Magdeburg bereitet sich auf den Chip-Boom vor

Magdeburg Die Gänge sind eng und die Geräte veraltet, dazu ist der Reinraum der Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg völlig unpraktisch im Obergeschoss gelegen. Bis vor Kurzem musste Leiter Jörg Vierhaus noch um sein Lebenswerk fürchten. Alles hier deutete auf ein schleichendes Ende hin. Zu teuer und zu wenig ausgelastet schien seine Forschungsstätte für die Chipproduktion. Dann kam Intel.

Vom „Leiter Reinraum“ ist Ingenieur Vierhaus inzwischen zum „Leiter der Stabsstelle Mikrotechnologie“ aufgestiegen. Die Ausbildung von Fachleuten ist nun im Interesse des ganzen Landes. Die Steuermilliarden lohnen sich schließlich nur, wenn genügend Spezialistinnen und Spezialisten zur Verfügung stehen, um die Chipfabriken zu betreiben. Jetzt darf Vierhaus sogar hoffen, dass in den kommenden Jahren an der Hochschule für einen zweistelligen Millionenbetrag ein ganz neuer Reinraum entsteht.

Intel wird zum Hoffnungsträger einer ganzen Region

So wie Vierhaus rechnet die ganze Region, ja ganz Sachsen-Anhalt mit einem kräftigen Schub durch die Ansiedlung von Intel. „Das Potenzial ist riesig“, sagt Robert Franke, Chef der Investitions- und Marketinggesellschaft Sachsen-Anhalt.

Der Physiker weiß, wovon er spricht: Bis Ende vergangenen Jahres war er in Dresden Amtsleiter der Wirtschaftsförderung und hat mitgeholfen, dass sich der Autozulieferer Bosch mit einem neuen Chipwerk niederließ. Kurz vor seinem Wechsel nach Magdeburg entschied sich der Dax-Konzern Infineon, für fünf Milliarden Euro eine weitere Halbleiterfabrik im „Silicon Saxony“ hochzuziehen.

Die Bundesregierung will Investitionen in der Chipbranche in den kommenden Jahren mit rund 20 Milliarden Euro anschieben. Ab 2024 soll die Halbleiterförderung aus dem Klima- und Transformationsfonds (KTF) finanziert werden, wie das Wirtschaftsministerium am Dienstag mitteilte.

Die Milliardensubventionen sind jedoch umstritten. Viel sinnvoller wäre es, den Standort Deutschland etwa durch Steuersenkungen für Investoren attraktiv zu machen, sagte Clemens Fuest, Chef des Ifo-Instituts, am Montag bei einer Veranstaltung des Clubs Wirtschaftspresse in München.

Der Wirtschaftsforscher bezweifelte auch, dass Deutschland mit den Werken unabhängiger bei der Versorgung mit Halbleitern wird. Würden die Bauelemente eines Tages knapp, etwa weil das wichtige Produzentenland Taiwan als Lieferant ausfalle, werde Intel sie meistbietend weltweit losschlagen, erklärte der Ökonom.

Die Chancen stehen unterdessen nicht schlecht, dass sich neben Dresden nun auch in Magdeburg ein Chip-Cluster bildet. Sachsen-Anhalt ist dabei, sich überraschend schnell einen Platz auf der Landkarte der Hochtechnologie zu erobern. So hat zuletzt das Elektronikunternehmen Sioux angekündigt, sich im Umland niederzulassen.

Die Niederländer errichten für 20 Millionen Euro einen Entwicklungs- und Fertigungsstandort und wollen mehr als 300 Jobs schaffen. Die Begründung, warum Sioux gerade jetzt kommt, lässt aufhorchen: „Wir setzen auf die Hightech-Umgebung und sind froh, dass wir schon am 1. Oktober hier anfangen können, bevor die große Welle losgeht“, sagte Europachef Leon Giesen.

Fachkräfte sind entscheidend für die Chipkonzerne

So ist zu erwarten, dass sich in den kommenden Jahren zahlreiche Lieferanten in der Nähe von Intel ein Grundstück sichern. Dabei kalkuliert Roland Giesen, Chef des sächsischen Chipausrüsters Fabmatics, pro Stelle in der Fabrik selbst mit acht Jobs in deren Umfeld. In Magdeburg gäbe es demnach künftig 24.000 neue Arbeitsplätze; der Halbleiterhersteller selbst plant mit 3000 Beschäftigten.

Schon jetzt beschäftigt Intel in Magdeburg 30 Mitarbeiter. Drei davon sind fürs Personal zuständig. Sie haben eine der kniffeligsten Aufgaben zu lösen – das zeigt sich derzeit beim Rivalen TSMC.

Geplante Intel-Chipfabrik

So soll die Fabrik des US-Konzerns in Magdeburg einmal aussehen. Intel will 30 Milliarden Euro investieren.

(Foto: dpa)

Der weltgrößte Auftragsfertiger der Chipindustrie hat gerade den Betriebsbeginn für sein milliardenschweres neues Werk in Arizona um ein Jahr auf 2025 verschoben. Den Taiwanern fehlen in Amerika die nötigen Fachleute. „Wir arbeiten daran, dies zu verbessern, indem wir qualifizierte technische Arbeitskräfte von Taiwan in die USA entsenden“, sagte TSMC-Chairman Mark Liu in der vergangenen Woche.

>> Lesen Sie hier: Chipstreit zwischen dem Westen und China eskaliert

Um in Magdeburg nicht in dieselbe Falle zu tappen, engagiert sich Intel bereits an der Universität – und darüber hinaus. So sponsert der Konzern aus dem Silicon Valley neues Equipment im Reinraum. Stabsstellenleiter Vierhaus kann nun wieder vier junge Menschen in Mikrotechnologie ausbilden. Die Lehrstellen waren vor neun Jahren gestrichen worden.

Es ist nur ein kleiner Schritt, aber Vierhaus sieht es als Start von etwas Großem: „Es geht ein Ruck durch die Universität.“

So bietet Rektor Jens Strackeljan ab dem Wintersemester 40 Plätze in einem Masterstudiengang „Advanced Semiconductor Nanotechnologies“ an. Der Maschinenbauer glaubt, dass seine Hochschule durch das Engagement von Intel in der Stadt deutlich attraktiver wird. Es sei bislang nicht einfach gewesen, Studierende von Magdeburg zu überzeugen.

„Wir sind jetzt eine deutlich aufgehübschte Braut“, findet Strackeljan. 13.500 Studierende zählt die Universität, es waren schon einmal 1000 mehr. „Wir müssen wieder wachsen“, sagt er.

Am liebsten würde Strackeljan weitere Chipstudiengänge und auch ein Graduiertenprogramm auf diesem Feld anbieten. Weil Intel allein 1000 Akademiker einstellen wird, sind die Jobaussichten glänzend. Allerdings stehe bislang kein zusätzliches Geld zur Verfügung. Er müsste also Mittel zulasten anderer Disziplinen umschichten.

Deutschland fehlen die Chipdesigner

Experten sehen dringenden Handlungsbedarf in der Halbleiterausbildung weit über Magdeburg hinaus. „In ganz Deutschland gibt es noch keinen einzigen dezidierten Studiengang für Chipdesign“, sagt Tanjeff Schadt, Partner der Beratungsgesellschaft Strategy& Deutschland. Das Institut der deutschen Wirtschaft ermittelte jüngst in einer von den Verbänden BDI und ZVEI in Auftrag gegebenen Studie, dass hierzulande 62.000 Fachkräfte in Berufen der Halbleiterindustrie fehlen.

Strategy&-Partner Dieter Kern sieht unterdessen auch Konzerne wie Intel in der Pflicht. „Die Chipfirmen müssen ihre Jobs positionieren wie ein Produkt. Davon sind viele Unternehmen noch weit entfernt.“

Intel versucht bereits, sich in der Stadt einen Namen zu machen. So nahm der Konzern unlängst an der „Langen Nacht der Wissenschaft“ teil. Dabei sind derzeit noch gar keine Stellen zu besetzen. Die Massenfertigung wird erst 2027 starten.

Künftige Intel-Baustelle in Magdeburg

Anfang kommenden Jahres soll der Bau der Werk starten.

(Foto: Getty Images; Per-Anders Pettersson)

Zunächst sind nun die Bauarbeiter gefragt. Anfang kommenden Jahres werden die Bagger voraussichtlich auffahren, bis zu 7000 Menschen werden dann auf dem Areal im Süden von Magdeburg tätig sein. Und wenn es für Reinraum-Chef Vierhaus gut läuft, steht bald auch noch ein Kran auf dem Campus der Uni.

Mehr: Bund hat höhere Intel-Subventionen an Klauseln gebunden.

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