Deutsche Wirtschaftsleistung stagniert im zweiten Quartal

München Die Schwächephase der deutschen Wirtschaft hält an. Im zweiten Quartal ist das Bruttoinlandsprodukt (BIP) nicht gewachsen, sondern stagniert. Das hat das Statistische Bundesamt am Freitag in einer ersten Schätzung bekannt gegeben.

Deutschland entkommt damit zwar der Rezession. Ende 2022 war das BIP um 0,5 Prozent gefallen, Anfang 2023 um 0,3 Prozent. Doch die Stagnation im zweiten Quartal zeigt: Deutschland ist nicht in der Lage, von den Rückschlägen wieder etwas aufzuholen.

Besserung ist nicht in Sicht, diverse Frühindikatoren zeigen nach unten. Der wichtige Ifo-Geschäftsklimaindex etwa sank im Juli auf 87,3 Punkte von 88,6 Zählern im Vormonat. Es war der dritte Rückgang in Folge. Das gilt unter Fachleuten als Signal für eine negative Trendwende.

Tatsächlich rechnen immer mehr Ökonominnen und Ökonomen damit, dass die deutsche Wirtschaft schon im dritten Quartal wieder schrumpfen könnte. „Die Rezession dürfte in der zweiten Jahreshälfte 2023 in die Verlängerung gehen“, sagte Ifo-Konjunkturchef Timo Wollmershäuser. Moritz Schularick, Präsident des Kiel Instituts für Weltwirtschaft, erklärte: „Die Wolken am Konjunkturhimmel verdunkeln sich.“

Dabei müssten die Zeichen in Deutschland eigentlich auf Aufschwung stehen. Coronapandemie und Ukrainekrieg haben viel Wachstum gekostet. Das hätte Deutschland vor allem in diesem und im nächsten Jahr laut Prognosen aufholen sollen.

Das dürfte aber kaum passieren. Der Internationale Währungsfonds (IWF) geht in seiner jüngsten Prognose davon aus, dass Deutschland 2023 insgesamt um 0,3 Prozent schrumpft. Für kein anderes großes Industrieland wird ein BIP-Rückgang erwartet. 2024 erwartet der Währungsfonds auch nur ein leichtes Wachstum von 1,3 Prozent. Die Gründe für Deutschlands Wachstumsschwäche sind zahlreich:

1. Die Industrie ist von der Stütze zum Problem geworden

Der Industrie war es im Winter noch zu verdanken, dass das BIP-Minus nicht größer ausgefallen ist. Inzwischen liegt es aber vor allem am verarbeitenden Gewerbe, dass die Konjunktur weiter lahmt.

Trotz inzwischen wieder stabiler Energiepreise produziert die Industrie kaum mehr als noch im Winter. Zwischen Januar und Mai dieses Jahres hat die Produktion sogar um 0,3 Prozent abgenommen.

„Enttäuscht hat bislang vor allem die Industrie, denn trotz schwindender Lieferkettenprobleme tritt die Produktion weiter auf der Stelle“, sagt Fritzi Köhler-Geib, Chefvolkswirtin der staatlichen KfW-Förderbank.

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Das liegt auch daran, dass die energieintensiven Industriezweige sich kaum erholen, obwohl Strom und Gas inzwischen deutlich günstiger sind. Ifo-Konjunkturchef Wollmershäuser erklärt: „Produktion, die im vergangenen Jahre an andere Standorte in der Welt verlagert wurde, ist offenbar nicht zurückgeholt worden.“ Darauf deute beispielsweise die chemische Produktion in den Vereinigten Staaten, China und Indien hin, die trotz des globalen Nachfragerückgangs bis zuletzt gestiegen ist.

Und es droht weiteres Ungemach. Während sich die Angebotsprobleme wie die Unterbrechungen in den Lieferketten zunehmend auflösen, schwindet die Nachfrage. Noch weist die Industrie im Durchschnitt ein Auftragspolster auf, das gut sieben Monate reicht. Doch der Auftragsbestand im verarbeitenden Gewerbe ist laut Statistischem Bundesamt im Mai 2023 um 0,5 Prozent gegenüber dem Vormonat gefallen.

2. Weniger Exporte

Der Grund für das neue Nachfrageproblem der Industrie liegt vor allem im Ausland. Während die offenen Aufträge aus dem Inland im Mai um 0,3 Prozent gestiegen waren, gingen die Auslandsaufträge um ein Prozent zurück.

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Auch in anderen Ländern schwächelt die Konjunktur. Das trifft die Bundesrepublik aufgrund ihrer wichtigen Exportwirtschaft gleich doppelt. Die beiden wichtigsten Handelspartner, China und die USA, ziehen derzeit konjunkturell zwar wieder etwas an. Doch die Enttäuschung aus den vergangenen Monaten wird das kaum wettmachen.

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Das Ende der Null-Covid-Politik in China hat bislang nicht das enorme Wachstum ausgelöst, das viele erwartet hatten. Im Juni verkauften deutsche Unternehmen 3,6 Prozent weniger Waren in die Volksrepublik als im Vorjahresmonat, zeigen Zahlen des Statistischen Bundesamts.

Auch die Konjunktur der USA hatte lange geschwächelt, ausgelöst durch Zinswende und Haushaltsstreit. Die Exporte in die USA fielen im Juni um 3,9 Prozent gegenüber dem Vorjahreszeitraum. Und eine Trendumkehr erwarten die deutschen Exporteure trotz anziehender Konjunktur in China und den USA nicht.

Die Stimmung in der deutschen Exportindustrie ist so schlecht wie seit über drei Jahren nicht mehr. Das Ifo-Barometer für die Exporterwartungen fiel im Juli um 0,1 auf minus sechs Punkte. Das ist der schlechteste Wert seit Mai 2020, als die Coronapandemie die weltweite Konjunktur abwürgte.

3. Die Zinswende schlägt durch

Zentraler Auslöser für den Nachfrageeinbruch ist die Zinswende. Im Kampf gegen die Inflation haben Notenbanken in den vergangenen Monaten eine rapide Erhöhung der Leitzinsen vollzogen. Das verteuert Investitionen. „Insbesondere die Wachstumsschwäche in Deutschland tritt durch die hohen Zinsen nun deutlich zutage“, sagt IfW-Präsident Schularick.

Erst am Donnerstag hatte die Europäische Zentralbank (EZB) den nächsten Zinsschritt vollzogen. Der Leitzins liegt nun bei 4,25 Prozent. Wie es weitergeht, ist unklar.

Jetzt aber gibt es Anzeichen für eine Abschwächung der Preisdynamik im Euro-Raum. Möglicherweise wird die EZB daher von weiteren Zinsschritten absehen. Bis das der Konjunktur helfen wird, kann es aber noch dauern. Die Übertragung geldpolitischer Entscheidungen in die Realwirtschaft kann bis zu eineinhalb Jahre dauern.

4. Bau zieht Konjunktur runter

Die Zinswende schlägt vor allem im Bau durch. Das Ifo-Barometer ist im Bauhauptgewerbe auf den niedrigsten Stand seit Februar 2010 abgesackt. „Das hohe Zinsniveau und die zwar sinkenden, aber weiterhin hohen Energiekosten stellen viele Unternehmen vor große Herausforderungen“, sagt Laura Pagenhardt, Konjunkturexpertin am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW).

Gleichzeitig setzt sich der Anstieg der Preise für den Neubau von Wohngebäuden fort. „Für viele Haushalte ist daher die Anschaffung einer eigenen Immobilie zu teuer geworden“, berichtet Ifo-Ökonom Wollmershäuser. Die Stornierungen bestehender Aufträge im Wohnungsbau hätten Rekordwerte erreicht, die Neuaufträge seien geradezu eingebrochen.

5. Kerninflation bleibt hoch

Am heutigen Freitag wird die deutsche Inflationsrate für Juli veröffentlicht. Doch egal, wie der Wert ausfällt, eine Entspannung ist noch weit entfernt. Das belastet die Konjunktur auf zwei Wegen: Die Inflation schmälert die Kaufkraft und macht möglicherweise weitere Zinsanhebungen nötig.

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Die Energiepreise mögen zurückgehen, doch der Kostenschock aus dem vergangenen Jahr frisst sich noch immer in das allgemeine Preisniveau. Die Kerninflation, also ohne Energie, lag im Juni bei 6,7 Prozent und damit deutlich höher als im Vormonat. Ein Teil lässt sich auf Sondereffekte zurückführen, jedoch nicht der gesamte Anstieg.

„Die Inflation dürfte in den kommenden Monaten hartnäckig hoch bleiben“, vermutet Wollmershäuser. Darauf deuten die Ifo-Preiserwartungen hin, die im Juli zum ersten Mal seit September 2022 wieder gestiegen sind.

6. Wenig kurzfristiger Einfluss der Politik

Wer sich die Debatten um die Konjunktur in den sozialen Medien dieser Tage anschaut, gewinnt den Eindruck, dass die fünf bisher genannten Probleme gar keine Rolle spielen. In der öffentlichen Debatte wird vor allem der Bundesregierung vorgeworfen, schuld an der Konjunkturkrise zu sein.

Mit der Realität deckt sich das kaum. Der kurzfristige Einfluss politischer Maßnahmen auf die Konjunktur ist begrenzt. Dass ein Schritt der Bundesregierung noch den wahrscheinlichen BIP-Rückgang in den nächsten Monaten aufhalten kann, ist nicht zu erwarten. Geldpolitik und außenwirtschaftliches Umfeld sind viel wichtigere Faktoren.

Dennoch hat die Politik Einfluss. Der monatelange Streit der Regierung um Heizungsgesetz und Haushalt dürfte kein Wachstumsprogramm gewesen sein. Politischer Streit verursacht Unsicherheit, das kann Investitionspläne verschieben und Wachstum kosten.

Mittelfristig hat die Politik deutlich größeren Einfluss. Strukturelle Reformen können dafür sorgen, dass aus der Phase keine Ära der konjunkturellen Schwäche wird.

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