Der Westen geht gegen China in die Offensive

Neu-Delhi Ein Netz aus Häfen und Schienen, Pipelines für grünen Wasserstoff und neue leistungsfähige Datenverbindungen: Mit einer weitreichenden Infrastrukturinitiative wollen die USA, Europa, Indien, Saudi-Arabien und die Vereinigten Arabischen Emirate einen neuen Handelskorridor nach Indien schaffen. 

„Das ist nichts anderes als historisch“, sagte EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen bei der Vorstellung des Projektes am Rande des G20-Gipfels in Neu-Delhi. Der Handel zwischen Europa und Indien – der aktuell wachstumsstärksten G20-Nation – werde sich durch das Vorhaben um 40 Prozent beschleunigen, schwärmte von der Leyen. 

Mit dem ehrgeizigen Infrastrukturplan signalisiert der Westen neue wirtschaftliche und geopolitische Stärke gegenüber China. Während die Volksrepublik angesichts konjunktureller Probleme die Ausgaben für seine sogenannte Seidenstraßen-Initiative zurückschrauben muss, gehen Europa und Amerika in die Offensive. Und nicht nur beim Thema Infrastruktur.

Gemeinsam mit ihren Verbündeten konnten sie bei dem Gipfeltreffen der größten Industrie- und Schwellenländer (G20) auch bei anderen Themen wie der Reform multilateraler Entwicklungsbanken Punkte machen, um Chinas Einfluss in der Welt zu schwächen. 

Auch sah sich China gezwungen, seinen Widerstand gegen mehrere Absätze zum Ukrainekrieg in der gemeinsamen Abschlusserklärung aufzugeben, nachdem sich zuvor alle anderen G20-Mitglieder mit Ausnahme Russlands auf entsprechende Formulierungen geeinigt hatten. Nach China knickte dann auch die Regierung in Moskau ein. 

Zudem stemmte sich die Führung in Peking nach Angaben aus Verhandlungskreisen gegen die Übernahme der G20-Präsidentschaft durch die USA im Jahr 2026. Auch damit hatte China jedoch keinen Erfolg.

Kanzler Scholz: „Neues Miteinander“

Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) sagte nach dem Gipfel, in Neu-Delhi habe es „ein neues Miteinander“ des Westens mit den aufstrebenden Staaten Asiens und Afrikas gegeben. Das Treffen in Neu-Delhi sei ein „Gipfel der Entscheidungen“ gewesen, wie die Beschlüsse zur Ukraine, zur Klimapolitik und zur Reform der internationalen Finanzarchitektur zeigten.

Scholz lobt „sehr erfolgreichen“ G20-Gipfel in Indien

Der Westen profitierte auf dem Gipfel auch von der Abwesenheit von Chinas Staatschef Xi Jinping, der nicht nach Neu-Delhi angereist war. Vertreten ließ er sich von Premierminister Li Qiang, der sich in entscheidenden Fragen nicht durchsetzen konnte. Für Ärger dürfte in Peking auch der Besuch von US-Präsident Joe Biden in Vietnam im Anschluss an den Gipfel sorgen. Er will dort eine Vertiefung der Partnerschaft mit Chinas südlichem Nachbarn verkünden.

Die Regierung in Washington sieht sich nach dem G20-Treffen im Aufwind – auch durch den geplanten neuen Handelskorridor zwischen Europa und Indien. Laut der Vereinbarung der beteiligten Länder soll das Projekt eine neue Eisenbahnlinie umfassen, „die nach ihrer Fertigstellung ein zuverlässiges und kosteneffizientes grenzüberschreitendes Schiff-Schiene-Transitnetz bieten wird“. 

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Sie soll bestehende See- und Straßenverkehrswege zwischen Europa und Indien ergänzen. Die Handelsroute soll vom indischen Subkontinent durch die Vereinigten Arabischen Emirate, Saudi-Arabien, Jordanien und Israel bis nach Europa führen.

„Effektive amerikanische Führung“

Israels Regierungschef Benjamin Netanjahu lobte das Schiffs- und Zugprojekt und sprach von der „Verwirklichung eines jahrelangen Traums“, in dessen Zentrum sein Land stehen werde. Das Projekt werde „das Gesicht des Nahen Ostens und Israels verändern und Auswirkungen auf die ganze Welt haben“, versprach er.

Die USA erklärten ihre Beteiligung an dem Vorhaben nach Worten von Bidens Nationalem Sicherheitsberater Jake Sullivan mit der Vision „weitreichender Investitionen“ als Zeichen einer „effektiven amerikanischen Führung“ – und der Bereitschaft, andere Nationen als Partner zu akzeptieren. Es gehe auch darum, Länder im Nahen Osten zusammenzubringen und die Region als wirtschaftliche Drehscheibe zu etablieren, anstatt als „Quelle von Herausforderungen, Konflikten oder Krisen“. 

Li Qiang

Der chinesische Regierungschef war anstelle von Staatspräsident Xi Jinping zum G20-Gipfel gereist.

(Foto: IMAGO/Xinhua)

Dass man mit dem Plan in direkte Konkurrenz zu China und seiner Seidenstraßeninitiative gehe, mit der Peking rund um den Globus Infrastrukturprojekte finanziert, bestreitet die Regierung in Washington zwar. Diplomaten anderer Länder sprechen hingegen klar von einer Antwort auf Chinas Schritte.  

Die Kosten bleiben unklar

Wie viel das Projekt genau kosten soll und bis wann die Fertigstellung geplant ist, ließen die beteiligten Länder noch offen. Geplant ist jedoch, sich in den kommenden zwei Monaten über weitere Details zu verständigen. Zunächst soll untersucht werden, wo konkrete Investitionen notwendig sind – und wo es ausreicht, bestehende Infrastruktur zwischen einzelnen Staaten zu verbinden.  

US-Präsident Joe Biden

Die USA wollen ihren geopolitischen Einfluss gegen China verteidigen.

(Foto: AP)

Fest geplant ist, dass neben der neuen Bahnstrecke Kabel für die Stromversorgung und die digitale Vernetzung der beteiligten Länder verlegt werden sollen. Zusätzlich sollen neue Leitungen den Export von sauberem Wasserstoff ermöglichen. Besonders Indien wittert großes Potenzial bei der Produktion von Wasserstoff mithilfe der riesigen Solarkraftwerke in dem Land. Die Regierung in Neu-Delhi will für den Aufbau der Wasserstoffindustrie zwei Milliarden Dollar an Subventionen bereitstellen und sieht Europa als zentralen Zielmarkt. 

Gelder für den Handelskorridor sollen unter anderem aus der EU-Initiative Global Gateway kommen. Ziel der Initiative ist es, mit einem Volumen von bis zu 300 Milliarden Euro Schwellen- und Entwicklungsländern bei der Finanzierung von Infrastrukturvorhaben ein Gegenangebot zu China zu machen. 

China hat mit seiner vor zehn Jahren gestarteten Seidenstraßeninitiative mehr als eine Billion US-Dollar investiert und sich damit auch politischen Einfluss in Ländern des globalen Südens gesichert. In den vergangenen Jahren wuchs bei den Empfängerländern jedoch die Skepsis angesichts der Angst, in eine chinesische Schuldenfalle zu geraten.

Auch die Reformen multilateraler Entwicklungsbanken, die auf dem G20-Gipfel beschlossen wurden, sollen Chinas Einfluss in der Welt schwächen. In Neu-Delhi verpflichteten sich die G20-Staaten, die multilateralen Entwicklungsbanken zu stärken.

Deutschland etwa stellt der Weltbank dazu 305 Millionen Euro in Form von Hybridkapital zur Verfügung. Diese spezielle Anleiheklasse ermögliche es der Weltbank ihr Ausleihevolumen für Staaten deutlich zu erhöhen, wodurch die effektiven zusätzlichen Mittel in den Milliarden-Dollar-Bereich gingen, sagte Finanzminister Christian Lindner (FDP). 

Bidens Sicherheitsberater Sullivan sprach im Vorfeld des Gipfels ganz offen von einer „positiven Alternative“ zu einer „viel undurchsichtigeren oder zwanghaften Methode der Entwicklungsfinanzierung, die China anbietet“.  

Bundesfinanzminister Christian Lindner

Auch Deutschland beteiligt sich an der Stärkung multilateraler Entwicklungsbanken.

(Foto: IMAGO/dts Nachrichtenagentur)

Dass die USA ihr Ziel, China zu schwächen, so offen kommunizieren, gefällt allerdings nicht allen westlichen G20-Staaten. Man könne das Ziel ja verfolgen, sollte es vielleicht besser nicht so offen aussprechen, hieß es in Verhandlungskreisen. Viele Entwicklungs- und Schwellenländer wollten alles, nur nicht sich für eine Seite, den Westen oder China, entscheiden, „Der Westen wacht nun endlich auf, so wird es vielmehr im globalen Süden gesehen“, sagte ein Verhandler.  

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Der Westen geht auch in die Offensive, weil er sieht, dass die Verhandlungen in zentralen Politikfeldern mit China immer komplizierter werden. „Es ist viel schwieriger geworden, in der Klimapolitik noch zu zählbaren Ergebnissen zu kommen“, sagt ein Unterhändler.

So bremst China gemeinsam mit Russland und Saudi-Arabien in allen internationalen Foren den Ausbau der erneuerbaren Energien. In den G20-Verhandlungen nahm China zwischenzeitlich die Klimapolitik in Geiselhaft, um in anderen Politikbereichen etwas herauszuverhandeln, etwa Erleichterungen beim US-Chipembargo gegen Peking.

Sorge Chinas vor Isolation

Auch Kanzler Scholz vermied es, eine Gegnerschaft zwischen China und dem Westen zu benennen. Auf dem Gipfel sei es nicht um Machtinteressen, sondern um die Frage von Kooperation in einer „multipolaren Welt“ gegangen. Bei dem Treffen seien „viele, viele Dinge vorangebracht worden, die wichtig sind für die weitere Entwicklung der Welt“, sagte Scholz.

China sorgt sich aber offenbar darum, weiter isoliert zu werden. Bei einem Treffen mit Kommissionspräsidentin von der Leyen am Rande des Gipfels warb Chinas Ministerpräsident Li Qiang um Kooperation – und um einen EU-China-Gipfel noch in diesem Jahr. Er hoffe, dass die EU fairen Wettbewerb aufrechterhalte und damit eine „diskriminierungsfreie Umgebung“ für chinesische Firmen bereitstelle, sagte Li laut chinesischen Staatsmedien. Für Europa berge die Volksrepublik Chancen und keine Risiken, versprach er. 

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