Last-Minute-Pionier Kögel verkauft ab August Reisen per KI-Beratung

Baden-Baden Freundlich und präzise erkundigt sich der Textroboter, wie sich potenzielle Kunden den perfekten Urlaub vorstellen. „Welche Aktivitäten am Ferienort bevorzugen Sie?“, will er wissen, und natürlich auch: „Wie groß ist Ihr Budget?“ Die Zahl der mitreisenden Kinder und deren Alter ist dem Chatbot ebenfalls eine Anfrage wert. Die Hinweise des Reiseinteressenten, dass er gehbehindert sei und seine Frau nur vegetarisch esse, vermerkt der Bot obendrein.

Wenige Minuten später flimmern fünf individuell erstellte Pauschalreise-Angebote auf dem Bildschirm. Dazu präsentiert das Programm Wissenswertes über die Urlaubsregion, garniert mit ansprechenden Bildern von Landschaften, kulinarischen Erlebnissen, Sehenswürdigkeiten. Fotografiert hat sie in der kurzen Zeit niemand, erstellt werden sie durch Künstliche Intelligenz – KI statt Katalog.

„Wir bauen das Reisebüro 2.0“, beschreibt Karlheinz Kögel sein jüngstes Projekt. Der Erfinder der Last-Minute-Reise in Deutschland ist heute Inhaber des Restpostenvermarkters HLX, den er unter anderem gemeinsam mit der Lufthansa-Tochter Eurowings vorantreibt. „Der durch KI gesteuerte Prozess der Reisesuche ist maßgeschneidert für die neue Generation der Reisenden.“

Karlheinz Kögel

Der Last-Minute-Pionier will die Tourismusbranche mit der Einführung einer KI erneut revolutionieren.

(Foto: Anna Ziegler )

An diesem Nachmittag sitzt der 76-Jährige im abgedunkelten Konferenzraum seines Baden-Badener Palais und projiziert gleich mehrere Live-Chats an die Wand. „GPT4 – Mein Reiseberater“ hat er das selbstlernende Internetprogramm getauft, das ihm die Hamburger IT-Firma Honeepot entwickelt – und das er Mitte August fürs breite Publikum freischalten will.

HLX, ein Pauschalreise-Direktvermarkter, ist seit 2010 das Hauptgeschäft des vielseitigen Unternehmers Kögel. Den Markennamen – ursprünglich die Abkürzung für den Tuifly-Vorgänger Hapag-Lloyd Express – erwarb er bei Tui in Lizenz.

Mit L’tur der Erfinder von Last Minute geworden

Seither stellt die Firma aus Hotelangeboten, Flugzeug-Sitzplätzen und Urlaubsbetreuungen in den Feriengebieten Pakete zusammen, die zum Teil von Discountern wie Lidl oder Hotelketten wie Iberostar unter eigenem Namen verkauft werden. Die Reisepakete aus Baden-Baden stecken außerdem hinter allem, was im Internet unter „Lufthansa Holiday“ oder „Eurowings Holiday“ zu erwerben ist.

In der Touristik gilt Karlheinz Kögel als Urgestein und als schillernde Persönlichkeit. 1987 machte ihn eine revolutionäre Idee auf einen Schlag bekannt: Kögel hatte den LTU-Vertriebsdirektor und späteren Air-Berlin-Gründer Joachim Hunold überredet, ihm nicht verkaufte Restplätze seiner Airline günstig zu überlassen.

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Der Baden-Badener Unternehmer verknüpfte sie kurzerhand mit Übernachtungsangeboten und offerierte sie zu Tiefpreisen an 140 Verkaufsstellen in Deutschland unter dem Namen LTUR. Weil sich Hunold über die Namensähnlichkeit mit LTU beschwerte, Kögel inzwischen aber auch andere Fluggesellschaften um ihre Restplätze erleichterte, hieß die Firma kurz darauf L’tur – und wurde zum Gattungsbegriff für Last-Minute-Reisen. Erst 2016 gingen die letzten Unternehmensanteile an die Tui.

Die schillernde Karriere begann dabei nicht in der Reisebranche. Nach Anfängen als Radiomoderator bei Radio Luxemburg, ermöglicht von Frank Elstner, gründete Kögel 1977 die Firma Media Control. Bis vor einiger Zeit erstellte sie die Charts der meistgehörten Musiktitel, heute ermitteln Kögels Mitarbeiter die am häufigsten gekauften Bücher – etwa für die „Spiegel“-Bestsellerliste.

Die KI soll keine Wikingerschiffe in Travemünde fantasieren

Eher nebenbei ersann der bestens vernetzte Manager den „Deutschen Medienpreis“, für den er Helmut Kohl und Angela Merkel, Bill und Hillary Clinton sowie Barack Obama nach Baden-Baden holte. Mit den zwei ehemaligen US-Präsidenten pflegt er bis heute freundschaftliche Verbindungen.

Und in einem Alter, wo andere Unternehmer längst den Ruhestand genießen, startet Kögel mit Künstlicher Intelligenz. Verbunden ist er dabei in diesem Fall zunächst mit der Kölner Lufthansa-Billigtochter Eurowings – und den Entwicklern der KI. „Wir arbeiten daran, dass sie so einfach zu bedienen ist wie Google“, sagt Honeepot-Gründer Torsten Ostmeier. „Gleichzeitig müssen wir durch eine Überprüfung garantieren, dass die KI nur Informationen liefert, die für Urlauber relevant sind.“

Eine Herausforderung sei es zudem sicherzustellen, dass die Sprachmodelle nicht anfangen zu fantasieren. „Niemand will Berichte etwa über ein Wikingerschiff in Travemünde“, umschreibt Ostmeier mögliche Risiken.

Eurowings hat bereits mehr als 200 Mitarbeiter angeheuert, um das Pauschalreisegeschäft im Onlinevertrieb anzukurbeln. Schon ohne KI würden derzeit rund 500 Urlaube pro Tag verkauft, heißt es bei der Airline – eine Zahl, die man nun noch deutlich steigern will.

Kundendaten sollen das KI-Angebot personalisieren

„Künstliche Intelligenz wird auch die Touristik grundlegend verändern“, ist sich Eurowings-CEO Jens Bischof sicher. „Die Branche sitzt auf einem riesigen Berg bisher nicht systematisch nutzbarer Buchungsdatenbanken, Reise-Suchanfragen, Servicebewertungen und Social-Media-Kommentaren“, berichtet er.

Eine lernende KI-Software könne diese Daten kontinuierlich und effizient auswerten, Muster erkennen und so insbesondere die Qualität touristischer Angebote individueller gestalten. „Unser Feldversuch mit Eurowings Holidays und HLX ist erfolgreich gestartet, sodass wir zeitnah weitere KI-Anwendungen aufsetzen werden“, kündigt er gegenüber dem Handelsblatt an.

Bei der Zusammenarbeit will Kögel auch eigene Kundendaten einbringen, die HLX in den vergangenen Jahren beim Online-Reiseverkauf oder am Telefon gesammelt hat. „Damit erhalten Interessenten durch die KI nicht nur Inspirationen für ihren nächsten Urlaub“, sagt der Multi-Unternehmer, „sondern am Ende ein personalisiertes Angebot.“

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In der Reisebürobranche zeigt man sich derweil gelassen. „Deutsche Urlauber setzen auf Sicherheit und würden niemals zu 100 Prozent einem Computer vertrauen“, erwartet Marija Linnhoff, Vorsitzende des Verbands unabhängiger selbstständiger Reisebüros (VUSR).

Zudem fehle der KI die Fähigkeit, Emotionen zu zeigen. Auch über günstigere Abflugzeiten, mögliche Upgrades oder alternative Transfermöglichkeiten könnten sich Buchungskunden im Reisebüro besser informieren. „Bis sich KI im Reisevertrieb durchsetzt“, glaubt sie, „wird es noch mindestens zehn Jahre dauern.“

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