Ampelkoalition einigt sich auf „Turbo-Einbürgerung“ von Ausländern

Berlin Mehr als zwölf Millionen Menschen mit Migrationshintergrund leben hierzulande ohne deutsche Staatsbürgerschaft. Das ist etwa jeder siebte Einwohner. Um den Weg zum deutschen Pass zu verkürzen, hat sich die Ampelregierung nun auf Änderungen des Staatsangehörigkeitsrechts verständigt. Ein Gesetzesentwurf dazu soll an diesem Mittwoch vom Kabinett gebilligt werden.

Die Grundzüge der Reform hatten SPD, FDP und Grüne bereits im Koalitionsvertrag vereinbart. Innenministerin Nancy Faeser (SPD) sprach von einem der „wichtigsten Fortschrittsthemen der Ampel“.

Viele Menschen ohne deutsche Staatsangehörigkeit lebten bereits seit mehr als zehn Jahren in Deutschland, arbeiteten hier, zahlten Steuern, seien hier zu Hause – könnten sich aber nicht an politischen Entscheidungsprozessen beteiligen.

Dies sei „nicht gut für unsere Demokratie“, so Faeser. Es sei daher „höchste Zeit“, dass Deutschland ebenso wie die überwiegende Zahl der EU-Staaten Mehrstaatigkeit akzeptiere.

Die Unionsparteien befürchten derweil eine Entwertung der deutschen Staatsangehörigkeit. Der Anreiz, sich wirklich in die Gesellschaft zu integrieren, verringere sich durch leichtere Einbürgerungen.

Bisherige Voraussetzungen für die Einbürgerung

Aktuell müssen Ausländer acht Jahre „dauerhaft und rechtmäßig“ in Deutschland leben, bevor ein Anspruch auf Einbürgerung besteht. Zusätzlich werden „ausreichende Deutschkenntnisse“ verlangt. Zudem müssen Kenntnisse der Rechts- und Gesellschaftsordnung und der Lebensverhältnisse in Deutschland über einen Einbürgerungstest nachgewiesen werden.

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Die bisherige Staatsangehörigkeit muss in der Regel aufgegeben werden. Es gibt jedoch Ausnahmen, die eine mehrfache Staatsbürgerschaft erlauben. EU-Bürger dürfen ihre bisherige Staatsangehörigkeit beispielsweise behalten.

Künftig kürzere Wartezeiten bei der Einbürgerung

Eine Einbürgerung soll in Zukunft in der Regel nach fünf statt wie bisher nach acht Jahren möglich sein.

Bei besonderen Integrationsleistungen – etwa herausragenden Leistungen in Schule und Beruf, ehrenamtlichem Engagement oder besonders guten Sprachkenntnissen – sollen drei Jahre Aufenthalt in Deutschland ausreichen.

Mehrere Staatsangehörigkeiten möglich

Mit der Reform soll der Besitz mehrerer Staatsbürgerschaften erleichtert werden. Bisherige Staatsangehörigkeiten sollen grundsätzlich kein Hindernis mehr für eine Einbürgerung sein.

In Deutschland geborene Kinder ausländischer Eltern sollen automatisch Deutsche werden, wenn ein Elternteil bereits seit fünf Jahren seinen rechtmäßigen gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik hat und ein unbefristetes Aufenthaltsrecht besitzt.

Erleichterungen für Gastarbeitergeneration

Gastarbeitern in den westdeutschen Bundesländern und Vertragsarbeitnehmern in der früheren DDR habe man zugestanden, einen „wesentlichen Beitrag zur Entwicklung Deutschlands“ geleistet zu haben. Sie hätten aber in der Vergangenheit keine oder nur wenig Integrationsangebote erhalten, konstatiert der Entwurf.

Deutscher Reisepass

Den deutschen Pass soll man in Zukunft leichter neben einer weiteren Staatsbürgerschaft bekommen können.

(Foto: dpa)

Als Sprachnachweis soll daher genügen, dass sich die betreffenden Personen im Alltag auf Deutsch ohne nennenswerte Probleme verständigen können. Die Angehörigen der Gastarbeitergeneration sollen zudem nicht mehr verpflichtet sein, einen Einbürgerungstest zu absolvieren.

Bekenntnis zur freiheitlich-demokratischen Grundordnung

Wer in Deutschland eingebürgert werden will, muss sich zu den Werten einer freiheitlichen Gesellschaft bekennen. Dazu gehören insbesondere die Würde und Gleichheit aller Menschen.

Im Gesetz steht daher ausdrücklich: „Antisemitisch, rassistisch oder sonstige menschenverachtend motivierte Handlungen sind mit der Menschenwürdegarantie des Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland unvereinbar und verstoßen gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung im Sinne dieses Gesetzes.“ Da gebe es keinerlei Toleranz, sagte Faeser. „Wer unsere Werte nicht teilt, kann nicht Deutscher werden.“

Sicherung des Lebensunterhalts

Das Gesetz verlangt von Menschen, die in Deutschland eingebürgert werden wollen, dass sie wirtschaftlich integriert sind. Das heißt: Sie müssen den Lebensunterhalt für sich und die eigenen Familienangehörigen grundsätzlich ohne Sozialleistungen bestreiten können.

Ausgenommen sind etwa Gast- und Vertragsarbeiter, außerdem Familien mit minderjährigen Kindern, wenn ein Ehegatte oder eingetragener Lebenspartner in Vollzeit erwerbstätig ist.

Momentane Lage bei Einbürgerungen

In Deutschland sind vergangenes Jahr so viele Menschen eingebürgert worden wie seit 20 Jahren nicht mehr. Rund 168.500 Neubürgerinnen und Neubürger zählte das Statistische Bundesamt 2022. Dies seien 28 Prozent mehr als im Vorjahr. Das Innenministerium gibt indes zu bedenken, dass dies gerade einmal 3,1 Prozent der ausländischen Staatsbürgerinnen und Staatsbürger sei, die seit mindestens zehn Jahren in Deutschland leben.

Im europäischen Vergleich fällt Deutschland damit stark ab (Einbürgerungsrate in der EU: 2,0 Prozent, in Deutschland: 1,1 Prozent). Ein Grund dafür sei, dass Deutschland im Gegensatz zu vielen anderen Staaten bisher verlangt, die alte Staatsangehörigkeit aufzugeben und sich für eine Staatsangehörigkeit zu entscheiden, erklärte das Ministerium.

Wie die Politik auf das Ampel-Vorhaben reagiert

Die Einbürgerungspläne werden in der Politik unterschiedlich bewertet. Von einem modernen und zeitgemäßen Staatsangehörigkeitsrecht, sprach der Grünen-Fraktionsvize Konstantin von Notz. „Das ist ein wichtiger Schritt für bessere Integration, unbürokratische Anerkennung von Leistungen und die bessere Gewinnung von Fachkräften.“ Der FDP-Politiker Stephan Thomae wertet insbesondere die Verkürzung der Einbürgerungsfristen als Signal, dass sich Fleiß und eigene Arbeitsleistung lohnen. „Damit schaffen wir auch einen Anreiz für qualifizierte Fachkräfte aus dem Nicht-EU-Ausland.“

Nancy Faeser (SPD)

Die Innenministerin will mit ihrem Entwurf das Staatsbürgerschaftsrecht modernisieren.

(Foto: IMAGO/Chris Emil Janßen)

Aus der Union-Bundestagsfraktion kam deutliche Kritik. Der Erste Parlamentarische Geschäftsführer Thorsten Frei (CDU) warf Innenministerin Faeser vor „die falschen Prioritäten“ zu setzen. „In der aktuellen Migrationskrise sollte sie sich darauf konzentrieren, die illegale Migration einzudämmen“, sagte Frei dem Handelsblatt.

Auch die Union wolle mehr Einwanderung. „Doch der Weg zu diesem Ziel führt nicht über offene Tore und geringste Voraussetzungen für den Erwerb der deutschen Staatsangehörigkeit.“ Mit dem neuen Gesetz stehe vielmehr zu befürchten, dass der gesellschaftliche Zusammenhalt Schaden nehme, sagte Frei.

Der parlamentarische Geschäftsführer der CSU im Bundestag, Stefan Müller, sprach von einem „falschen Gesetz zur falschen Zeit“. „Während Deutschland wieder Rekordzahlen bei der Migration verzeichnet, senkt die Ampel die Hürden für den deutschen Pass und schafft damit weitere Anreize nach Deutschland zu kommen“, sagte Müller dem Handelsblatt.

Was sagen Experten zu den Einbürgerungsplänen?

Migrationsforscher wie Herbert Brücker vom Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) der Bundesagentur für Arbeit versprechen sich von der Annahme der deutschen Staatsbürgerschaft „eindeutig positive Effekte“ auf die Integration in den Arbeitsmarkt. Menschen, die den deutschen Pass bekommen, würden leichter eingestellt, ihre Verdienste stiegen, und sie seien leistungsbereiter, so Brücker.

Auch der Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW), Marcel Fratzscher, betonte die Vorteile. „Eine Erleichterung von Einbürgerungen verbessert die Chancen für eine erfolgreiche Integration, wirtschaftlich wie auch gesellschaftlich“, sagte Fratzscher dem Handelsblatt. Der Ökonom sieht zudem größere Chancen, Fachkräfte nach Deutschland zu locken. „Wir dürfen nicht den Fehler machen zu glauben, Deutschland sei hochattraktiv für Fachkräfte aus dem Ausland“, sagte er.

Es fehle an Zukunftsperspektiven und einer Willkommenskultur, damit mehr Fachkräfte auch langfristig in Deutschland bleiben wollen. Eine zeitnahe Einbürgerung sei dafür ein „wichtiges Element“. „Dazu gehört auch die Möglichkeit einer dualen Staatsbürgerschaft, die wichtig ist, um Deutschland als Heimat für mehr Menschen attraktiv zu gestalten“, betonte Fratzscher.

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