Coronahilfen: Handwerkspräsident fordert Nachjustierung

Berlin Handwerkspräsident Hans Peter Wollseifer macht sich für eine Nachjustierung der Corona-Wirtschaftshilfen stark. Zwar sei es hilfreich, dass die Unterstützung für Firmen, die unter der Pandemie leiden, bis Ende März verlängert werde, sagte er im Interview mit dem Handelsblatt.

„Aber uns wäre es am liebsten, wenn sich die Hilfen wieder an den November- und Dezemberhilfen orientierten, weil die Überbrückungshilfe Plus nicht die in den Betrieben tatsächlich anfallenden Kosten kompensiert.“ Bei den November- und Dezemberhilfen, die Unternehmen nur bis Ende April 2021 beantragen konnten, wurden direkt oder indirekt von Schließungen betroffenen Unternehmen bis zu 75 Prozent der im Vorjahresmonat erzielten Umsätze erstattet.

Ob die Ausbreitung der neuen Omikron-Variante einen erneuten Lockdown erfordere, müssten die Fachleute entscheiden, sagte der Präsident des Zentralverbands des Deutschen Handwerks (ZDH). „Aber ich erwarte, dass die Regierung genau abwägt zwischen dem Gesundheitsschutz und dem, was sie auch der Wirtschaft zumuten kann.“ Ein erneuter Lockdown würde für viele Betriebe das Ende bedeuten, wenn sie nicht entsprechende Unterstützung erfahren.

Bei der geltenden 3G-Regelung im Betrieb sehe er für das Handwerk noch viele offene Fragen, sagte Wollseifer. So arbeiteten beispielsweise Gebäudereiniger, Sanitärfachleute oder Maler oft an mehreren verschiedenen Einsatzstellen pro Tag. Hier stelle sich etwa die Frage, ob nur der Betriebsinhaber den 3G-Nachweis kontrollieren könne oder das auch delegieren dürfe.

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Für Bauherren hat Wollseifer keine guten Nachrichten parat. Für Bau- und Ausbauarbeiten betrage die Wartezeit auf einen Handwerker derzeit elf bis fast 14 Wochen, erklärte er. Und wer plane, bald zu bauen, dem müsse klar sein: „Bauen wird auch im nächsten Jahr teurer werden, weil sich die Materialpreise auf einem höheren Niveau als vor den Preisexplosionen zu stabilisieren scheinen.“

Lesen Sie hier das vollständige Interview:

Herr Wollseifer, wenn ich mich im Januar entschließe, mein Bad zu sanieren – wie lange muss ich dann auf einen Handwerker warten?
So gerne ich anderes sagen würde: leider ziemlich lange. Bei den Baugewerken geht es auf 14 Wochen Wartezeit zu und beim Ausbau liegen wir bei etwa elf Wochen. Das ist auch nicht im Sinne unserer Betriebe selbst, die ihre Kunden schnell und pünktlich bedienen wollen.

Warum können die Betriebe das nicht?
Die Auftragsbücher sind voll, nicht nur im Bau oder Ausbau, wo derzeit viel investiert wird. Aber es fehlen Fachkräfte und Material. Und zudem sind die Materialien auch noch viel teurer geworden als im Vorjahr.

Können die Handwerker die gestiegenen Preise denn ein Stück weit an die Kunden weitergeben?
Im vertretbaren Rahmen müssen sie das versuchen, weil sie sonst ein Minusgeschäft machen würden. Und wer zu bauen plant, dem muss klar sein: Bauen wird auch im nächsten Jahr teurer werden, weil sich die Materialpreise auf einem höheren Niveau als vor den Preisexplosionen zu stabilisieren scheinen.

Fürchten Sie, dass auch die aktuell hohen Verbraucherpreise von Dauer sind?
Ich denke, die allgemeine Inflationsrate wird wieder ein Stück weit nach unten gehen. Momentan treiben ja vor allem die Energiekosten die Preise, und hier erwarte ich, dass es sich wieder normalisiert.

Zu den steigenden Preisen an der Zapfsäule kommt hinzu, dass die Ampelregierung das Diesel-Privileg abschaffen will. Ein rotes Tuch für viele Handwerker, die mit dem Dieselfahrzeug zum Kunden fahren, oder?
Wir sind bereit, den Weg zu mehr Klimaschutz mitzugehen, aber er muss für die Betriebe verkraftbar sein. Wir brauchen dann an anderer Stelle eine Kompensation.

Die Coronakrise lässt uns nicht los. Wie ist das Handwerk bislang durch die Pandemie gekommen?
Die Betroffenheit ist von Gewerk zu Gewerk im Handwerk sehr unterschiedlich. Viele Messebauer sind kurz vor der Existenzaufgabe, auch die Feinwerkmechaniker, die als Industriezulieferer arbeiten, haben große Probleme. Wenn Cafés wieder schließen, geraten die Konditoren in existenzielle Bedrängnis, weil sie ihren Betrieb nur schwer erhalten können mit den paar Stückchen Kuchen, die sie über die Ladentheke reichen. Dagegen sind wir in den Bau- und Ausbaugewerken, die kaum coronabedingte Einschränkungen hatten, sehr gut durch die Pandemie gekommen.

Derzeit wird über zusätzliche Kontaktbeschränkungen oder einen neuen Lockdown diskutiert. Halten Sie den für erforderlich?
Das müssen die Fachleute entscheiden. Aber ich erwarte, dass die Regierung genau abwägt, zwischen dem Gesundheitsschutz und dem, was sie auch der Wirtschaft zumuten kann. Ein erneuter Lockdown würde für viele Betriebe das Ende bedeuten, wenn sie dann nicht entsprechende Unterstützung erfahren. Denn mittlerweile sind die Rücklagen aufgezehrt.

Ist es hilfreich, dass die Bundesregierung die Wirtschaftshilfen bis Ende März 2022 verlängert?
Ja, das hilft. Aber uns wäre es am liebsten, wenn sich die Hilfen wieder an den November- und Dezemberhilfen orientierten, weil die Überbrückungshilfe Plus nicht die in den Betrieben tatsächlich anfallenden Kosten kompensiert.

Gibt es für Handwerker Probleme mit den 3G-Regeln, etwa wenn sie zu Kundenterminen fahren?
Grundsätzlich stehen wir hinter der 3G-Regelung, aber es gibt weiter viele offene Fragen. Gebäudereiniger, Sanitärfachleute oder Maler haben ja oft mehrere verschiedene Einsatzstellen pro Tag. Hier stellt sich etwa die Frage, ob nur der Betriebsinhaber den 3G-Nachweis kontrollieren kann oder er das auch delegieren darf. Und wie findet die Dokumentation statt? Auf die klärende Rechtsverordnung aus dem Arbeitsministerium warten wir immer noch.

Abhilfe könnte eine allgemeine Impfpflicht schaffen. Sind Sie dafür?
Wegen der Veränderungen im Pandemieverlauf und leider auch wegen der viel geringeren Impfbereitschaft, als ich erwartet hatte: Ja, auch wenn ich die körperliche Unversehrtheit nach wie vor für ein sehr hohes Gut halte. Aber es geht eben auch um Leib und Leben von Menschen, für die eine Corona-Infektion bedrohlich sein kann, es geht um Krankenhauspersonal, das bis an die eigenen körperlichen Belastungsgrenzen arbeiten muss, und um Betriebe, in denen Mitarbeitende ausfallen und in denen nicht uneingeschränkt gearbeitet und ausgebildet werden kann. Die Impfung ist wichtig, um sich selbst, aber auch die Familie, Freunde, Kolleginnen und Kollegen und ganz klar auch die Betriebe zu schützen. Daher verwehre ich mich nicht mehr einer allgemeinen Impfpflicht.

Wärmedämmung im Dachstuhl

Mit dem vorhandenen Personal im Handwerk werden sich die Klima- und Wohnungsbauziele der Regierung nicht erreichen lassen.


(Foto: imago images / Westend61)

Kommen wir noch einmal zum eingangs schon erwähnten Fachkräftemangel. Ist es für Handwerker, die heute aus Altersgründen ausscheiden, schwierig, einen Nachfolger zu finden?
In den nächsten fünf Jahren stehen rund 125.000 Betriebe aus Altersgründen zur Übergabe an. Hierfür Interessenten zu finden und eine erfolgreiche Nachfolge hinzubekommen, ist von gesamtwirtschaftlicher und gesellschaftlicher Relevanz, wenn man bedenkt, dass unsere Betriebe im Schnitt fünf bis sieben Beschäftigte haben. Die Nachfolgersuche ist durchaus nicht immer leicht. Aber wir müssen junge Leute finden, die den Mut haben, einen Betrieb zu gründen oder zu übernehmen. Schließlich geht es darum, Arbeits- und Ausbildungsplätze und wertvolles Know-how zu bewahren. Wir brauchen mehr politische und gesellschaftliche Wertschätzung für die Selbstständigkeit und das Unternehmertum. Sonst sind die Ziele der Ampel beim Klimaschutz oder Wohnungsbau nicht zu erreichen.

Inwiefern?
Denken Sie daran, dass jedes Jahr 400.000 neue Wohnungen gebaut werden sollen. Solaranlagen oder Ladesäulen wollen installiert werden. Das machen qualifizierte Handwerkerinnen und Handwerker. Mit dem vorhandenen Personal werden wir das nicht stemmen können. Daher müssen wir mehr junge Menschen für eine berufliche Ausbildung und auch für eine Existenzgründung im Handwerk begeistern.

Der beste Weg zur Nachwuchssicherung ist die Ausbildung, doch die Zahl der neu geschlossenen Ausbildungsverträge ist in diesem Jahr auf ein Rekordtief gesunken. Laufen wir in eine Ausbildungskrise hinein?
Im Handwerk konnten wir zumindest ein leichtes Plus bei den neuen Ausbildungsverträgen im Vergleich zu 2020 erreichen und liegen damit besser als Handel und Industrie. Aber es ist grundsätzlich schon so, dass wir jetzt wirklich die Kurve kriegen und die berufliche Bildung stärker in den Fokus nehmen müssen. Dass diese Absicht besteht, lese ich durchaus aus dem Koalitionsvertrag heraus. Wir brauchen einen Pakt für berufliche Bildung und eine gesetzliche Festschreibung, dass berufliche und akademische Bildung gleichwertig sind – auch was die Finanzierung und Förderung angeht. Begabtenförderung in der beruflichen Bildung unterstützt der Staat mit 60 Millionen Euro im Jahr, bei der akademischen Bildung sind es 300 Millionen. Wir wünschen uns Exzellenz-Akademien, so wie es Exzellenz-Universitäten gibt.

Die Ampelkoalition verspricht unversorgten Bewerbern künftig eine Ausbildungsgarantie. Was halten Sie davon?
Die ist nicht zielführend, setzt am falschen Ende an. Denn wir haben nicht zu wenige Ausbildungsplätze in Deutschland, allein im Handwerk bleiben in diesem Jahr wieder 18.000 unbesetzt. Wir haben ein Bewerberproblem, darum müssen wir uns kümmern. Was sicher nicht hilft, ist, jetzt einen Wettbewerb mit schulischen Trägern der Ausbildung zu starten.

Aber wer Kfz-Mechatroniker werden möchte, wird ja nun nicht automatisch Schreiner, nur weil da vielleicht noch ein Ausbildungsplatz frei ist …
Das Problem wäre kleiner, wenn wir Auszubildende darin unterstützen würden, mobiler zu sein. Wir brauchen bundesweite Azubi-Tickets und müssen Azubi-Wohnen möglich machen, so wie es auch Studentenwohnheime gibt. Dann könnte, wer aus Brandenburg kommt, beispielsweise auch einen Ausbildungsplatz in Hessen annehmen. Idealerweise bekommt sie oder er auch noch ein Stipendium dazu.

Eine Ausbildungsplatzumlage, wie sie SPD und Grüne in ihren Wahlprogrammen hatten, bleibt Ihnen erspart. Ist die FDP hier die Retterin des Handwerks?
Ich weiß nicht, wer dazu beigetragen hat, dass sich die Umlage nicht im Koalitionsvertrag findet. Vielleicht war es auch einfach nur die Vernunft. Unser Problem heute ist doch, dass wir viele ausbildungswilligeBeatrix Betriebe haben, die aber keinen Auszubildenden bekommen und sich nach Jahren vergeblicher Suche zurückziehen.

Eine Lösung des Fachkräfteproblems könnte auch mehr Einwanderung bringen. Überzeugen Sie da die Ampelpläne?
Wichtig ist, dass Flüchtlinge, die von den Betrieben ausgebildet oder eingestellt worden sind, auch tatsächlich bleiben dürfen. Mit derzeit rund 25.000 Flüchtlingen aus den acht häufigsten Asylherkunftsländern, die derzeit eine Ausbildung im Handwerk machen, leisten wir einen im Vergleich zu anderen Wirtschaftsbereichen überproportional großen Beitrag zur Integration. Zudem sollte die Regierung die Westbalkan-Regelung entfristen und die unnötige Kontingentierung auf 25.000 Arbeitskräfte am besten wieder aufheben, damit wir auf den Baustellen genug Eisenbieger und Einschalkräfte haben. Das setzt aber auch mehr Tempo bei der Visavergabe und bei den weiteren Zuwanderungsverfahren voraus.

Die Ampel schüttet ein ganzes Füllhorn über das Handwerk aus: Die Durchlässigkeit beruflicher und akademischer Ausbildung soll verbessert, der Zugang zur Meisterausbildung erleichtert werden, auch kleine Unternehmen sollen sich einfacher um öffentliche Aufträge bewerben können. Sind Sie alles in allem zufrieden?
Das alles freut uns, aber der Koalitionsvertrag hat auch sehr erkennbare Schattenseiten. Grundsätzliche Reformansätze, mit denen der Sozialversicherungsbereich zukunftsfit und generationengerecht gemacht wird, fehlen. Zumindest hätten wir erwartet, dass die 40-Prozent-Marke bei den Sozialversicherungsbeiträgen festgeschrieben wird. Stattdessen drohen bei Gesundheit, Pflege oder Rente Mehrausgaben und steigende Beiträge. Das Handwerk hat 5,6 Millionen Beschäftigte, und die sollen schließlich genügend Netto vom Brutto haben. Mit Blick auf Sozialreformen muss die Ampel auf jeden Fall noch deutlich mutiger sein.

Herr Wollseifer, vielen Dank für das Interview.

Mehr: BDA-Chef Rainer Dulger im Interview: „Der Wortbruch beim Mindestlohn hat viel Vertrauen zerstört“

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