US-Bürger zweifeln immer stärker an Joe Biden

Washington Joe Biden joggt. Es sind immer nur ein paar Sekunden, doch sie wirken wie ein Ritual: anlaufen, abbremsen, zackig weitergehen. Er joggt auf dem Weg zum präsidialen Helikopter Marine One, er joggt zum Rednerpult. Neulich, als seine Frau Jill die Popsängerin Ciara im Weißen Haus empfing, war Biden auf dem Sprung zu einem Termin und kehrte um für ein schnelles Hallo. Joggend natürlich.

Biden legt Wert darauf, in der Öffentlichkeit dynamisch zu wirken. Auch das Weiße Haus bemüht sich, Zweifel an Bidens Gesundheit zu zerstreuen, schließlich ist er mit 79 Jahren der älteste US-Präsident aller Zeiten. „Er raucht nicht, trinkt nicht und treibt fünfmal die Woche Sport“, heißt es im Bericht seines Leibarztes.

Doch die Demonstration der Stärke passt kaum zum abgekämpften Zustand seiner Präsidentschaft. Noch vor wenigen Monaten wurde Biden wie ein Erlöser gefeiert: von den 81 Millionen US-Amerikanern, die ihn wählten, und in Europa. Jetzt, am Ende seines ersten Amtsjahres, ist die Botschaft des Aufbruchs verbrannt.

Der Afghanistanabzug, die Delta-Welle und die Flüchtlingskrise an der Grenze zu Mexiko gaben Kritikern Aufwind, akut kratzen Inflation, Warenknappheit und kletternde Benzinpreise an Bidens Rückhalt.

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Bidens Zustimmungswerte sind im Keller, abgesehen von Trump war kein Präsident zu diesem Zeitpunkt unbeliebter als er. „Die Menschen sind frustriert“, sagt der demokratische Stratege Zac McCrary. Selbst, wenn sich die wirtschaftliche Situation entspanne, sei ein Eindruck schwer auszubügeln: Biden und seine Partei werden als „out of touch“, als realitätsfern, wahrgenommen. 

Mehr als die Hälfte der Amerikaner zweifelt an „geistiger Fähigkeit“ Bidens

Je länger die Krise anhält, desto mehr drängt sich die Frage auf, inwiefern Bidens greises Alter zum Vertrauensverlust beiträgt. Ein großer Redner war er noch nie, Biden war in seiner Kindheit ein Stotterer, aber hat gelernt, damit umzugehen. Im Wahlkampf verziehen ihm seine Anhänger gelegentliche Genuschel und Versprecher. Doch als Präsident steht er unter besonderer Beobachtung: Laut einer Umfrage des Instituts Harvard/Harris zweifeln mehr als die Hälfte der US-Amerikaner daran, dass Biden „geistig dienstfähig“ sei.

Die Frage, ob er eine zweite Amtszeit im Oval Office durchhalten könnte, wird immer häufiger diskutiert – an deren Ende wäre der Präsident 86 Jahre alt. Unmittelbar nach der Wahl hatte Biden zwar erklärt, 2024 eine Wiederwahl anzustreben, seine Unterlagen für die Kandidatur hat er allerdings noch nicht eingereicht.

Das stärkste Argument für Biden: Es fehlt an einem demokratischen Kandidaten, der ihn im Wahlkampf 2024 ersetzen könnte. Was auch daran liegt, dass die für diese Rolle eigentlich prädestinierte Vizepräsidentin Kamala Harris bislang nicht so recht in ihrem neuen Amt angekommen und bei der Bevölkerung ziemlich unbeliebt ist. Keine guten Aussichten für einen Wahlkampf gegen einen republikanischen Kandidaten, der dann womöglich erneut Donald Trump heißt.

McCrary glaubt, dass die im November beschlossene Infrastrukturreform dem Präsidenten Aufwind verleihen wird. „Biden hat geliefert, kann auf konkrete Erfolge verweisen.“ Doch das Paket könnte der letzte Erfolg der Demokraten gewesen sein, schon im Herbst 2022 könnte bei den „Midterms“ genannten Parlamentswahlen die Mehrheit im Kongress an die Republikaner fallen.

Wer sich in der US-Hauptstadt umhört, erlebt Ernüchterung und Frust. In Gesprächen bricht die Sorge durch, dass Washington bald wieder von Nationalisten regiert wird. Tatsächlich haben ausländische Diplomaten nie damit aufgehört, Kontakte zu den Republikanern zu pflegen, auch wenn sich die Partei radikalisiert und dem Trumpismus unterworfen hat. Umso stärker bringen sich die Republikaner in Stellung, die die Kongresswahlen schon jetzt für sich gewonnen sehen. Danach will die Partei ihre Revanche bei den Präsidentschaftswahlen 2024 vorbereiten. 

Republikaner-Chefin: „Joe Biden zerstört die USA“

Washington, Frühstück in einem Fünfsternehotel, das Weiße Haus in Sichtweite. Ein Treffen mit Ronna McDaniel, Chefin der Republikanischen Partei. Ein Kellner lässt Teller mit Rührei und Wurst auf gestärkte Tischdecken gleiten, McDaniel bleibt bei Wasser und Cola light. „Wir werden phänomenale Midterms haben“, sagt sie. „Und alles, was wir tun müssen, ist über Joe Biden zu sprechen“, fügt sie hinzu. „Im Ernst, die Demokraten reden an den Menschen vorbei, wir reden mit ihnen. Das ist der Schlüssel zum Sieg.“ Biden „zerstöre“ die USA, so die 48-Jährige. 

Ronna McDaniel, Vorsitzende der Republikaner

Die Kritik an Biden aus den Reihen der Republikaner lässt nicht nach. Seit seiner Kandidatur zweifeln Parteifunktionäre an seiner Gesundheit.

(Foto: Reuters)

Es wäre leicht, die Aussagen als hohle Attacken der Opposition abzutun, doch die Republikaner haben Grund zum Triumph. Noch zum Jahresbeginn saß der Schock über den Sturm rechter Extremisten auf das Kapitol tief. Biden startete als Alternative der Vernunft ins Amt, bot kaum Angriffsfläche. Doch die Stimmung im Land hat sich gedreht, die Republikaner sind selbstbewusster denn je. „Bei den Wahlen geht es um Joe Biden und sein Versagen“, unterstreicht Ronna McDaniel. 

Die Schwäche der Demokraten ist zum Teil selbst verschuldet. Ein Warnsignal waren die Gouverneurswahlen in Virginia und New Jersey, zwei Ostküstenstaaten mit linker Basis. New Jersey verteidigte Bidens Partei nur knapp, Virginia eroberten die Republikaner. „Wir kämpfen gegen uns selbst“, kritisiert Jane Kleeb, Demokraten-Chefin im Bundesstaat Nebraska.

Hier, im Kernland der USA, dominieren die Republikaner. Aus Sicht von Kleeb muss die Demokratische Partei aus Fehlern in der Provinz lernen. „Demokraten konzentrieren sich zu sehr auf Großstädte und Swing-Saaten“, klagt sie, dabei zähle in Zeiten knapper Mehrheiten jede Stimme. „Republikaner machen es besser, sie sind die ganze Zeit auf dem Land unterwegs.“

Bidens Pannen häufen sich 

Aber welche Botschaft wollen die Demokraten setzen? Spätestens seit dem Virginia-Debakel ist der Richtungskampf der Partei offen ausgebrochen. Biden treibe zu sehr nach links, mit massiven Staatsausgaben und grünen Utopien, schimpfen Zentristen. Linke wie die Abgeordnete Alexandria Ocasio-Cortez behaupten das Gegenteil. „Unser Input war in Virginia nicht erwünscht“, sagte sie der „New York Times“, „das Ergebnis haben wir gesehen. Nur zu sagen, wir sind anders als Trump, das reicht nicht mehr.“

Im Kongress geht das Gerangel in die nächste Runde, die Demokraten streiten um ein Billionenpaket für Soziales und Klimaschutz, Kern von Bidens Wirtschaftsagenda. Verlässlichkeit sieht anders aus. 

Biden versucht nun, was er am besten kann: im direkten Gespräch mit dem Bürger Sympathien zu wecken. Zwei- bis dreimal die Woche tourt der Präsident quer durchs Land. Am Frachthafen von Baltimore schnappte er sich die Handys von Fans, um Mutti oder Großpapa Überraschungsgrüße zu schicken.

Joe Biden

Die Zustimmungswerte für den US-Präsidenten sind niedriger denn je. Der Hype, den es um ihn zu Beginn seiner Amtszeit gab, ist längst verflogen.

(Foto: Reuters)

Biden, der Volksversteher, scheint bei solchen Events gut in Schuss, auch sein Leibarzt sieht keinen Grund zur Sorge. Doch die Pannen häufen sich: Mal entwischt ihm eine wirre Aussage zum Chinakonflikt, mal ertappen ihn die Kameras mit geschlossenen Augen beim Klimagipfel in Glasgow. Das Weiße Haus scheint Risiken begrenzen zu wollen, seit fast drei Monaten gab es keine Solo-Pressekonferenz mehr mit Biden. 

Kamala Harris ist als Nachfolgerin nicht mehr gesetzt

„Nun, Joe Biden könnte ein Problem damit haben, sich daran zu erinnern, dass die Inflation uns seit seinem Amtsantritt begleitet“, lästerte die Republikanerin Marsha Blackburn bei einem Umtrunk auf dem Capitol Hill. Der Saal, getränkt mit Rotweinduft und Häme, brüllte vor Lachen. Doch selbst demokratische Anhänger sind verunsichert, ob Biden noch die richtige Frontfigur ist. Laut der Harvard/Harris-Umfrage finden nur 40 Prozent, dass er 2024 erneut kandidieren sollte. 

Das Biden-Tief bringt die Demokraten in eine unkomfortable Situation. Einerseits sind sie abhängig vom Erfolg des Präsidenten und zur Loyalität gegenüber Biden verpflichtet. „Ich nehme ihn beim Wort“, sagt der Stratege McCrary. „Dieser Mann wollte seit Jahrzehnten ins Weiße Haus. Ich gehe fest davon aus, dass er sich wieder zur Wahl stellt.“ Sollten die Republikaner erneut Trump aufstellen, so das Magazin „Politico“, wäre diese Variante am wahrscheinlichsten.

Doch ein anderes, lange als plausibel angenommenes Szenario rückt in weite Ferne: Für den Fall, dass sich Biden nicht in den Wahlkampf stürzen kann oder will, sollte ursprünglich Vizepräsidentin Kamala Harris antreten. Allerdings ist Harris noch unbeliebter als Biden, die Euphorie über die erste Frau auf dem Vizeposten scheint verflogen.

Bereits im Vorwahlkampf 2020 schied die Kalifornierin mangels Unterstützung aus dem Präsidentschaftsrennen aus – und aktuell sieht es nicht so aus, als ob sie im Amt Sympathien wettmachen könnte. Der Sender CNN veröffentlichte eine desaströse Innenansicht, „ihre Mitarbeiter haben sie wiederholt im Stich gelassen und bloßgestellt“, heißt es darin. Harris kümmert sich um die Flüchtlingskrise und um ein faires Wahlrecht. Beides sind komplexe Themen ohne schnelle Erfolge, Harris steht permanent unter Beschuss von links und rechts.

Kamala Harris und Joe Biden vor dem Weißen Haus

Vor einiger Zeit kursierten Gerüchte über Spannungen im zwischen dem Präsidenten und seiner Stellvertreterin.

(Foto: Reuters)

Dass sie Biden als Kandidatin folgen wird, ist nicht mehr gesetzt. In demokratischen Kreisen fallen stattdessen die Namen von Jungstars wie die des Verkehrsministers Pete Buttigieg, des Abgeordneten Connor Lamb, der Graswurzel-Aktivistin Stacey Abrams oder der Linken Katie Porter.

Es hilft nicht, dass sich Biden und Harris nicht immer optimal abstimmen. Nach dem umstrittenen Freispruch des 18-jährigen Kyle Rittenhouse, der zwei Menschen am Rande der Black-Lives-Matter-Krawalle mit einem Sturmgewehr erschoss, war die frühere Staatsanwältin Harris empört. „Das Justizsystem muss reformiert werden“, sagte sie. Ganz anders der Präsident: „Ich bin nicht mit dem Urteil einverstanden, aber unser Justizsystem funktioniert.“

Befeuert wird der Widerstand gegen die US-Regierung von einer toxischen Social-Media-Kultur, die Bidens Ausrutscher vorführt und seine Vizepräsidentin mit sexistischen und rassistischen Beleidigungen überhäuft. Die USA sind nicht befriedet, die politische Kultur des Landes ist extrem polarisiert.

Die wenigen Republikaner, die Bidens Infrastrukturpaket unterstützen oder sich von Trumps Wahlbetrugslüge distanzieren, erhalten Todesdrohungen. Republikanische Staaten ändern das Wahlrecht gezielt so, dass es demokratische Kandidaten schwerer haben. Im Dezember könnte sich die politische Spaltung des Landes erneut manifestieren, wenn der oberste Gerichtshof über das amerikanische Abtreibungsrecht entscheidet. 

„Trump ist ein zentraler Faktor“

Noch steht nicht fest, ob Trump überhaupt kandidiert, vor den Midterms dürfte er sich nicht positionieren. Doch sein Einfluss auf die Republikaner ist ungebrochen. „Er hat unsere Partei aufgebaut. Er hat eine neue Basis geschaffen. Wir sind eine Arbeiterpartei geworden“, sagt Republikaner-Chefin McDaniel beim Fünf-Sterne-Frühstück über Trump. „Er ist und bleibt ein großer, zentraler Faktor.“

Donald Trump spricht in Sarasota

Trump war nach dem erneuten Amtsenthebungsverfahren, wegen des Sturms auf das Kapitol, von der Bildfläche verschwunden. Mit seinen Unterstützern kommuniziert er momentan vor allem über eine E-Mail-Liste.

(Foto: Reuters)

Je mehr die Republikaner zusammenhalten, desto stärker wird der Druck auf Biden. Zunehmend versucht er, die Verunsicherung seiner Basis zu adressieren. „Ich weiß, ihr seid müde von Washington. Wir sehen eure Bedürfnisse, eure Anliegen, eure Gespräche, die ihr am Küchentisch führt“, ruft der Präsident an einem klaren Novembertag, bevor er sein 1,2 Billionen Dollar schweres Infrastrukturpaket unterzeichnet.

Es ist ein seltener Moment des Jubels, das Weiße Haus hat die Zeremonie wie einen Nationalfeiertag inszeniert. Flaggen von jedem US-Staat wehen auf der Südwiese im Wind, eine Militärkapelle spielt die Hymne „Hail to the Chief“.

Am Ende der Veranstaltung irrt ein prominenter Gast umher: der scheidende New Yorker Bürgermeister Bill de Blasio. „Natürlich wird uns die Reform Aufwind geben“, sagt er im Vorbeigehen. „Das Paket kommt direkt bei den Menschen an.“ Dann bleibt er irritiert stehen. De Blasio ist selten im Weißen Haus und weiß nicht, welche der Sicherheitsschleusen ihn zu seinem Fahrer führt. Es scheint, als ob nicht nur der New Yorker Demokrat orientierungslos ist, sondern seine ganze Partei. 

Mehr: Die USA drohen mit neuen Sanktionen gegen Nord Stream 2 – Joe Biden verliert die Geduld mit Deutschland

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