Viel zu wenige Wohnungen, die viel zu spät fertig werden

Berlin Die Wohnungskrise in Deutschland spitzt sich zu. Nach Daten des Analysehauses Bulwiengesa für das erste Halbjahr 2023 sind Projektentwickler zunehmend zurückhaltend geworden. Vor allem drei Zahlen zeigen die Misere am Wohnungsmarkt:

Bulwiengesa analysiert zweimal jährlich die Lage der Projektentwickler auf dem deutschen Markt. Die Zahlen können damit als Frühindikator dienen, in welche Richtung sich die Immobilienwirtschaft entwickelt.

Die Wohnungswirtschaft warnt seit Langem vor einbrechenden Zahlen im Wohnungsbau. Die Bundesregierung war Ende 2021 mit der Botschaft angetreten, für 400.000 neue Wohnungen jährlich sorgen zu wollen.

Tatsächlich wurden 2022 nach Zahlen des Statistischen Bundesamts 295.300 Wohnungen fertiggestellt. Für die nächsten Jahre rechnet der Spitzenverband der deutschen Wohnungswirtschaft GdW mit abnehmenden Zahlen bis hin zu nur noch 200.000 neuen Wohnungen jährlich.

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Für den GdW steht fest: „Die anhaltenden Preisanstiege infolge von Zinssteigerungen und Langzeitauswirkungen der Coronakrise, aber auch kostentreibende politische Vorgaben und Förderchaos würgen die Investitionsfähigkeit der sozial orientierten Wohnungsunternehmen in ganz Deutschland insbesondere beim Wohnungsneubau ab.“

Thomas Meyer, Mitgründer und Vorstandsvorsitzender der Wertgrund AG, nennt ein Beispiel dafür, wie politische Vorgaben sein Geschäft erschweren. „Das Liesel Quartier in Göttingen mit 590 Wohnungen, davon 40 Prozent gefördert und preisreduziert, war komplett geplant und die Bauanträge vorbereitet und zum Teil schon eingereicht, ausgerichtet auf die Effizienzhausstufe 55“, erzählt der Investor. Doch gebaut wurde es noch immer nicht.

„Erst erforderte eine Anpassung auf die Effizienzhausstufe 40 weitere monatelange Planungsarbeiten“, so Meyer. Jetzt werde geprüft, ob es die neuen, seit März geltenden Anforderungen an klimafreundliche Wohngebäude mit einer entsprechenden Zertifizierung erfülle. Das nehme aufgrund der Kapazitätsengpässe bei den Energieberatern jedoch einige Monate in Anspruch.

„Seit Amtsantritt der Ampelregierung ist die Förderpolitik von Unsicherheit und Veränderung geprägt“, sagt Meyer. Projekte wie das Liesel Quartier seien mehrfach umgeplant worden, um Fördermittel beantragen zu können. „Man will höhere Standards, gleichzeitig sinkt die Förderung, das ist ein doppeltes Dilemma“, sagte Meyer dem Handelsblatt.

>> Lesen Sie hier: „Ich sehe nicht, wie das gehen kann“ – Bauministerin gegen schärfere Energiestandards

Die Effizienzhausstufe EH40 bedeutet, dass ein Gebäude nur 40 Prozent der Energie verbraucht, die ein gesetzlich definiertes Standardhaus benötigt. Gefördert werden derzeit Wohnungen mit diesem Standard.

EH55 ist gesetzlicher Neubaustandard geworden; Fördermittel gibt es dafür nicht mehr. Eine weitere Verschärfung ist nicht ausgeschlossen. Der Koalitionsvertrag sieht vor, den Neubaustandard auf EH40 anzuheben. Bundesbauministerin Klara Geywitz (SPD) ist jedoch dagegen, um den Wohnungsbau nicht weiter zu verteuern.

Baustelle in Hamburg

Die Projektentwickler beklagen immer neue Bauvorschriften und Bedingungen für Fördergelder.

(Foto: dpa)

Längst wirken sich die Verzögerungen und Absagen auf die Baubranche aus. Erst am Dienstag schlug der Hauptgeschäftsführer des Zentralverbands Deutsches Baugewerbe (ZDB) Alarm: „Leider ist keine Trendwende bei der Nachfrage im Wohnungsbau erkennbar“, sagte Felix Pakleppa.

Im Vorjahresvergleich seien die Baugenehmigungen für Wohngebäude um mehr als 30 Prozent eingebrochen. Bei den Auftragseingängen im Wohnungsbau betrage der Rückgang ebenfalls ein Drittel. Pakleppa: „Die Rückmeldungen aus den Unternehmen lassen eine Fortsetzung dieses Negativtrends in den kommenden Monaten erwarten.“

Noch zehrten die Unternehmen von den Auftragsbeständen der Vorjahre, so der ZDB-Hauptgeschäftsführer. Ein Drittel der Unternehmen beklage aber schon jetzt einen Mangel an Aufträgen. „Da wächst ein enormer Druck, den Beschäftigungsstand zu halten.“

Die Entwicklung sei ein Weckruf an die Politik. „Ein positives Signal an Häuslebauer, Investoren und die Bauwirtschaft ist jetzt so wichtig wie lange nicht mehr.“ Dieses Signal könne etwa eine bessere finanzielle Unterstützung durch die KfW, ein reduzierter Mehrwertsteuersatz oder eine niedrigere Grunderwerbsteuer sein. „Es muss etwas geschehen für den Wohnungsbau.“

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