Die Bundesregierung streitet über die Finanzpolitik

Berlin In der Bundesregierung herrscht dieser Tage hektische Betriebsamkeit. Am Mittwoch wollten Kanzler Olaf Scholz (SPD), Finanzminister Christian Lindner (FDP) und Familienministerin Lisa Paus (Grüne) den Streit um die Kindergrundsicherung beenden. Parallel arbeitet die Regierung an Vorschlägen für großzügigere Steuererleichterungen für Firmen.

Bis zur Kabinettsklausur nächste Woche auf Schloss Meseberg sollen beide Reformen stehen. Doch das Problem, wie bei allen künftigen Ampelprojekten: Es hakt am Geld.

Weil die Bundesregierung die Schuldenbremse einhalten will, darf keine Reform auch nur einen Cent mehr kosten. Es sei denn, es wird an anderer Stelle gespart.

In der Ampelkoalition droht deshalb ein Grundsatzstreit über die Finanzpolitik auszubrechen. Den Auftakt machte vor wenigen Tagen Grünen-Chefin Ricarda Lang. Die Schuldenbremse dürfe „nicht zur Ausrede werden, uns nicht mit anderen Finanzierungsmöglichkeiten für notwendige Zukunftsinvestitionen auseinanderzusetzen. Denn die gibt es“, sagte sie und nannte als Möglichkeit, mehr Mittel in öffentliche Investitionsgesellschaften zu pumpen.

Finanzminister Lindner hält dagegen: „Wir müssen mit dem Geld auskommen, das Steuerzahlerinnen und Steuerzahler uns zur Verfügung stellen. An der Konsolidierung des Bundeshaushalts führt deshalb kein Weg vorbei“, sagte er dem Handelsblatt. Und bekommt für diesen Kurs Rückendeckung von Regierungsberatern.

Regierungsberater stützen Lindners Kurs

In einem noch unveröffentlichten Gutachten, das dem Handelsblatt vorliegt, verteidigt der Wissenschaftliche Beirat beim Bundesfinanzministerium den Haushaltskurs Lindners. „Eine Rückkehr zu weitgehend ausgeglichenen Finanzen wäre ein wichtiger Beitrag zur Eindämmung der Inflation“, heißt es darin.

Michael Hüther, Direktor des Instituts der deutschen Wirtschaft Köln

Das Institut hält eine deutliche Lockerung der Schuldenbremse für nötig.

(Foto: imago images/Jürgen Heinrich)

Allerdings gibt es auch andere Stimmen. So hält das arbeitgebernahe Wirtschaftsinstitut IW Köln in einer neuen Studie, die dem Handelsblatt ebenfalls vorliegt, eine deutliche Lockerung der Schuldenbremse für notwendig und „verkraftbar“. 

So würde selbst bei einem dauerhaften Haushaltsdefizit von 1,5 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) die Schuldenstandsquote Deutschlands bis 2030 von derzeit 66,3 Prozent auf 61,2 Prozent sinken, schreibt das IW.

Die Auseinandersetzung zwischen Ökonomen und innerhalb der Ampel zeigt: Deutschland befindet sich vor einem Grundsatzstreit in der Finanzpolitik. Soll der Staat mehr Geld ausgeben, um die Wirtschaftskrise zu bekämpfen und notwendige Investitionen zu schultern? Oder soll er sich lieber zurückhalten, um die hohe Inflation nicht weiter anzuheizen?

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Finanzminister Lindner hat diese Frage schon lange für sich beantwortet. Er will die Schuldenbremse nach Jahren hoher Schulden infolge von Pandemie und Energiekrise wieder einhalten. Einerseits weil eine solide Finanzpolitik zur DNA seiner Partei gehört. Aber auch weil er glaubt, mit höheren Staatsausgaben die Preisentwicklung, die im Juli noch immer bei 6,2 Prozent lag, weiter anzutreiben.

Mehr Schulden könnten die Inflation anheizen

Ähnlich sieht es sein Wissenschaftlicher Beirat. Dem Expertengremium gehören bekannte Ökonomen und Ökonominnen wie Lars Feld, Clemens Fuest oder Nadine Riedel an, es ist unabhängig von der Politik. In einem Umfeld hoher Inflation sei eine „restriktive Finanzpolitik angezeigt, die den gesamtwirtschaftlichen Nachfragedruck unmittelbar verringert“, schreiben die Ökonomen.

Die vielfach von SPD und Grünen geforderten Ausgabenprogramme hätten dagegen einen „doppelten Nachteil“: Sie würden „nicht nur inflationär wirken“, sondern auch die privaten Investitionen nur geringfügig anschieben, so der Beirat.

Passant mit Einkaufstüten

Finanzminister Lindner befürchtet mit mehr Schulden die Inflation anzutreiben.

(Foto: dpa)

Lindner sieht sich durch die Analyse der Ökonomen bestätigt: „Der Beirat gibt uns eine klare Empfehlung mit: Neue staatliche Ausgabenprogramme würden das Inflationsproblem nicht lösen, sondern lediglich private Investitionen verdrängen – und die Inflation weiter befeuern“, sagt er.

Ganz anders sehen das die Ökonomen des IW Köln. Sie fordern eine Lockerung der Schuldenbremse. Es sei „vertretbar, den Verschuldungsspielraum wachstumspolitisch zu öffnen, um wichtige Investitionen in die Zukunftsfähigkeit zu ermöglichen“, heißt es in der IW-Studie.

Lockerung der Schuldenbremse brächte Ampel gewaltigen Spielraum

Eine solche Lockerung der Schuldenbremse würde den Haushaltspielraum der Ampel deutlich erhöhen. Statt rund 17 Milliarden könnte die Ampel in diesem Jahr 61 Milliarden Euro neue Schulden machen. Die Haushaltsprobleme der Regierung wären größtenteils gelöst.

Eine nachhaltige Verschuldung ohne ansteigende Schuldenstandsquote wäre laut IW bis zu einem langfristigen Haushaltsdefizit „von etwa 1,8 Prozent pro Jahr maximal möglich“.

Das IW empfiehlt, diesen Spielraum größtenteils auszuschöpfen. Zwar seien die Zinsen auf neue Schulden wieder merklich gestiegen, „allerdings erscheint eine Finanzierung der wichtigen Zukunftsaufgaben wie Klimaneutralität und Digitalisierung über zusätzliche Schulden zumindest teilweise erforderlich“.

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Zumindest hier sind sich IW und Beirat einig: Deutschland muss mehr für die Wirtschaft tun. So empfiehlt der Beirat, der Staat solle seine „zurückhaltende Finanzpolitik“ durch wachstumsfördernde Maßnahmen flankieren: „Steuerliche Sonderabschreibungen und Investitionsprämien sind eine Möglichkeit, Investitionsanreize trotz hoher Steuerbelastung zu schaffen“, heißt es in dem Gutachten.

Der Beirat fordert allerdings für alle Entlastungen eine Gegenfinanzierung, um den Nachfragedruck nicht zu steigern. Eine Option seien Haushaltskürzungen. Eine andere „Steuererhöhungen in anderen Bereichen“.

Keine Mehrheit in der Ampel für Reform der Schuldenbremse

„Hier gehe ich als Bundesfinanzminister einen anderen Weg“, versichert Lindner. Deutschland sei bereits ein Hochsteuerland. „Noch höhere Steuern würden Menschen und Betriebe belasten sowie den Aufschwung gefährden.“

„Ich finde es sehr bedauerlich, dass es in der FDP keinerlei Bereitschaft gibt, über Einnahmeerhöhungen zu sprechen“, sagte Wiebke Esdar, Chefin des linken SPD-Fraktionsflügels.

Damit bleibt die Frage, woher die Ampel das Geld für mögliche Krisenpakete oder andere Projekte nehmen will. Für eine Reform der Schuldenbremse gibt es keine Mehrheit. SPD und Grüne schlagen deshalb vor, ungenutzte Mittel im Energie-Abwehrschirm zu nutzen. Wohl rund 100 Milliarden Euro ließen sich so mobilisieren. Das lehnt die FDP allerdings ab.

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Die von Grünen-Chefin Lang ins Spiel gebrachte Stärkung öffentlicher Unternehmen böte zwar den Vorteil, dass dafür aufgenommene Schulden wegen bestimmter Regeln nicht unter die Schuldenbremse fallen. Allerdings würde dies nach einer Umgehung der Schuldenbremse riechen. Ebenso wie eine Idee aus der SPD, einen Schattenhaushalt für die Klimawende mit einer eigenen Verschuldungsoption auszustatten.

Noch hat die Ampel keine Antwort auf ihr Finanzproblem gefunden. Doch die Suche nach neuen Finanzierungsmöglichkeiten wird weitergehen.

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