Was die Krise über die deutsche Industrie aussagt

Düsseldorf Die deutsche Chemieindustrie rechnet für den Rest dieses Jahres mit keiner konjunkturellen Erholung. Nachhaltiges Wachstum erwartet die Branche frühestens wieder im Laufe des kommenden Jahres. Für diese weiterhin sehr unsichere Lage rüstet sich der drittgrößte deutsche Industriezweig mit neuen oder verschärften Sparprogrammen.

Das zeigen die vorliegenden Prognosen und Ankündigungen der großen, börsennotierten Chemiekonzerne. Am Donnerstag gab auch Evonik detaillierte Ergebnisse bekannt. Der Gewinn brach wegen fehlender Nachfrage im zweiten Quartal um 38 Prozent ein. „Derart schwache Absatzmengen haben wir lange nicht erlebt, über solch einen langen Zeitraum vielleicht noch nie“, sagt Evonik-CEO Christian Kullmann.

Intern geht man bei Evonik davon aus, dass sich die Schwäche der weltweiten Konjunktur bis weit in das erste Quartal 2024 ziehen könnte. Der weltgrößte Chemikalienhändler Brenntag erwartet für das zweite Halbjahr 2023 zwar eine Stabilisierung in der Branche. Einen spürbaren Nachfrageschub sieht aber auch Vorstandschef Christian Kohlpaintner frühestens im Laufe des kommenden Jahres. Ähnlich schätzt BASF-CEO Martin Brudermüller die Lage ein.

Die Krise in der Chemie ist ein Warnsignal für die gesamte deutsche Wirtschaft. Denn die Hersteller von Chemikalien und Kunststoffen beliefern nahezu alle verarbeitenden Industrien, von Auto, Elektronik und Bau bis zu Konsumgütern. Sie spüren konjunkturelle Schwankungen – ob positiv oder negativ – sehr früh.

Die Branche hatte vor allem auf ein Durchstarten der Wirtschaft in China, dem weltgrößten Chemiemarkt, nach dem Ende der Lockdowns gesetzt. Doch dies bleibt bis heute aus. Für die weitere Entwicklung in dem für die Weltwirtschaft entscheidenden Markt wagt aktuell keiner der großen Hersteller eine Prognose.

Die Chemie präsentiert sich aber auch in anderer Hinsicht als Vorreiter: Die Unternehmen halten jetzt ihr Geld zusammen, treiben Kostensenkungen voran oder setzen neue Sparprogramme auf. Viele Firmen kündigen Einstellungsstopps, Anlagenschließungen und Investitionsbremsen an, teilweise bereits auch einen Stellenabbau.

Dies droht auch in anderen Wirtschaftszweigen, die später als die Chemie von einer anhaltenden Konjunkturkrise getroffen werden könnten. Laut Industriekreisen bereiten etwa auch Autozulieferer neue Sparprogramme vor, obwohl es aktuell in der Branche noch vergleichbar gut läuft.

Evonik-Finanzchefin Schuh: „Wir halten das Geld zusammen“

„Wir ziehen alle Hebel, die wir haben“, sagt der neue Finanzchef von BASF, Dirk Elvermann. Der weltgrößte Chemiekonzern hatte bereits im Frühjahr ein Sparprogramm aufgesetzt, das die Kosten in diesem Jahr um mehr als 300 Millionen Euro drücken soll.

Am Standort Ludwigshafen werden mehrere sehr energieintensive Anlagen stillgelegt und abgebaut. Jetzt sollen die Fixkosten weiter überprüft und Lagerbestände gesenkt werden, was den Cash-Bestand verbessern soll. Die geplanten Investitionen für 2023 senkt BASF um 600 Millionen auf 5,7 Milliarden Euro.

„Wir fahren das Unternehmen jetzt auf Cash und halten das Geld zusammen, damit wir finanziell handlungsfähig bleiben“, sagt die neue Finanzchefin von Evonik, Maike Schuh. Die Investitionsausgaben wird Evonik im laufenden Jahr auf etwa 850 Millionen Euro begrenzen, das sind rund 13 Prozent weniger als noch Anfang des Jahres geplant. Der Konzern hat in seinem bereits laufenden Sparprogramm einen Einstellungsstopp verhängt, gekürzt wird auch bei externen Dienstleistern wie Beratungen.

Evonik-Finanzchefin Maike Schuh

„Wir fahren das Unternehmen jetzt auf Cash und halten das Geld zusammen.“

(Foto: Evonik)

Da will auch der Chemiehändler Brenntag in seinem am Mittwoch angekündigten Sparprogramm ansetzen. Bei dem Dax-Konzern sollen 300 Stellen bis Jahresende im Zuge der üblichen Fluktuation nicht neu besetzt werden. 20 Standorte weltweit werden geschlossen.

CEO Kohlpaintner reagiert damit auf die unsichere Lage. Anstatt neue Vorprodukte einzukaufen, haben Industriekunden in den vergangenen Monaten zunächst ihre Vorräte an Chemikalien und Kunststoffen nahezu komplett leer geräumt. Ihre Auftragslage war schwach, zudem spekulierten sie auf weiter fallende Einkaufspreise in der Chemie.

Der Brenntag-CEO geht davon aus, dass dieser Lagerabbau nun ein Ende findet. Damit rechnet auch BASF-Chef Brudermüller. Das erwartete Wiederauffüllen der Lager bei den Kunden soll die Chemieproduktion auf niedrigem Niveau stabilisieren – einen echten Aufschwung versprechen sich Hersteller davon aber nicht.

Lanxess in Köln

Der Chemiespezialist plant drastische Einschnitte.

(Foto: dpa)

„Wir erwarten für die zweite Jahreshälfte 2023 keine weitere Abschwächung der Nachfrage weltweit – auch wenn wir in Europa und den USA rezessive und in China gedämpfte Entwicklungen sehen“, sagt Brudermüller. Allerdings werde die Erholung sehr zaghaft sein. Damit würden auch die Renditen unter Druck bleiben.

Dafür sorgen auch die Energiekosten für die Chemie, die nach Angaben der Hersteller trotz der jüngsten Rückgänge noch immer deutlich über dem Vorkrisenniveau liegen. In dieser Zange zwischen Kostendruck und Nachfrageschwäche sieht sich Lanxess zu drastischsten Einschnitten gezwungen – den ersten Betriebsschließungen.

Lanxess-Chef: „Die Deindustrialisierung hat begonnen“

Gut 100 Millionen Euro will Lanxess schon in diesem Jahr einsparen: je zur Hälfte durch geringere Investitionen und durch Kostensenkungen, zu denen ein europaweiter Einstellungsstopp und auch ein Stellenabbau gehört. Weltweit will Lanxess nun seine energieintensiven Betriebe überprüfen.

Als Erstes trifft es Deutschland: Am Standort Krefeld-Uerdingen wird Lanxess bis 2026 die energieintensive Hexan-Oxidation mit 61 Mitarbeitern schließen. Die Chromoxid-Produktion dort mit 52 Beschäftigten soll verkauft oder womöglich auch stillgelegt werden. „Die Deindustrialisierung in Deutschland hat begonnen“, sagt Lanxess-Chef Matthias Zachert.

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