Die türkische Wirtschaft wächst schwächer – Muss Erdogans erneut umsteuern?

Präsident Erdogan

Der türkische Regierungschef sieht sich mit einer erheblichen Wachstumsschwäche konfrontiert.

(Foto: Reuters)

Istanbul In seiner mehr als 20 Jahre andauernden Amtszeit als Regierungschef der Türkei war immer klar: Wenn die Wirtschaft läuft, dann kann sich Recep Tayyip Erdogan auf gute Umfragewerte verlassen.

Doch jetzt hat der türkische Langzeitpräsident ein Problem. Nach seiner gewonnenen Wahl Ende Mai hatte er versprochen, in der Wirtschaftspolitik umzusteuern und die Ökonomie auf einen rationalen Kurs zurückzuführen. Dass dadurch die Wirtschaft an Wachstum einbüßen könnte, war abzusehen. Allerdings zeigen neueste Daten, dass der anatolische Konjunkturmotor bereits vorher an Kraft verloren hatte.

Nach Zahlen des amtlichen türkischen Statistikinstituts Tüik vom Donnerstag wuchs das Bruttoinlandsprodukt zwischen März und Juni um 3,8 Prozent. Schätzungen im Rahmen einer Bloomberg-Umfrage hatten zuvor eine Spanne von 1,2 bis zu 5,3 Prozent ergeben. Im Vorquartal, das von einem heftigen Erdbeben gezeichnet war, hatte das Wachstum noch 3,9 Prozent betragen.

Das neue Wirtschaftsteam des Präsidenten unter der Leitung von Finanzminister Mehmet Simsek und Zentralbankgouverneurin Hafize Gaye Erkan versucht derzeit, die Inflation von fast 50 Prozent zu bremsen. Das geht vor allem über hohe Zinsen und weniger Kredite an Haushalte und Firmen im eigenen Land.

Die jetzt veröffentlichten Zahlen deuten jedoch an, dass genau diese politische Operation das Wachstum gefährdet. Frühindikatoren, einschließlich der Einzelhandelsumsätze, zeigen, dass der Konsum im zweiten Quartal stark blieb, während sich die Industrie- und Exportsektoren abschwächten. Auch der Tourismus läuft wegen der hohen Inflation nicht wie erwartet.

Markt in Istanbul

Der Konsum schwächst sich ab.

(Foto: imago images/ZUMA Wire)

Vor allem die Industrieproduktion erholt sich nur begrenzt von den verheerenden Erdbeben im Februar. Am Montag deutete Simsek bereits an, dass es in diesem Jahr kaum Verbesserungen geben werde. Die US-Großbank Goldman Sachs prognostiziert, dass die türkische Wirtschaft im zweiten Halbjahr sogar in eine Rezession rutschen könnte. Die Begründung: „Die Geld- und Fiskalpolitik hat sich deutlich verschärft.“

Die Zentralbank hat seit den Wahlen den Leitzins von 8,5 Prozent in drei Schritten auf 25 Prozent erhöht. Die Inflation lag im Herbst bei 85,5 Prozent. Inzwischen beträgt sie knapp 50 Prozent, immer noch viel zu hoch für eine tatsächliche Erholung. Gleichzeitig verteuern sich Kredite wegen der hohen Leitzinsen immer weiter.

Dadurch entsteht eine gefährliche Situation: Vor allem Unternehmen schrecken zunehmend davor zurück, teure Kredite aufzunehmen, um zu investieren. Die zögerliche Haltung belastet den Arbeitsplatz und bremst die Wirtschaft. Und wenn die Beschäftigung zurückgeht, dämpft das auch den Konsum. Und genau der war laut Statistikamt im zweiten Quartal der letzte große Wachstumstreiber.

„Wir gehen davon aus, dass die Straffung der Geldpolitik das Wachstum der Inlandsnachfrage weiter begrenzen wird“, sagte etwa Deniz Cicek, ein Ökonom der QNB Finansbank, laut Finanzagentur Bloomberg. „Abhängig von den globalen Aussichten gehen wir auch davon aus, dass das Exportwachstum begrenzt ist“, so der Ökonom.

Erdogan kämpft gegen Inflation und Opposition

Normalerweise würde eine Regierung in einer solchen Phase die Wirtschafts- und Geldpolitik lockern, um die Wirtschaft zu stärken. Daher könnte Erdogan sein neues Wirtschaftsteam schon bald ermutigen, vor den wichtigen Kommunalwahlen im März das Wachstum anzukurbeln. Der Präsident will den Bürgermeistersitz in Istanbul zurückerobern, nachdem er dort vor vier Jahren eine empfindliche Niederlage hinnehmen musste.

Doch ein solcher Schritt birgt ein großes Risiko. Investoren und andere Marktteilnehmer gehen derzeit davon aus, dass der Finanzminister eigenständige Entscheidungen trifft und sich nicht von den politischen Plänen des Präsidenten leiten lässt. Das hatte der Türkei in den vergangenen Monaten eine deutliche Glaubwürdigkeit zurückgegeben. Auch Ratingagenturen hatten seitdem erstmals wieder positive Kommentare über das Land verfasst.

Jetzt muss sich der wiedergewählte Präsident entscheiden: Will er die Wirtschaft des Landes retten oder den nächsten politischen Sieg einfahren? Daran wird nicht nur Erdogan selbst gemessen werden – sondern auch der bei Investoren beliebte Finanzminister.

Mehr: Wie Erdogan in der Türkei einen Solarboom entfacht.

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