In der Neubau-Notzeit braucht die Bauwirtschaft die Politik

Eine Baustelle in Hamburg

Deutschland steckt in einer Neubau-Notzeit, meint Handelsblatt Autorin Heike Anger.

(Foto: dpa)

Dünne Luft, Kipppunkt, Abwärtsspirale – die Zuschreibungen für Deutschlands wichtigste Wirtschaftsbranchen werden immer drastischer. Jenseits der Frage, ob hier übertriebene Panik geschürt wird, ist in der Sache leider festzustellen: In der Automobilbranche, beim Maschinenbau und in der Chemieindustrie läuft es eher schlecht.

Damit schwächeln die drei großen Industriezweige der Republik. Dass nun auch noch die Bauwirtschaft immer tiefer in die Krise rutscht, muss alarmieren.

Die Autobranche steckt mitten in der Transformation hin zur Elektromobilität und Digitalisierung. Der Maschinenbau drosselte schon im vergangenen Jahr die Produktion um zehn Prozent. Vor allem die steigenden Energiekosten machen den Unternehmen zu schaffen. Die Chemieindustrie spricht von „dunklen Monaten“. Unternehmen wie BASF verlagern bereits Teile der Produktion ins Ausland.

Die Furcht vor einer Deindustrialisierung geht um. Und nun gerät mit dem Bau bereits die vierte Schlüsselbranche in Not.

Auftragsmangel und Insolvenz

Die Zahl der Baugenehmigungen für Wohnungen brach im ersten Halbjahr um rund ein Viertel ein. Bei den Zweifamilienhäusern betrug das Minus gar 53 Prozent. Laut dem Münchener Ifo-Institut klagen 40 Prozent der Wohnungsbauunternehmen über Auftragsmangel. Viele melden Finanzierungsschwierigkeiten. Projekte werden storniert. Projektentwickler rutschen in die Insolvenz.

Kein Wunder also, dass Bundesbauministerin Klara Geywitz (SPD) das Ziel der Bundesregierung, pro Jahr 400.000 neue Wohnungen zu bauen, zuletzt schon gar nicht mehr bestätigen wollte.

Klara Geywitz, Bundesministerin für Wohnen, Stadtentwicklung und Bauwesen

Geywitz hält das Ziel von 400.000 neuen Wohnungen frühestens 2024 für erreichbar.

(Foto: picture alliance/dpa)

Dass sich mittlerweile in den Ballungsräumen Hunderte Meter lange Warteschlangen bei Wohnungsbesichtigungen bilden, ist traurige Realität. Wohnungsmangel und steigende Mieten werden immer mehr zum sozialen Sprengstoff.

Doch auch für die Volkswirtschaft ist die Bedeutung der Baubranche immens. Rund zwölf Prozent des deutschen Bruttoinlandsprodukts wurden im vergangenen Jahr für Baumaßnahmen verwendet. Das sind 476 Milliarden Euro. Knapp sechs Prozent der Beschäftigten hierzulande arbeiten im Baugewerbe.

Für die Politik muss sich daraus ein klarer Handlungsauftrag ableiten. Wenn die Branche wie derzeit unter steigenden Zinsen, teuren Baustoffen, fallenden Immobilienpreisen und Fachkräftemangel ächzt, kann man sich nicht allein auf Marktmechanismen verlassen. Es gilt, die Bautätigkeit anzukurbeln.

Verfehlte Politik

Doch in den 22 Monaten der Ampelregierung geschah eher das Gegenteil. Siehe das Förderchaos um KfW-Mittel für Neubauten oder die aufgeschobene Reform der Grunderwerbsteuer.

Auch macht es fassungslos, wenn – wie gerade geschehen – die geplanten Steuererleichterungen in Form einer degressiven Abschreibung im Wohnungsbau wieder in der Versenkung verschwinden.

Da die Regelungen zeitgleich mit dem Wachstumschancengesetz von Finanzminister Christian Lindner (FDP) beschlossen werden sollten, scheiterten auch sie am Veto von Familienministerin Lisa Paus (Grüne), die ihre Version der Kindergrundsicherung durchdrücken wollte.

Christian Lindner und Lisa Paus

Der Finanzminister und die Familienministerin liefern sich seit Monaten einen Streit darüber, wie viel die Einführung einer Kindergrundsicherung kosten soll.

(Foto: Reuters)

Die Politik ist also mit schuld an der Neubau-Notzeit. Das muss sich schnell ändern. Die Bauministerin hat nun für Ende September ein Hilfspaket für die Baubranche angekündigt. Da muss dann aber auch etwas Sinnvolles drinstecken.

Ein 30 Milliarden Euro schweres Investitionsprogramm, wie es die Grünen fordern, klingt erst einmal gut. Zumal auch Ökonomen vorschlagen, der Staat möge zum Beispiel den sozialen Wohnungsbau stärker fördern oder gleich selbst als Nachfrager einspringen.

Die Idee, dafür die Schuldenbremse zu umgehen, hat indes gleich wieder das Potenzial für den nächsten Koalitionskrach. Der Bauwirtschaft wäre damit nicht geholfen.

Mehr: Mit diesen Maßnahmen könnte die Politik die Baukrise lindern

source site-16