Nervenkrieg um den Niger – Geht die Region in Flammen auf?

Kapstadt Noch ist der Kampf gegen die Putschisten nicht entbrannt, doch der diplomatische Nervenkrieg zwischen der Junta und der westafrikanischen Staatengemeinschaft (Ecowas) geht in eine neue Phase. Die Ecowas-Staaten wollen mit dem Aufbau einer schnellen Eingreiftruppe ihre Drohkulisse verschärfen, wie sie Donnerstagabend bei ihrem Sondergipfel in Nigerias Hauptstadt Abuja ankündigten.

Ein großer Krieg in der Sahelzone, darüber sind sich politische Beobachter einig, würde verheerende Auswirkungen auf Europa haben. Aber wie groß ist die Wahrscheinlichkeit, dass die gesamte Region in Flammen aufgeht?

Während die Ecowas, unterstützt von der EU und den USA, einen völligen Machtverzicht der Putschisten fordert, scheinen die Umstürzler fest entschlossen, an der Macht festzuhalten.

Niger war der letzte feste westliche Verbündete in der Region. Sollte es zu einem militärischen Konflikt kommen, droht eine weitere Destabilisierung in West- und Zentralafrika, wo allein in den vergangenen drei Jahren nunmehr bereits sieben Putsche verübt wurden. Die von Hunger und Gewalt geplagte Sahel-Zone zählt zu den ärmsten Regionen der Welt.

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Tausende Menschen sind ums Leben gekommen, Millionen auf der Flucht – auch mit dem Ziel Europa. Speziell der Niger ist zudem wegen seiner führenden Rolle bei der Bekämpfung von Islamisten in der Region relevant. Außerdem sind es die Uran- und Ölreserven des Landes, die das Land für die USA, China und Russland begehrlich erscheinen lassen.

Trotz aller Drohgebärden der Ecowas-Staaten ist eine Invasion nach Ansicht von Beobachtern nicht zwangsläufig. Selbst in Nigeria wird ein Krieg nur als letzte Option betrachtet, worauf auch die Mahnung von nigerianischen Senatsangehörigen hindeutet, die der Ecowas nahelegten, vor einem Einmarsch im Niger alle politischen und diplomatischen Optionen voll auszuschöpfen.

Seiner Verfassung zufolge kann Nigeria ohne die ausdrückliche Zustimmung des Senats keine Truppen ins Ausland schicken. Dazu müsste eine unmittelbare Gefahr für oder Bedrohung seiner nationalen Sicherheit bestehen. Aber auch in Nordnigeria haben sich führende islamische Geistliche bereits gegen einen solchen Schritt ausgesprochen.

Treffen der Westafrikanischen Wirtschaftsgemeinschaft in Nigeria

Mit einer Eingreiftruppe soll der Druck auf die Putschisten erhöht werden.

(Foto: IMAGO/Focal Point Agency)

Ecowas fehlt zudem die Unterstützung anderer Regionalmächte, die an den Niger grenzen. Der algerische Präsident Abdelmadjid Tebboune erklärte sich kategorisch gegen jede Form einer militärischen Intervention, die er als direkte Bedrohung seines Landes betrachte. Aber auch der zuvor oftmals jenseits der eigenen Grenzen aktive Tschad widersetzt sich diesmal einer mit Gewalt verbundenen Intervention.

Eine erste grobe Umfrage seit dem Umsturz, die die Meinungsforschungsgruppe Premise Data für das Wirtschaftsblatt „The Economist“ im Niger machte, kam zu dem Ergebnis, dass 78 Prozent der Befragten die Machtübernahme der Militärs dort unterstützen. Eine knappe Mehrheit sagte, sie sei gegen eine Intervention regionaler oder internationaler Akteure in ihrem Land.

Favorit Russland

Von denen, die eine ausländische Einmischung befürworteten, sprach sich die Hälfte für eine von den Russen getragene Intervention aus. Nur 16 Prozent entschieden sich für die USA, und nur vier Prozent wollten eine Intervention seitens der Ecowas. Obwohl wegen der geringen Größe und des Fokus auf die Hauptstadt Niamey von begrenzter Aussagekraft, geben die Ergebnisse der Umfrage doch einen groben Eindruck in die Stimmungslage.

Pro-russischer Demonstrant

Im Niger gibt es nach dem Ergebnis einer Umfrage mehr Sympathisanten für Russland als für den Westen.

(Foto: dpa)

Neben dem Mangel an Unterstützung fürchtet der westafrikanische Staatenbund, dass die Kosten einer Militäraktion außer Kontrolle geraten könnten. Sicherheitsexperten in Lagos bezeichneten Nigeria, das als Triebfeder der Aktion gilt, als finanziell viel zu schwach, um eine solche Operation zu stemmen.

„Allerdings könne es sich auch der Westen nicht leisten, zu stark in eine solche Aktion eingebunden zu sein“, sagt Analystin Cheta Nwanze von sbm Intelligence, einer nigerianischen Agentur für politische Kommunikation.

Zwar hat Frankreich bereits seine Unterstützung für die Ecowas-Initiative in Aussicht gestellt, dabei allerdings den Umfang der eigenen Beteiligung offengelassen. Auch ist unklar, ob sich Frankreich oder die EU finanziell stärker beteiligen würden, zumal man befürchtet, in den Neokolonialismus-Verdacht zu geraten.

Französische und amerikanische Soldaten im Niger

Der Niger ist Stützpunkt von etwa 1.500 französischen Soldaten, die nach ihrem Rauswurf aus dem benachbarten Mali nun von hier aus gegen die vielen Dschihadisten in der Region kämpfen. Aber auch Amerika hat mehr als 1000 Soldaten in Niger stationiert, mehrheitlich in den Drohnenbasen zur Überwachung der Sahara.

Wie es damit weitergeht, ist derzeit offen. Das neue Militärregime weiß, dass eine Ausweisung enorme finanzielle und sicherheitspolitische Auswirkungen für den Niger hätte – und die Sicherheitslage in dem Land noch verschlechtern könnte.

Allerdings haben die Putschisten auch eigene Verbündete. Dazu zählen Burkina Faso und Mali, die nach eigener Aussage ein Vorgehen gegen Niger als Kriegserklärung gegen sich selbst betrachten würden. Vertreter der neuen Militärregierung sind angeblich bereits nach Mali gereist, um eine Unterstützung durch die dort seit zwei Jahren stationierten 1000 russischen Wagner-Söldner zu sondieren.

Vor allem für den Niger ist dies ein Spiel mit dem Feuer: Die USA würden eine Allianz Nigers mit den Söldnern zweifellos als eine feindselige Aktion betrachten und in dem Fall wohl die nun zunächst eingefrorene Hilfe ersatzlos streichen, gerade im Sicherheitsbereich.

Warnung vor den Wagner-Söldnern

US-Außenminister Blinken hatte kürzlich bereits deutlich Stellung bezogen und erklärt, dass „überall, wo Wagner auftaucht, Tod, Zerstörung und Ausbeutung folgen“.

Der Sturz einer von Zivilisten getragenen Regierung durch das Militär ist in Westafrika alles andere als ein neues Phänomen. Der jüngste Umsturz im Niger reiht sich vielmehr ein in eine lange Reihe ähnlicher Aktionen in der Region, die bereits kurz nach der Unabhängigkeit vor 60 Jahren begannen und ihr den Beinamen „Putschgürtel“ bescherten.

Allein seit 2020 kam es in Guinea, Mali und Burkina Faso zu gleich drei Umstürzen, weswegen die Mitgliedschaft aller drei Länder in der westafrikanischen Wirtschaftsgemeinschaft Ecowas derzeit ausgesetzt ist.

Außergewöhnlich war diesmal allein die sehr scharfe Reaktion der in der Ecowas verbliebenen zwölf Staaten: Sie hatten auf Drängen der regionalen Großmacht Nigeria unmittelbar nach dem Putsch beschlossen, diesmal nicht nur Grenzen und Luftraum zum Niger zu schließen, sondern auch die Demokratie notfalls mit Gewalt wiederherzustellen.

Offenbar will die Organisation damit ein klares Zeichen der Abschreckung setzen, ehe weitere Umstürze in den verbliebenen Demokratien folgen.

Mehr: Niger schließt Luftraum – Ultimatum an Militärjunta abgelaufen.

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