Deutschlands stockende Konjunktur bereitet Frankreich Sorgen

Paris Mit Unbehagen verfolgen französische Unternehmer die Entwicklung der deutschen Wirtschaftsdaten. Die Sorgen über die Wachstumsschwäche des Nachbarlandes waren auch auf dem französischen Unternehmertag in dieser Woche zu vernehmen.

Wer mit Teilnehmern der Veranstaltung über die Konjunkturrisiken sprach, bekam nicht nur Gründe wie die hohen Energiepreise, die Inflation oder Chinas Wachstumsschwäche zu hören. Die Entwicklung in Deutschland, dem wichtigsten Handelspartner Frankreichs, ist ebenfalls ein wichtiger Faktor.

Die beiden größten Volkswirtschaften der EU seien „zutiefst voneinander abhängig“, sagte Frankreichs Außenhandelsminister Olivier Becht am Dienstag in einer Rede vor deutschen und französischen Mittelständlern. „Wenn es einem Land nicht gut geht, dauert es nicht lange, bis es dem anderen auch nicht gut geht.“

Das sieht auch Patrick Brandmaier, Hauptgeschäftsführer der Deutsch-Französischen Handelskammer so: „Nachdem die deutsche Konjunkturentwicklung bislang nur eine untergeordnete Rolle in den französischen Medien gespielt hatte, standen die im europäischen Vergleich guten Wachstumsaussichten für die französische Wirtschaft bis zur Sommerpause im Vordergrund“, sagt er.

Das Bild habe sich aber inzwischen gewandelt, das Risiko einer stagnierenden deutschen Wirtschaft werde stärker wahrgenommen. „Wenngleich wir derzeit keine Veränderung im Investitionsverhalten und dem gegenseitigen Handel zwischen Deutschland und Frankreich feststellen, wäre es überraschend, wenn eine anhaltende Rezession beim größten und wichtigsten Handelspartner und Nachbarn, Deutschland, langfristig keine Auswirkungen auf die französische Wirtschaft hätte“, so Brandmaier.

Noch wächst Frankreichs Wirtschaft, im zweiten Quartal legte das Bruttoinlandsprodukt immerhin um 0,5 Prozent zu. Trotz der wirtschaftlichen Unsicherheiten seien die französischen Unternehmen „widerstandsfähig“, sagte Arbeitgeberpräsident Patrick Martin. Doch zugleich machen sich in der Unternehmerschaft zunehmend Sorgen breit, dass sich das Geschäftsklima im Herbst spürbar abkühlen könnte.

Ein Grund für die Sorge ist die Entwicklung im Nachbarland: Laut dem Statistischen Bundesamt stagnierte die deutsche Wirtschaft im Frühjahrsquartal, nachdem sie zuvor geschrumpft war. Die Bundesrepublik ist das einzige Land im Euro-Raum, das seine Wirtschaftsleistung aus dem Vor-Corona-Jahr 2019 noch nicht wieder erreicht hat.

Der Internationale Währungsfonds (IWF) erwartet, dass das deutsche BIP in diesem Jahr um 0,3 Prozent zurückgeht. Das Institut der deutschen Wirtschaft (IW) rechnet sogar mit einem Minus von bis zu 0,5 Prozent. Frankreich könnte am Jahresende dagegen je nach Schätzung ein Wachstum zwischen 0,6 und einem Prozent erreichen. Auch Außenhandelsminister Becht meint, dass die schwierige Lage der deutschen Wirtschaft sich „zwangsläufig“ auf das Wachstum in Frankreich auswirken werde.

Maschinenbau in Deutschland

Eine anhaltende Konjunkturflaute in der Bundesrepublik könne auch weitere Effekte auf die französische Wirtschaft haben, etwa einen Rückgang der Investitionen oder den Abbau von Arbeitsplätzen.

(Foto: dpa)

Die Bundesrepublik befinde sich aktuell in einem „schwierigen Moment“ und stehe vor „kolossalen Herausforderungen“, die nicht zuletzt der jahrelangen Abhängigkeit von Energie aus Russland und der großen Bedeutung Chinas für die deutsche Exportwirtschaft geschuldet seien. Für Frankreich steht Deutschland auf Platz eins der Handelspartner. Rund 14 Prozent der französischen Ausfuhren gingen im vergangenen Jahr auf die andere Seite des Rheins. Zugleich bezog Frankreich zwölf Prozent seiner Importe aus der Bundesrepublik.

Der Wirtschaftsprofessor Tomasz Michalski von der Pariser Eliteuni HEC rechnet vor: „Deutschland kauft aus Frankreich jedes Jahr Waren und Dienstleistungen im Umfang von vier Prozent des französischen BIP ein.“ Eine anhaltende Konjunkturflaute in der Bundesrepublik könne auch weitere Effekte auf die französische Wirtschaft haben, etwa einen Rückgang der Investitionen oder den Abbau von Arbeitsplätzen.

Aus keinem anderen europäischen Land flossen 2022 mehr Direktinvestitionen nach Frankreich. Insgesamt beschäftigen rund 3000 deutsche Unternehmen in Frankreich 325.000 Menschen. In der Bundesrepublik sind etwa 5700 französische Firmen mit mehr als 400.000 Mitarbeitern vertreten.

Kukies verbreitet Optimismus

Jörg Kukies, der wichtigste Wirtschaftsberater von Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD), bemühte sich als Gast auf dem französischen Arbeitgebertag um Zuversicht. In einer auf Französisch gehaltenen Rede erläuterte er die Pläne der Bundesregierung, das Wachstum wieder anzukurbeln. Deutschland habe eine „moderate Rezession“ durchlaufen, sagte Kukies, werde nun aber „auf den Wachstumspfad“ zurückkehren.

In Frankreich hofft man, dass die derzeitige Konjunkturschwäche in Deutschland ein vorübergehendes Phänomen ist. „Ich bin nicht beunruhigt, weil ich um die Stärke und Widerstandsfähigkeit der deutschen Wirtschaft weiß, insbesondere des Mittelstands“, sagte Becht. „Deutschland ist in der Lage, die Phase zu überstehen.“

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Die grundsätzliche Anerkennung für die deutsche Wirtschaftskraft ist im Nachbarland weiterhin groß, vom „kranken Mann Europas“ möchte dort niemand sprechen. Laurent Saint-Martin, der die staatliche Agentur zur Förderung des französischen Außenhandels (Business France) leitet, sieht die Exportstärke der Bundesrepublik sogar als „Modell“, an dem sich sein Land orientieren sollte.

Auch für Arbeitgeberpräsident Martin bleibt Deutschland trotz der aktuellen Probleme bei der Wettbewerbsfähigkeit ein Vorbild. Die Gewinnspannen der französischen Unternehmen lägen im Schnitt sieben bis acht Punkte unter denen der deutschen Firmen, sagte er in einem Interview mit der Zeitung „Le Figaro“. „Das entspricht einer Kluft bei der Wettbewerbsfähigkeit in Höhe von Dutzenden Milliarden Euro.“

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