wuchs Oracles Umsatz mit Cloudinfrastruktur um 76 Prozent auf 1,4 Milliarden Dollar.

Dabei hilft die jahrelange Erfahrung in der Branche: „Wir haben auf der ganzen Welt eine sehr große Kundenbasis“, sagt Smith – das gelte für Datenbanken ebenso wie für Geschäftssoftware. „Das sind alles Kunden, für die unsere Infrastruktur gut geeignet ist.“

Der Softwarehersteller besetzt zudem Nischen im Cloudgeschäft, das auf 120 Milliarden Dollar taxiert wird. Beispiel hybride Cloud: Viele Unternehmen nutzen die Infrastruktur verschiedener Anbieter, um Abhängigkeiten zu verringern und Stärken auszureizen. Oracle positioniert sich als günstige Alternative – und kooperiert dafür auch mit Konkurrent Microsoft.

>> Lesen Sie hier: Berichte über „AppleGPT“ treiben Aktienkurs auf Rekordhoch

Die wohl größte Chance für Oracle ist allerdings der Boom der generativen KI, die Inhalte wie Texte, Bilder und Programmcode erstellen kann. „Es wird global eine massive Nachfrage nach Rechenleistung geben“, prognostiziert Smith. Große Sprachmodelle zu trainieren und zu nutzen gilt als rechenintensiv.

Der Konzern vermarktet einen Supercomputer von Nvidia, der für das Training von Modellen optimiert ist, und entwickelt einen Dienst, der Kunden einfachen Zugriff auf die Technologie bietet. Das verfängt offenbar: Mosaic ML, Adept AI, Cohere und 30 andere Entwickler haben kürzlich mit dem Konzern Verträge abgeschlossen, das Volumen beträgt zwei Milliarden Dollar.

Oracle profitiere „von der Gnade der späten Geburt“, sagt Analyst Holger Müller. Der Konzern habe eine moderne Infrastruktur aufbauen können, die eine schnelle Datenverarbeitung ermögliche und ein gutes Preis-Leistungs-Verhältnis biete. Das Resultat: „Die Architektur von Oracle ist gut für Künstliche Intelligenz geeignet.“

Viele Analysten sind vorsichtig geworden

Ein weiterer Faktor: „Viele traditionelle IT-Anbieter sind an der Cloud gescheitert, weil sie nicht die Investitionen aufgebracht haben – Oracle ist der einzige Vertreter der alten Garde, der in diesem Markt noch im Geschäft ist.“

Dafür muss das Unternehmen allerdings viel Geld in die Hand nehmen: Im vergangenen Geschäftsjahr waren es 8,7 Milliarden Dollar, in der aktuellen Periode ist eine ähnlich hohe Summe veranschlagt. Allein die Übernahme des IT-Dienstleisters Cerner, die dem Ausbau des Cloudgeschäfts im Gesundheitswesen dient, kostete im vergangenen Jahr 28 Milliarden Dollar.

Nach der jüngsten Kursrally stellt sich für Aktionäre die Frage, ob die Zukunftshoffnungen bereits eingepreist sind. Das Kurs-Gewinn-Verhältnis ist im Vergleich zu anderen Softwareherstellern zwar noch moderat. Zwei Drittel der Analysten raten allerdings mittlerweile dazu, die Aktie zu halten, also weder zu kaufen noch zu verkaufen.

Oracle profitiere als einer der wenigen Anbieter vom Boom der Künstlichen Intelligenz, urteilt beispielsweise die Investmentbank Barclays, die zum Halten der Aktie rät. Allerdings mache die Cloud trotz dieser Entwicklung weiterhin nur einen Bruchteil des Geschäfts aus.

Mitarbeit: Andreas Neuhaus

Mehr: SAP investiert in drei führende KI-Start-ups

source site-13