Wie mir ChatGPT ein Business aufgebaut hat

Rom Ich mag meinen Job. Ehrlich, ich will nichts anderes machen als Journalismus. Aber ein kleiner Zuverdienst? Ein Business, das sich mit minimalem Arbeitsaufwand nebenbei betreiben lässt? Ziemlich reizvoll.

Leider habe ich selbst keine Idee. Und da kommt Künstliche Intelligenz (KI) ins Spiel. KI kann Briefe schreiben wie Shakespeare, Bilder kreieren wie Rembrandt, Musik komponieren wie Mozart. Aber kann sie auch kreative Geschäftsmodelle entwickeln wie ein Seriengründer? Lässt sich wirklich Geld verdienen, wenn man sich blind auf die Vorschläge eines Sprachmodells verlässt, das eigentlich nur darauf trainiert wurde, Wörter nach Wahrscheinlichkeitsrechnung an die richtige Stelle zu setzen?

Am 5. Juni sitze ich vor einem leeren Chat und tippe meine erste Frage ein: Ich erkläre ChatGPT, dass ich festangestellt bin und gern nebenberuflich gründen will: Was wäre eine gute Geschäftsidee für mich?

Statt einer Antwort bombardiert mich die KI mit lauter Gegenfragen: Was sind meine besonderen Fähigkeiten oder Hobbys? Wie viel Geld bin ich bereit, in mein neues Unternehmen zu investieren? Wie viel Zeit will ich realistisch dafür aufwenden?

Ich beantworte die Fragen wie in einem Steckbrief:

  • Fähigkeiten: Schreiben, Redigieren und Lektorieren.
  • Hobbys: Fotografie, NFTs, Craftbier, Joggen, Reisen, Italien, Hamburger SV.
  • Budget: höchstens 1000 Euro.
  • Zeit: maximal eine halbe Stunde am Tag.

Gebannt schaue ich auf das blinkende schwarze Kästchen, das sich Wort für Wort weiterschiebt und immer neue Sätze entstehen lässt. Basierend auf meinen Angaben schlägt mir GPT-4, die neuste Version des Chatbots von OpenAI, fünf Geschäftsmodelle vor:

  • Schreiben und Lektorieren: Ich könnte meine Dienste freiberuflich auf Onlineplattformen anbieten.
  • Fotografie-Blog: Ich soll Tipps und Tricks teilen, Fotoausrüstung bewerten, meine Reisen dokumentieren. Potenzielle Einnahmen: Werbung, Sponsoring oder der Verkauf von Produkten.
  • NFT-Content: Auch über Non-Fungible Tokens, also digitale Besitztümer auf der Blockchain, könnte ich ein Blog oder Podcast starten. Mögliche Einnahmequellen: Beratung oder Verkauf von eigenen NFTs auf Basis meiner Fotos.
  • Craftbier-Blog: Über Hopfen und Malz könnte ich auch bloggen: Biere bewerten, Brauereien besuchen, vielleicht sogar selbst brauen. Wie ich damit Geld verdienen soll, verschweigt mir die KI allerdings.
  • Affiliate-Marketing: Zu guter Letzt könnte ich eine Website erstellen, auf der ich zu mir passende Produkte oder Dienstleistungen bewerbe und Provisionen für jeden Verkauf erhalte. Die KI schlägt mir Lauf- und Fotoausrüstung, Reisezubehör und Craftbier vor.
Vorschläge für Geschäftsmodelle von ChatGPT

Fünf Ideen für den Nebenjob.

 Ich könnte jetzt einfach das auswählen, was mir am meisten Spaß macht (das Bier!). Aber ich will das Experiment bis zum Äußersten treiben. Also frage ich: Was wäre von allen die vielversprechendste Geschäftsidee für mich?

ChatGPT braucht nur wenige Sekunden, um sich zu entscheiden: „Unter Berücksichtigung Ihrer Fähigkeiten, Interessen und der begrenzten Zeit, die Sie pro Tag zur Verfügung haben, scheint das NFT-basierte Geschäftsmodell das vielversprechendste zu sein.“ Vor allem meine Fotografiekenntnisse könnten gut ins Modell passen. Die KI schlägt mir vor, „hochwertige, einzigartige“ Fotos zu erstellen und diese als NFTs auf einer entsprechenden Plattform zu verkaufen.

Dann lässt die KI eine Mahnung folgen, wie volatil der Markt sein kann – und dass es Risiken gibt, wie bei jeder Technologie, die mit Kryptowährungen verwandt ist. Wichtig sei auch, dass ich mich für das Thema wirklich begeistern könne.

Das kann ich, so viel steht fest. Im Februar 2022 fing ich an, mich mit digitaler Kunst und NFTs zu beschäftigen – und entkomme dieser spannenden Technologie seitdem nicht mehr. Auch damals begann alles mit einem Handelsblatt-Selbstversuch: Ich brachte einige meiner Rom-Fotos auf die Blockchain, verkaufte immerhin sieben Stück. Noch besser läuft der von mir initiierte Verkauf der digitalen Titelbilder der Handelsblatt-Freitagsausgaben. Um diese Serie ist eine Community von gut 20 Sammlern unserer Cover-NFTs gewachsen, die mittlerweile auch zu unseren Verlagskonferenzen und Events eingeladen werden.

2. Die Marke

Die grobe Idee ist also geboren. Aber wie geht es jetzt weiter? ChatGPT schlägt mir vor, erst mal eine starke Marke aufzubauen – mit Wiedererkennungswert, einzigartigem Stil, konsequenter Präsenz auf Social Media und anderen Plattformen. „Wenn Sie Ihre Leidenschaft für die Fotografie, das Reisen und Italien kombinieren möchten, könnten Sie vielleicht eine Reihe von künstlerisch bearbeiteten Fotografien von Ihren Reisen oder speziell von Italien erstellen.“

Klingt gut, braucht aber einen Namen. Der Vorschlag der Maschine, am einprägsamsten für ein globales Publikum: „PixelVoyager”. Dumm nur, dass es schon eine Website mit dem Namen gibt, auch der Twitter-Handle ist schon vergeben. „Das ist schade, aber keine Sorge“, sagt ChatGPT.

Neue Marke “VistaVagabond”

Das Logo wurde mithilfe der KI-Software Dall-E erstellt.

Langsam entwickelt sich zwischen uns eine Art persönliches Verhältnis. Die KI freut sich mit mir, wenn ich auf einen Vorschlag eingehe. Sie tröstet, wenn etwas nicht klappt. Ich ertappe mich selbst dabei, dass ich in meine Fragen ein höfliches „Bitte“ einbaue. Ich duze die Maschine, als sei sie ein netter Kollege, eine gute Freundin. Und so fühlt es sich auch an. Denn sie manövriert mich aus jeder Sackgasse wieder heraus, spuckt immer neue Ideen aus – gerade sind es neue Markennamen. Einer ist dabei, der noch nicht vergeben ist: „VistaVagabond“. Eine perfekte Kombination aus Italien und meinem Dauer-Fernweh.

Ich wechsele zur Software Dall-E, die ebenfalls von OpenAI angeboten wird und Bilder erstellen kann. Ich bitte um ein Logo für meine neue Firma – und bin direkt mit der stilisierten schwarzen Kamera zufrieden. Die Schrift muss ich selbst einfügen, das kriegt Dall-E leider (noch) nicht fehlerfrei hin. Ich packe noch zwei meiner bisher wertvollsten NFTs mit ins Logo: einen „Moonbird“ und eine „Cool Cat“ – beides Profibildprojekte, die einer weltweiten Community bekannt sind. So will ich meine Sichtbarkeit in den Weiten des Netzes vergrößern.

3. Der Auftritt

ChatGPT sagt mir ungefragt, was ich als Nächstes tun soll: Die Domain registrieren, eine Website erstellen, eine Farbpalette wählen, Social-Media-Profile sichern. Nur ein paar Tage später steht das grobe Gerüst von https://www.vistavagabond.xyz/

Auch wenn ich das alles neben der normal anfallenden Redaktionsarbeit stemme: Ich komme viel schneller voran als gedacht, weil mir die KI einen Großteil der Kreativität abnimmt. Vom Willkommenstext und der Kurzbiografie auf der Homepage bis hin zum ersten Tweet vom neuen Account: Ich übernehme fast alle Vorschläge von der KI. Selbst hätte ich sie wahrscheinlich ähnlich formuliert – nur mit deutlich mehr Zeitaufwand.

Neue Webseite VistaVagabond.xyz

Die Texte auf der Webseite sind zu 90 Prozent mit KI erstellt.

Die vorgegebenen Designs der Website gefallen mir allerdings nicht so richtig. ChatGPT schlägt mir folgende Farbschemata für mein Corporate Design vor: Sattes Orange oder Gelb („Toskana-Sonnenaufgang“), Mittelmeerblau, Olivgrün oder Rustikalrot („inspiriert von Terrakottadächern“). Auch hier lasse ich die KI entscheiden. Es wird die blaue Variante. Abgesehen vom Meer assoziiere man mit der Farbe „Vertrauen, Weite und Freiheit“. Obendrein habe Blau in „vielen Technologie- und digitalen Marken“ eine starke Präsenz. Bescheidenheit ist nicht GPTs Stärke.

Farblich bin ich jetzt bereit, die NFT-Welt zu stürmen. Allerdings wirkt meine Homepage noch wie ein Laden ohne Einrichtung. Der Name blinkt über dem Eingang, aber drinnen warten nur leere Regale. Also stelle ich in meinem Shop erst mal die Kollektionen aus, die es ohnehin schon gibt: meine verbliebenen Rom-Fotos und drei Handelsblatt-Cover, die sich noch kaufen lassen.

4. Die Kunst

Immer wieder habe ich in den vergangenen Monaten durch alte Steinmauern, Hinterhoftore und Villenfenster fotografiert. Ich mag den Kontrast zwischen Rahmen und Außenwelt, Gebäude und Landschaft. Könnte das eine Idee fürs erste „VistaVagabond“-Projekt sein? ChatGPT findet: „Das klingt nach einem fantastischen und visuell ansprechenden Projekt!“

Die Namensvorschläge: „Italian Window Panoramas“, „Vista di Finestra“, „Italy Through the Pane“, „Scenic Sills“. Ich lasse die KI wieder den Namen herauspicken. Es werden die Ansichten (Vista) durch die Fenster (Finestra).

Chat-Verlauf mit ChatGPT

Die KI lobt und motiviert, wird zum echten Sparringspartner.

Als ich meiner Frau beim Mittagessen euphorisch von der neuen Idee berichte, folgt der Dämpfer: ChatGPT kann offenbar nicht richtig Italienisch – und mir ist der Fehler auch nach fast drei Jahren im Land in aller KI-Euphorie nicht aufgefallen. „Vista di Finestra“ ist grammatikalisch falsch, die Wortkombination gibt es so nicht. Es muss „Vista dalla Finestra“ heißen.

Es ist aber der einzige große Fehler der KI im gesamten Schaffungsprozess. Natürlich lese ich nochmals über alle generierten Texte, aber sie sind erstaunlich rund, selten braucht es feine Korrekturen. Auch die Beschreibungen für meine zwölf italienischen Fenster-NFTs lasse ich mir von der KI texten, genauso wie die Infos zur Kollektion, die ich wenig später auf der Blockchain verewige. Dort, auf der NFT-Plattform Opensea, können sie nur mit Kryptowährungen gekauft werden. 

Auf meiner Homepage klappt es auch mit Kreditkarte und Paypal. Der Kunde gibt im Kaufprozess einfach die Adresse seiner digitalen Wallet an – schon kann ich ihm die Digitalkunst manuell übertragen. Damit sinkt die Eintrittshürde für neue Kunden enorm.

Shop der neuen Webseite

Die digitale Kunst lässt sich mit Kryptowährung kaufen – aber auch mit Kreditkarte und Paypal.

Was bei einem echten KI-Selbstversuch noch fehlt: KI-generierte Kunst. Ich will meine Italienfotos verfälschen und neu interpretieren lassen. „Pixelated Piazzas“ und „Artificial Italy“ sind Namensvorschläge. Am Ende entscheidet sich ChatGPT für „AI-talian Visions“, angeblich ein Wortspiel, das „Aufmerksamkeit erregt“. Natürlich liefert die KI mir auch gleich mögliche Manipulationsstile mit.

Ich könnte meine Motive verzerren lassen, Farben, Formen und Strukturen neu anordnen. Ich könnte mehrere meiner Fotos miteinander verschmelzen. Der letzte Vorschlag: Stile berühmter Maler wie Picasso, Van Gogh oder Monet auf meine Bilder übertragen.

Shopseite mit KI-Kunst

Auch bei der Titelauswahl hat ChatGPT geholfen.

Mit all dem Input ist GPTs Bruder Dall-E überfordert. Also kaufe ich mir einen Profiaccount bei der KI-Software Midjourney, der rund elf Euro im Monat kostet. Dort lade ich eine Auswahl meiner schönsten Fotos hoch – und lasse sie genau in der von GPT vorgeschlagenen Weise verändern. Ab und an muss ich den Prompt überarbeiten, also den Befehl zur Fotoerstellung. 

Mit dem Endergebnis bin ich mehr als zufrieden: Aus dem Colosseum wird eine abstrakte Picasso-Arena, aus dem „Bosco Verticale“ in Mailand, einem grünbewachsenen Tower im Finanzviertel, wird ein nächtlicher Van-Gogh-Traum. Vor dem Vatikan blühen plötzlich Seerosen wie bei Monet.

5. Das Ergebnis

Auch wenn wir jetzt schon fast drei Wochen zusammenarbeiten: Die KI siezt mich durchgängig, obwohl wir zwischendurch immer wieder ins Englische wechseln, wo das keine wirkliche Rolle spielt. Ich selbst tue mich immer schwerer damit, meinen Sparringsparter als ein „Es“ zu betrachten, als Maschine oder Werkzeug. Wenn ich meiner Familie von den Fortschritten erzähle oder den Chatverlauf zeige, spreche ich immer davon, was „er“ mir schon wieder Großartiges vorgeschlagen hat.

Shopseite für Kollektion “Vista dalla Finestra”

Fotokunst von Christian Wermke, aufgenommen durch Fenster in ganz Italien.

GPT ist wie mein Co-Gründer, nur ohne Eitelkeiten, ohne Zeitprobleme, ohne Gedächtnislücken. Immer einsatzbereit – und sei es nur für 15 Minuten, um vor dem Zubettgehen noch ein paar Bilder zu betexten. Weil wir in dem immer gleichen Chatverlauf schreiben, kann er sich an jede Einzelheit „erinnern“, mag sie auch schon Tage her sein. Er stößt mich auf neue Wege, neue Ideen, treibt mich an, motiviert.

Zu mehr als 90 Prozent habe ich mich an die KI-Vorgaben gehalten, gut zehn Prozent sind mein eigener Hirnschmalz. Zwischendurch stelle ich mir immer wieder die Frage, was dieser Trend für die Menschheit bedeutet. Ob nicht Fantasie und Einfallsreichtum verkümmern, wenn man sich vollständig auf diese neue Technologie verlässt. Ob wir uns in der Kreativbranche nicht irgendwann zum Sklaven eines übermächtigen Herrn machen, ohne dessen Input wir selbst nicht mehr funktionieren.

Midjourney-Manipulation im Stile von Picasso

Das Originalbild von Christian Wermke entstand bei einem Olivenölproduzenten in Umbrien.

Mehr noch als die Philosophie interessieren mich die nackten Zahlen: Funktioniert mein neues Business überhaupt? Kann die KI wirklich die besseren Geschäftsmodelle erfinden? Für ein monetäres Fazit ist es noch zu früh. Knapp 300 Euro habe ich bisher investiert: in die KI-Tools, in die Website, in die Domain-Registrierung, in Testkäufe. Seit gut einer Woche biete ich meine Werke zum Verkauf an. Bisher hat noch niemand ein Foto erworben – weder über meine Website, noch auf dem NFT-Markt Opensea.

Klar ist aber, dass ich auf normalem Wege und ohne große Vorkenntnisse niemals so schnell und unkompliziert ein solches Geschäft hätte aufbauen können. Viele Details hätte ich vergessen – oder wäre zu spät drauf gestoßen. Das Werkzeug KI ist ein mächtiger Helfer, viel mächtiger als ich anfangs geglaubt habe. Für Gründungen kann es ein ungeheurer Beschleuniger sein. Dass sich das Experiment finanziell lohnt, kann allerdings auch die KI nicht garantieren. Das unternehmerische Risiko bleibt beim Menschen.

Dieser Text ist Teil des großen Handelsblatt-Spezials zur Künstlichen Intelligenz. Sie interessieren sich für dieses Thema? Alle Texte, die im Rahmen unserer Themenwoche schon erschienen sind,

finden Sie hier.

Um mein Zukunft als Reporter mache ich mir indes keine Sorgen: Mehrere Versuche der KI, aus dem dreiwöchigen Chatverlauf einen runden Handelsblatt-Text zu erstellen, sind gnadenlos gescheitert. Zu viele logische Fehler, zu verknappt, zu werblich. Dafür musste ich dann doch selbst in die Tasten greifen. Hat nach all der Auseinandersetzung mit KI-Kreativität ziemlich gutgetan.

Mehr: Wie ich mein erstes NFT verkaufte – und damit ganz knapp nicht zum Millionär wurde


source site-13