„Eine geordnete Liquidation in Russland dauert zwei Jahre“

Nürnberg Christian Rödl, Mehrheitsgesellschafter des Prüfungs- und Beratungsunternehmens Rödl und Partner beschäftigt mehr als 5.260 Mitarbeiter in 50 Ländern – allein 200 davon in Russland, mehr als 60 in der Ukraine, von denen viele inzwischen aus Polen heraus Unternehmen beraten. Aktuell ist er damit befasst, Unternehmen beim Rückzug aus Russland zu beraten.

Die Diskussionen hierzulande darüber sieht er mit gemischten Gefühlen. „Es wäre für mich als Berater ein schwerer Schritt, uns gerade jetzt, wo wir besonders dringend gebraucht werden, zurückzuziehen.“

Rödl sieht den deutschen Mittelstand zwar resilient und anpassungsfähig aufgestellt in Anbetracht von Krieg, Krisen und Transformation, doch wenn die Energie knapp wird, fordert er Hilfen: „Manche exogene Schocks brauchen eine gesamtgesellschaftliche Antwort“, sagt Rödl im Gespräch mit dem Handelsblatt.

Die Politik sei außerdem gefordert, endlich mit einem „Employer Branding für Deutschland“ zu starten. Der Fachkräftemangel sei „permanent“ und bedrohe die Wirtschaft ebenso wie Krieg, Energie- und Rohstoffmangel.

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Herr Rödl, wie viele Unternehmen, die in der Ukraine und Russland aktiv sind, beraten Sie?
Die genaue Zahl kann ich Ihnen gar nicht sagen, es sind schon sehr viele, vor allem mittelständische Familienunternehmen.

Wie geht es Ihren Mitarbeitenden in der Ukraine?
Konkret sind es 63 Mitarbeitende in Kiew, die wir samt Familien – und gelegentlich sogar Haustieren – unterstützt haben, das Land zu verlassen. Einige sind in der Ukraine geblieben. Die meisten wurden von den polnischen Kollegen privat aufgenommen. Das war und ist ein herausragendes Engagement. Ähnliches haben wir auch bei unseren Mandanten beobachtet.

Arbeiten die ukrainischen Kollegen dann außerhalb des Landes weiter?
Manche arbeiten in unseren polnischen Büros für die ukrainischen Mandanten und eben für polnische. Polen ist nach der Anzahl der Mitarbeitenden unser größter Auslandsmarkt mit 530 Beschäftigten in sechs eigenen Niederlassungen.

Sie haben zwei Niederlassungen in Russland, in St. Petersburg und vor allem Moskau, mit insgesamt 200 Mitarbeitenden, wie gehen Sie mit ihnen aktuell um?
Die Kollegen gehören zu unserer Unternehmensfamilie, wir sind für sie verantwortlich. Aber: Manche haben sicherlich einen anderen Blick auf den Angriffskrieg, ich vertiefe aber solche Diskussionen nicht.

Unter welchen Bedingungen würden auch Sie sich aus Russland zurückziehen?
Es ist für uns eine sehr schwierige Frage, die ich mir fast täglich stelle: ob und wie lange wir in Russland bleiben. Es geht um die strategische und moralische Bewertung unseres Engagements.

Dabei brauchen Ihre Mandanten Ihre Beratung ja gerade bei ihren eigenen Rückzugsgedanken, oder?
Genau. Wir beraten Dutzende von Unternehmen, die sich aus Russland zurückziehen wollen – gut ein Drittel unserer dortigen Mandantschaft. Daneben brauchen viele unserer Mandanten, die wir nicht nur in Russland beraten, auch unsere Hilfe, um nicht gegen Sanktionen auf beiden Seiten zu verstoßen. Es wäre für mich als Berater ein schwerer Schritt, uns gerade jetzt, wo wir besonders dringend gebraucht werden, zurückzuziehen.

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Also gibt es kein Ausstiegsszenario für Sie?
Ich muss zugeben, wir spielen das Szenario des eigenen Rückzugs aus Russland durch. Das müssen wir auch, um selbst jederzeit Klarheit zu haben.

Einige Unternehmen wie Oetker zum Beispiel verkaufen ihren Betrieb an das russische Management. Ist das die beste Lösung?
Ja, ich halte das für eine Lösung: Die Produktion läuft weiter, die Mitarbeiter arbeiten weiter, das Unternehmen kann kompetent weitergeführt werden, es fällt nicht an Oligarchen und nicht an den Staat.

Was wäre die zweitbeste Lösung?
Nach der ersten Lösung kommt erst mal lange nichts. Ist das Unternehmen nur mit einer Vertriebsgesellschaft in Russland, dann ist die geordnete Liquidation die zweitbeste Lösung.

Und wenn man in Russland produziert?
Dann gibt es keine zweitbeste Lösung.

Wie lange dauert eine Liquidation?
Eine geordnete Liquidation dauert etwa zwei Jahre.

Es ist immer von einem russischen Gesetz die Rede, das das örtliche Management bei einem Rückzug mit Straflager bedroht. Gibt es das Gesetz inzwischen?
Es gibt eine Drohkulisse, die von den Behörden aufgebaut worden ist. Vergehen werden strafrechtlich verfolgt. Es gibt einen Gesetzentwurf, der für den Rückzug von Unternehmen in bestimmten Fällen eine Zwangsverwaltung vorsieht. Dieser Gesetzentwurf befindet sich allerdings noch im parlamentarischen Verfahren. Auch der Entwurf bei der Befolgung westlicher Sanktionen ist noch nicht verabschiedet.

Worin besteht gerade genau Ihre Beratung?
Rechtsberatung war in Russland schon immer das stärkste Geschäftsfeld, und aktuell liegt dort auch der größte Bedarf: die Analyse der Verpflichtungen, die Einhaltung der öffentlich-rechtlichen Bestimmungen, die Vermeidung von Strafmaßnahmen. Das Wichtigste aber ist das Aufzeigen der verschiedenen Optionen des Rückzugs und ihre rechtlichen und steuerlichen Folgen.

Renault hat sich eine sechsjährige Rückkehroption gesichert. Tun das auch die Familienunternehmen?
Ja. Das ist immer ein wichtiges Thema in der Beratung.

Es gibt massive Kritik an den in Russland aktiven Unternehmen in den sozialen Medien. Können Sie das nachvollziehen?
Natürlich kann ich das. Aber die Realität ist viel komplexer, und deshalb sind auch ethische Abwägungen nur schwer von der Tribüne aus zu bewerten.
Werden Sie auch kritisiert?
Selten.

Vita Christian Rödl

Es ist keine Krise, es ist Krieg. Was bedeutet das für Ihr Unternehmen?
Anders als die Krisen birgt der Krieg unmittelbare Gefahr für Leib und Leben unserer Mitarbeiter. Das ist eine neue, eine schreckliche Erfahrung.

Sind in den Szenarien, die Sie entwickeln, auch solche für eine Nachkriegszeit enthalten?
Es wird ja über ein großes EU-Aufbauprogramm für die Ukraine berichtet, das ist auch eine Chance für deutsche Familienunternehmen.

Und für Russland?
Der Weg zurück ist im Russlandgeschäft kaum vorstellbar, außer es gibt einen „Gorbatschow zwei“ – der das Vertrauen des Westens und auch von Osteuropa hat. Wir haben uns ja noch nie mit Militärstrategien auseinandergesetzt.

Ändert der Krieg etwas an Ihrer Unternehmensstrategie, in alle Länder als Berater mitzugehen?
Wir haben uns schon immer mit wirtschaftspolitischen Risiken befasst, aber nicht mit geopolitischen Themen. Das wird sich ändern.

Brauchen Familienunternehmer einen geopolitischen Berater in den Beiräten?
Ja, darüber muss man nachdenken. Es muss nicht in den Beiräten und Aufsichtsräten sein, schließlich braucht man Experten für jedes einzelne Land.

Sie sind auch seit 25 Jahren in China aktiv. Aktuell blicken viele Unternehmer nicht nur wegen der harten Lockdowns, sondern auch wegen ihrer hohen Abhängigkeit und der Menschenrechte besorgt ins Reich der Mitte. Wie blicken Sie darauf?
Die Mehrheit ist durchaus besorgt und sieht die Risiken, sagt aber: „Wir nutzen die Chancen, die wir in China haben.” Die meisten Mittelständler liefern ja nicht an chinesische Verbraucher, sondern an deutsche Unternehmen.

Was ändert das?
Sie haben deutsche Vertragspartner und keine chinesischen. Aber Sie haben recht, das Länderrisiko in Bezug auf die Abhängigkeit gehen sie voll ein.

„Die Möglichkeiten, Preise zu erhöhen, sind viel besser als in der Vergangenheit“

Ist Wandel durch Handel global gescheitert?
Nein. Aber mancher Wunsch hat sich als Illusion erwiesen. In Bezug auf China wird sich das politische System so schnell nicht ändern. Zu einem Engagement gibt es keine Alternative, auch wenn dieses vorsichtiger und klüger werden muss. Aber die Investitionen ausländischer und auch deutscher Unternehmen haben schon viel Positives bewirkt. Hunderte Millionen Chinesen leben heute besser als vor 20 Jahren.

Was empfehlen Sie mittelständischen Unternehmen, die in China aktiv sind?
Zunächst: Es war richtig, nach China zu gehen, die Unternehmen haben sich einen starken Absatzmarkt erschlossen, mit Arbeitsplätzen und Einfluss auf den Wohlstand auch hierzulande.
Aber die mittelständischen Unternehmen müssen sich neben den Chancen auch deutlich mehr mit den Risiken des Chinageschäfts befassen. Man muss sich die Abhängigkeit klarmachen.

Sie haben in China die meisten Mitarbeitenden in Schanghai. Gibt es Kollegen, die von dort wegen der strengen Lockdowns wegwollen?
Bislang nicht. Wir haben Kolleginnen und Kollegen vor Ort, die aus China kommen oder enge Verbindungen dort haben. Allerdings, unser langjähriger China-Chef, der heute von Deutschland aus arbeitet, wollte zwei, drei Monate in Schanghai bleiben, jetzt ist er seit Januar dort.

Die Herausforderungen für Unternehmen wachsen enorm: Lieferprobleme, Pandemie, Krieg, Inflation und Energieknappheit bedrohen Geschäftsmodelle. Was machen Unternehmen heute anders?
Manche Trends, wie das Bestreben, die Lieferketten robuster zu machen, gab es schon vor der Pandemie und dem Krieg. Wir beobachten seit einigen Jahren, dass Unternehmen Produktionen in Osteuropa oder den baltischen Staaten ausbauen, auch, weil in China die Löhne stark gestiegen sind. Da spielten geopolitische Risiken noch keine Rolle. Unter dem Eindruck der gestörten Lieferketten wird daran inzwischen mit Hochdruck gearbeitet.

Fahren Unternehmen ihre Produktion in China auch komplett zurück?
Ja, aber ich kann Ihnen keine Namen nennen.

Wie widerstandsfähig sind die deutschen Familienunternehmen in der aktuellen Situation von Krisen und Krieg?
Der Krieg hat zusammen mit den anderen Krisen schon zu einer sehr angespannten Situation geführt. Aber: In der Breite ist der deutsche Mittelstand gewappnet, er ist resilient, anpassungsfähig, und seine Stärke ist, die Chancen in solchen Krisen zu erkennen.
Aber die Energie- und Rohstoffknappheit könnte auch gesunde Unternehmen in die Knie zwingen, oder?
Das ist die Achillesferse, vor allem für die energieintensiven Branchen. Das größte Problem sind die Energie- und Rohstoffkosten sowie die Personalknappheiten, die sich weiter verschärfen.
Würden Sie ein Hilfsprogramm fordern?
Ich bin eigentlich kein Freund davon, aber manche exogene Schocks brauchen eine gesamtgesellschaftliche Antwort. Viele Unternehmen haben volle Auftragsbücher, aber keine Kapazitäten, weil ihnen Energie, Rohstoffe oder Personal fehlen. Sie müssen ganz neu kalkulieren. Personalknappheit ist permanent ein Problem und wird es auch bleiben. Da erwarte ich schon von der Politik, dass sich das Employer Branding der Bundesrepublik Deutschland verbessert. Wir müssen eine Antwort auf die Frage finden, warum die super ausgebildeten Menschen in die USA ziehen und nicht nach Deutschland kommen.
Wie gut schaffen es mittelständische Unternehmen denn, ihre Kosten weiterzugeben und höhere Preise durchzusetzen?
Die Möglichkeiten, Preise zu erhöhen, sind viel besser als in der Vergangenheit. Industriekunden und Verbraucher erkennen, dass der Kostendruck steigt und Preissteigerungen unausweichlich sind. Vielen Mandanten gelingt es, Kostensteigerungen zumindest zum Teil weiterzugeben. Viele Kunden sind bereit dazu. Das zeigt, wie wichtig es ist, eine starke Marke und hochwertige Produkte zu haben.
Können die Unternehmen denn gerade genug investieren?
Diejenigen, die langfristig denken, investieren auch jetzt. Sie kaufen Unternehmen, weiten ihre Kapazitäten aus und führen ihre Transformationsprogramme weiter.

Erkennen Sie daran aktuell die langfristig denkenden Unternehmen?
Ja, neben Krieg und Krisen sind auch Digitalisierung, Automatisierung und Nachhaltigkeit existenzielle Aufgaben. Viele unserer Mandanten führen diese Projekte konsequent weiter. Aber der Bürokratieaufwand belastet die Unternehmen unheimlich. Hierzulande! In Polen, Skandinavien oder dem Baltikum langen sich unsere Kollegen an den Kopf, wie wenig digital in Deutschland die Bürokratie ist.

Herr Rödl, vielen Dank für das Interview.

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