„Die deutsche Automobilindustrie muss jetzt schnell und konsequent sein“

München Das Stockdorfer Familienunternehmen hat enge Verbindungen nach China. Webasto ist Weltmarktführer für Glaspanoramadächer, die chinesische Kunden besonders häufig bestellen. Allein in der Volksrepublik lässt Webasto in fast einem Dutzend Werken produzieren. Die Abnehmer sind neben BMW, Mercedes und Volkswagen zunehmend auch chinesische Hersteller.

„Die chinesischen Werke“, sagt der Vorstandsvorsitzende Holger Engelmann dem Handelsblatt, „gehören zu den effizientesten im Konzern“. Webasto liefert dabei, was der Markt will: Die Dächer leuchten pink und lila, auf Knopfdruck zeigen sie einen künstlichen Sternenhimmel.

Auf der IAA in München liegt der Webasto-Stand gleich neben dem des chinesischen Elektro-Auto-Marktführers BYD. Bei allem Respekt vor den Leistungen der Chinesen glaubt der Webasto-Chef, dass schon bald ein Ausleseprozess unter den chinesischen Marken einsetzen wird. „Am Ende werden es zwei oder drei sein, die das Rennen machen. Diese Hersteller werden wir aber dauerhaft auf dem Weltmarkt sehen“, sagt Engelmann.

Die deutsche Industrie müsse jetzt schnell und konsequent handeln. Webasto hat das geschafft. Auch um sich unabhängig vom Glasdachboom in China zu machen, produziert das Unternehmen neuerdings Batterien für Elektroautos.

Lesen Sie hier das komplette Interview mit Holger Engelmann

Herr Engelmann, auf der IAA sehen wir so viele chinesische Hersteller wie noch nie. Was haben die Chinesen den deutschen Herstellern voraus?
Sie haben eine durchgängig funktionierende Wertschöpfung: vom Rohstoff über die Verarbeitung bis zur Batteriezelle und zur Produktion des Autos im eigenen Land. Das ist staatlich geplant und damit ein Stück weit stringenter durchorganisiert als in einer freien Marktwirtschaft. Außerdem sind sie stark in der Digitalisierung. Die Chinesen sind sehr IT-affin, sie sind es gewohnt, ihr Handy ins Auto zu bringen. Und auf dem Handy ist ihr Leben: Damit chatten sie, damit kaufen sie ein und machen sogar ihre Steuererklärung.

Beleuchtetes Panoramadach

Chinesische Kunden mögen es im Innenraum etwas auffälliger als die europäischen Käufer.

(Foto: PR)

Und das bieten ihnen europäische Hersteller nicht?
Europäer und Amerikaner hatten die Notwendigkeit dieser Dinge und auch gestalterische Vorlieben chinesischer Autofahrer nicht so stark im Blick. Deshalb haben sie diese Funktionen bislang kaum in ihre Autos integriert. Das haben die Chinesen jetzt selbst übernommen und bauen ihre eigenen Autos – mithilfe von europäischen Zulieferern und Designern. Und plötzlich werden die Europäer bei Elektroautos in China kaum noch wahrgenommen, obwohl sie bei Verbrennern eben noch das Maß der Dinge waren. Dazu kommt: Die Chinesen haben sehr gute Fertigungen. Das sehen wir auch bei uns: Die chinesischen Werke gehören zu den effizientesten im Konzern.

Erleben wir also gerade die Zeitenwende in der Autoindustrie?
Als ich 1993 in der Autoindustrie anfing, steckte die Branche in ihrer größten Krise. Damals kamen die Japaner und waren viel effizienter als unsere Hersteller und auch wir Zulieferer. Allenfalls den Amerikanern traute man noch zu mitzuhalten, uns Deutsche hatte man abgeschrieben. Das hatte sich ein paar Jahre später komplett gedreht – weil wir aus unseren Fehlern gelernt hatten. Ich glaube, wir sind jetzt wieder an einem ähnlichen Punkt.

Das Rennen ist also noch nicht vorbei?
Nein, bei Weitem nicht. Wir sehen ja beispielsweise, wie viel Innovation in der ganzen Batterieentwicklung noch steckt, deshalb ist das auch für uns ein wichtiges Feld. Das gilt auch für autonomes Fahren und die Nachhaltigkeit. Da stehen wir eher am Anfang der Entwicklung. Wir müssen auch nicht in jeder Technologie die Ersten sein – manchmal reicht es auch, von den Fehlern der anderen zu lernen. Die deutsche Automobilindustrie muss jetzt nur schnell und konsequent sein.

Chinesische Autobauer: „Am Ende werden es zwei oder drei sein, die das Rennen machen“

Viele Fehler scheinen die Chinesen nicht zu machen. Die Autos auf der IAA wirken sehr ausgereift.
Es gibt hier in der Tat sehr viele Marken, aber ich glaube nicht, dass sich alle durchsetzen werden. Viele dieser Hersteller sind noch nicht profitabel, und der Wettbewerb ist sehr groß. Am Ende werden es zwei oder drei sein, die das Rennen machen. Diese Hersteller werden wir aber dauerhaft auf dem Weltmarkt sehen. Das war bei den Anbietern aus Japan und Korea auch so.

Bislang beliefern Sie in China vor allem westliche Hersteller. Wie entwickeln sich die Geschäfte mit den Chinesen?
Unsere größten Projekte haben wir in der Tat mit den europäischen Herstellern, aber auch mit amerikanischen und asiatischen, die in Joint Ventures mit chinesischen Partnern vorwiegend Autos mit Verbrennungsmotoren produzieren. Wir zählen einige chinesische Autobauer seit Jahren zu unseren Kunden und machen rund 15 Prozent unseres China-Umsatzes mit ihnen. Die chinesischen Hersteller bauen vor allem Elektroautos und wachsen stark. Da wollen auch wir künftig stärker vertreten sein.

Panoramaglasdach

Webasto ist in China Marktführer bei den großen Dachfenstern – Cabrios dagegen kaufen die Chinesen kaum.

(Foto: PR)

Webasto ist in China Marktführer für die dort besonders beliebten Glaspanoramadächer. Wie unterscheiden sich die Designansprüche chinesischer Kunden vom denen in westlichen Märkten?
Für viele Chinesen gehört ein Glasdach einfach zum Auto, und sie wollen es aufmachen können. Sie wollen eine Erlebniswelt im Auto, sie wollen, dass der Innenraum und die Dächer leuchten. Chinesen mögen es bunter als Europäer: Pink, lila, pastell. Der – aus unserer Sicht – spielerische Charakter dieser Ausstattungen hat für chinesische Konsumenten einen großen Stellenwert. Umgekehrt sind auch technische Anforderungen in diesem Markt andere. In Europa testen wir ein Dach beispielsweise auf Geschwindigkeiten von 250 Stundenkilometern, in China reichen manchem Autohersteller auch 140.

In Europa sind Sie auch Marktführer für Cabriodächer. In China spielen Cabrios bislang kaum eine Rolle. Warum?
Das hat einen kulturellen Hintergrund: Asiaten lieben einen hellen Teint, deshalb gehen sie auch mit Sonnenschirmen auf die Straße. Hinzu kommt die Luftverschmutzung in vielen Metropolen. Da lässt man lieber die Klimaanlage mit einem Staubfilter laufen. Wir merken, dass sich das aber ändern wird. Wir haben immer wieder Anfragen und ich gehe davon aus, dass wir in den kommenden Jahren in China Cabrios sehen werden.

„Wir werden nicht nur in China eine Renaissance des Cabrios erleben“

Weil die Luft in Peking besser wird?
Das vielleicht auch. Aber es liegt auch an der Elektromobilität. Die Hersteller haben in der ersten Runde viel Geld investiert, um erst einmal eine Grundlage für eine neue Modellpalette zu schaffen. Deshalb sieht die jetzige Generation von Elektroautos auch sehr ähnlich aus. In der nächsten Runde müssen sich die Hersteller differenzieren. Deshalb glaube ich, wir werden nicht nur in China eine Renaissance des Cabrios erleben.

Wenn Ihre Dächer so gut laufen, warum sind Sie dann zusätzlich in das Geschäft mit Batterien eingestiegen?
Wir hatten 2015 entschieden, ein weiteres Standbein für Webasto aufzubauen. Wir haben uns mit verschiedenen Mobilitätstrends beschäftigt – unter anderem mit Vernetzung und autonomem Fahren. Aber letztlich haben wir mit unseren Kompetenzen die größten Chancen in der Elektromobilität gesehen. Hier gibt es viele Ähnlichkeiten zu unserem Kerngeschäft. Inzwischen haben wir uns als Anbieter von elektrischen Heizern und Batterien erfolgreich im Markt etabliert.

Die Batterie unterscheidet sich technologisch doch sehr stark von Ihrem Kerngeschäft.
Natürlich hatten wir erst einmal wenig Ahnung von der Funktionsweise einer Batterie und der nötigen Software. Wir wussten, dass wir uns dieses Wissen zukaufen müssen. Und so haben wir im ersten Jahr rund 200 Mitarbeitende an Bord geholt. Wir haben bewusst auch sehr erfahrene Leute gesucht, um Anfängerfehler zu vermeiden und diesen Bereich schnell zum Laufen zu bringen.

Webasto-Produktion

Cabrio-Dächer fertig das Unternehmen in China kaum – insgesamt seien die Produktionsstätten dort aber sehr gut, sagt Webasto-Chef Engelmann.

(Foto: © Webasto Group )

Wo sind denn die Synergien zwischen Autodächern und Autobatterien?
Die sind überall da, wo es nicht nur um Technologien geht, vor allem im Projektmanagement. Im Kern sind das sehr ähnliche Prozesse. Man muss Lieferanten auswählen und beurteilen und eine Fertigung planen, dann geht es um Qualitätssicherung und Produktionsanlauf. Das alles können und machen wir seit Jahrzehnten.

Wie haben die Angestellten die Umstellung geschafft?
In unseren Teams für Batterieprojekte brauchen die Mitarbeitenden je nach Tätigkeit vielleicht dreißig bis fünfzig Prozent spezifisches Wissen zur Batterie und die Bereitschaft, batteriemäßig zu denken und sich, wenn notwendig, weiteres Wissen anzueignen. So können wir auch relativ schnell in Werken, die bislang Dächer produzierten, jetzt Batterien bauen.

„Die ersten Batterien, die wir gebaut haben, hätte man auch von einem Hochhaus werfen können“

Wenn Sie Ihre Produkte so schnell austauschen können: Was ist dann Ihre Kernkompetenz?
Wir verstehen Systeme und Prozesse in der Autoindustrie. Salopp gesagt kann jeder ein Dach oder eine Batterie bauen. Aber Millionen von Dächern und Batterien in gleicher Qualität mit einer funktionierenden Lieferkette nach Automobilstandards in verschiedenen Regionen der Welt herstellen, das kann nicht jeder. Da sind enorm viele Feinheiten, auf die man achten muss und hier liegt unser Know-how.

Und was lernt man, wenn man zum ersten Mal Batterien in Serie produziert?
Die Batterie ist ein hochsensibles und sicherheitsrelevantes Bauteil. In der Produktion gelten daher höchste Sicherheits- und Sauberkeitsanforderungen. Wir müssen zum Beispiel sicherstellen, dass keine Staub- oder Metallpartikel in das Batteriegehäuse gelangen. So etwas kann theoretisch im Betrieb des Fahrzeugs später einen Kurzschluss auslösen.

Der Kostendruck im Autogeschäft ist enorm. Was bieten Sie den Herstellern, das Sie von anderen Zulieferern abhebt?
Die ersten Batterien, die wir gebaut haben, steckten in sehr robusten Gehäusen. Die hätte man theoretisch auch von einem Hochhaus werfen können, ohne dass sie ernsthaft beschädigt worden wären. Jetzt geht es um die Optimierung von Kosten und Gewicht. In Zukunft werden wir zum Beispiel verschiedene Konzepte sehen, wie sich die Batterien auch anders als bisher ins Fahrzeug integrieren lassen. Insgesamt steckt in der Konzeption auch mit Blick auf Nachhaltigkeit noch sehr viel Innovationspotenzial.

Wie läuft der Einstieg ins Batteriegeschäft bislang?
Wir hatten geglaubt, zunächst über China in den Markt zu kommen. Wir haben dann aber zuerst Projekte in Europa und Südostasien gewonnen. Der erste Großauftrag für Pkw kam von Hyundai in Südkorea. Dafür haben wir in kürzester Zeit ein hochmodernes Werk aufgebaut – vom Auftrag bis zum Produktionsstart innerhalb von 24 Monaten. Das Projekt ist anspruchsvoll und aufregend, aber läuft reibungslos.

Ford-Bronco-Debakel: „Unsere Maschinen kamen nicht durch den Zoll und setzten Rost an“

Das war nicht immer so. Im Jahr 2021 verloren Sie fast 200 Millionen Euro in den USA. Die Qualität der Dächer, die Sie für den Ford Bronco liefern sollten, stimmte nicht.
Wir haben mitten in der Coronazeit ein Großprojekt mit einer völlig neuen, innovativen Dachtechnologie aufgesetzt. Dazu mussten wir eigens ein Werk planen, bauen, ausstatten und ein Produktionsteam aufbauen. Die Anlaufphase haben Teams in zwei Regionen gesteuert. Weil wir wegen der Pandemie nicht reisen konnten und auf einen rein virtuellen Austausch angewiesen waren, lief die Abstimmung und der Know-how-Transfer nicht so reibungslos wie sonst.

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Dabei haben Sie sicher schon mehrere Dutzend solcher Projekte hinter sich. Was ging dabei genau schief?
Vor Ort konnten unsere europäischen Lieferanten nicht mit eigenen Experten die Maschinen installieren, sondern wir mussten auf einheimische Firmen zurückgreifen, die nicht die gleiche produktspezifische Expertise hatten. Und auch unsere Spezialisten für die neuartige Technologie konnten die Kollegen in den USA nicht persönlich schulen, sondern nur digital.

Ford Bronco

Webasto liefert mehrere Dachvarianten für die Wiederauflage des Klassikers – durch coronabedingte Schwierigkeiten machte der Konzern dabei zu Beginn einen Verlust von 200 Millionen Euro.

(Foto: imago images/ZUMA Wire)

Mit diesen Problemen hatten viele Firmen zu kämpfen.
Hinzu kam, dass unsere Maschinen wochenlang nicht durch den Zoll kamen und schließlich Rost ansetzten. Am schwierigsten war, dass wir wegen des straffen Zeitplans sehr schnell sehr viele qualifizierte Mitarbeitende für die Produktion finden mussten. Infolge der Pandemie und der damit verbundenen Maßnahmen der US-Regierung war der Arbeitsmarkt praktisch leer. Da waren die Voraussetzungen für den Start eines Großprojekts in Südkorea ganz andere.

Was genau ist in Korea anders?
Das Niveau von Arbeitsqualität und Ausbildung ist dem deutschen sehr ähnlich. Hinzu kommt, dass wir in Korea auf Strukturen und Beschäftigte eines bestehenden Dachwerks zurückgreifen konnten. Auf der Basis haben wir in der Nähe des alten Werkes dann ein komplett neues Batteriewerk errichtet. Aber inzwischen läuft die Bronco-Produktion, und wir haben unheimlich viel gelernt. Wir wissen jetzt viel besser, worauf man bei Projekten dieser Größenordnung achten muss.

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Neben den Problemen mit dem Bronco haben Ihnen die Lieferengpässe in den vergangenen zwei Jahren die Ergebnisse verhagelt. Zuletzt machten Sie 4,4 Milliarden Euro Umsatz und 2,5 Prozent Rendite. Was haben Sie sich für 2023 vorgenommen?
Auf jeden Fall mehr Umsatz. Und wir wollen profitabel sein. Aber die Märkte sind schwer zu prognostizieren. In Europa ist unsere Auftragslage derzeit noch robust, aber die weitere Entwicklung unsicher. Nordamerika läuft gut und bleibt voraussichtlich bis in das nächste Jahr stark. Auch Südostasien entwickelt sich erfreulich, und in China sehen wir nach einem Einbruch im ersten Halbjahr eine leichte Entspannung in der zweiten Jahreshälfte.

Wo steht Webasto in fünf Jahren?
Wir wollen weiter schneller wachsen als der Markt.

Das sagen viele …
Ich gehe davon aus, dass wir mit der Elektromobilität mehr als eine Milliarde Euro umsetzen. Das wird dann neben den Dächern unser zweites solides Standbein. Insgesamt wollen wir dann mehr als sechs Milliarden Euro umsetzen.

Wird Webasto dann noch in Familienhand sein?
Davon gehe ich fest aus. Ich spüre großen Rückhalt vonseiten der Eigentümer.

Herr Engelmann, vielen Dank für das Interview.

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