Forscher sollen neue Ideen suchen

Wien Nachtzüge sollen ein Baustein der Mobilitätswende sein. Gemessen daran ist die Bilanz dieses Sommers zwiespältig. Passagiere klagten über fehlende Kapazitäten an Schlaf- und Liegewagen und über verschmutzte Toiletten an Bord. Der Marktführer Österreichische Bundesbahnen (ÖBB), mit dem die Deutsche Bahn (DB) kooperiert, gesteht die Mängel ein. „Wir haben derzeit nur geringe Reserven“, sagt ein Sprecher.

Schuld daran ist laut ÖBB Siemens. Der Hersteller habe es nicht geschafft, 33 neue Nightjet-Züge pünktlich zu liefern. Die ersten Züge werden erst ab diesem Dezember im Einsatz sein, geplant war die Inbetriebnahme ein Jahr früher.

Die österreichische Bahn investiert kräftig, denn die Nachtzüge treffen den Nerv der Zeit. Vor allem in den Sommermonaten ist die Nachfrage nach einem Schlafplatz oft um einiges höher als das Angebot. Nachtzüge seien „gelebter Klimaschutz“, sagte ÖBB-Chef Andreas Matthä dem Handelsblatt vor zwei Jahren.

Österreichs grüne Verkehrsministerin Leonore Gewessler hat die Nachtzüge zur Zukunft der klimafreundlichen Mobilität innerhalb Europas erklärt. Auch der Reiseriese Tui weitet seine Angebote aus. Der Enthusiasmus von Politik, Unternehmen und der Reisenden verschleiert aber den Umstand, dass Nachtzüge bei Weitem nicht das leisten, was sich viele von ihnen versprechen.

So gibt sich ÖBB-Chef Matthä zwar als Fan, gleichzeitig bezeichnet er das Verkehrsmittel als Nischengeschäft. Zwei Zahlen zeigen, was der Manager meint: Im Fernverkehr befördern die ÖBB pro Jahr 38 Millionen Personen, mit den Nachtzügen 1,5 Millionen. Wunschbild und Realität klaffen also auseinander.

Der Nachtzug ist kein Massenverkehrsmittel

Der Nachtzug weist zwei große Mängel auf: Weder transportiert er Passagiere auf effiziente Weise, noch ist er wirtschaftlich. Das scheint auch Österreichs Verkehrsministerin Gewessler bewusst zu sein.

Ihr Ministerium fördert ein wissenschaftliches Projekt, dessen Ziel es ist, die wirtschaftliche Effizienz des Nachtzugs zu erhöhen. Beteiligt sind unter anderem die Fachhochschule St. Pölten, die Zürcher Hochschule für angewandte Wissenschaften (ZHAW) und Siemens Mobility.

Leonore Gewessler

Die österreichische Verkehrsministerin will die Wirtschaftlichkeit von Nachtzügen erhöhen.

(Foto: IMAGO/SEPA.Media)

Von den Skaleneffekten, die eine Fluggesellschaft erzielt, können die ÖBB beim Nachtzug nur träumen. Dessen Betten, Liegen und Sitze können innerhalb von 24 Stunden meist nur einmal verkauft werden, sodass sich lediglich 250 Passagiere befördern lassen. Während des Tages stehen die Züge unbenutzt auf dem Abstellgleis. Ein Flugzeug legt in dieser Zeit eine Kurzstrecke mehrmals zurück und transportiert ohne Weiteres mehr als 1000 Personen.

Der Nachtzug ist also kein Massenverkehrsmittel. Zumal er bei der Effizienz nicht nur von den Airlines übertroffen wird, sondern auch von den tagsüber verkehrenden Hochgeschwindigkeitszügen – wenn es sie denn gibt.

„Unter den herrschenden Umständen lässt sich ein Nachtzug nicht rentabel betreiben“, sagt Thomas Sauter, Professor an der ZHAW. „Das gilt erst recht, solange der CO2-Ausstoß der Fluggesellschaften nicht fair bepreist wird.“ Den heutigen Nachtzug nennt der deutsche Wissenschaftler ein Nischenprodukt für Liebhaber.

>> Lesen Sie auch: Zug statt Flieger: Wo der Nachtzug in Deutschland eine Alternative ist

Doch lässt sich der Kreis der Liebhaber erweitern? Einige Ideen haben die Forscher. Sauter schweben Kombi-Tickets von Zug und Flug vor. Wer zum Beispiel um zehn Uhr in Wien eine Sitzung hat, fliegt dorthin, verbringt den Abend noch mit Freunden und legt sich dann für die Rückreise im Nachtzug zur Ruhe. Dieses Angebot käme dem Tagesablauf vieler Manager möglicherweise entgegen.

Sauter bringt jedoch gleich selbst Einwände gegen das Modell vor: Erstens müsse die Reservierung so einfach sein wie die reine Flugbuchung. Zweitens hält er die Ausstattung vieler Schlafwagen für zu dürftig, um etwa Manager in großer Zahl zum Umstieg zu bewegen.

Je mehr Komfort, desto teurer der Unterhalt

Eine weitere Idee besteht darin, die Züge auch während des Tages zirkulieren zu lassen. Sauter nennt ein Beispiel: Ein Zug fährt tagsüber von Zürich über Paris nach London und in der Nacht zurück nach Zürich. Das setze aber voraus, dass sich die Abteile flexibel nutzen lassen – sie müssten also die Möglichkeit zum Schlafen und zum Sitzen bieten.

Gerade dieser Vorschlag missfällt jedoch den ÖBB. Deren Strategie sieht nicht vor, die Züge während des Tages einzusetzen. Mit eingebauten Duschen etwa wollen die ÖBB auch eine anspruchsvolle Kundschaft gewinnen. Aber luxuriös ausgestattete Schlafabteile lassen sich nicht mit wenigen Handgriffen zu Sitzplätzen für den Tagesverkehr ummodeln.

Nightjet der ÖBB

Nachtzüge treffen den Nerv der Zeit, sind aber derzeit kaum wirtschaftlich zu betreiben.

(Foto: IMAGO/Arnulf Hettrich)

Das ist ein Paradox der Nachtzüge: Je mehr sie mit Annehmlichkeiten ausgestattet werden, desto aufwendiger wird der Unterhalt. Und flexibel im Betrieb sind sie dann erst recht nicht mehr – ein Abteil mit Dusche ist im Tagesverkehr verschenkter Platz.

Die Schweizerischen Bundesbahnen (SBB), ebenfalls ein Kooperationspartner der ÖBB, machen anders als die Nachbarn kein Geheimnis daraus, dass sich Nachtzüge aus ihrer Sicht nicht rentabel betreiben lassen. „Umso wichtiger ist die im revidierten CO2-Gesetz vorgesehene Förderung mit maximal 30 Millionen Franken bis 2030“, sagt eine Sprecherin.

Die ÖBB dagegen lavieren beim Thema Rentabilität. Die Nachtzüge seien kostendeckend, sagt der ÖBB-Sprecher, ohne allerdings Zahlen zu nennen. Die Gesellschaft generiert allerdings auch Zusatzeinkünfte, indem sie Geld für vom Staat „bestellte” Sitzplätze erhält. Kritiker sagen, dass sei ein Trick, damit die Nachtzüge finanziell besser dastehen.

Um den Airlines nennenswerte Marktanteile abzujagen, müsste es eine Bahngesellschaft wagen, den Betrieb der Nachtzüge zu skalieren. Doch den ÖBB fehlt dafür die Finanzkraft. Zudem existieren betriebliche Schranken. Das Schienennetz ist gut ausgelastet – selbst in der Nacht. In Deutschland schleichen dann Güterzüge mit 80 Stundenkilometern über die Gleise, in Frankreich wird das TGV-Netz gewartet.

Trotzdem werden die ÖBB die neuen Züge von Siemens auch nutzen, um das Angebot zu erweitern. So soll es neue Verbindungen von Berlin nach Brüssel und Paris geben. Diese Strecken werden in Kooperation mit der Deutschen Bahn betrieben. Auch in Deutschland sind die Nachtzüge ein Politikum. Die Bahn stehe unter großem Druck, das Angebot auszuweiten und so etwas fürs Klima zu tun, sagen Konzernvertreter.

Mehr: Mit dieser Strategie will Tui den Nachtzug profitabel machen.

source site-12