„Bei vielen Büchern ist vor Weihnachten kein Nachdruck mehr möglich“

München Die Rohstoffknappheit macht auch vor den Verlagen nicht Halt. Ihnen fehlt das Papier, um Bücher zu drucken. „Das ist ein großes Problem“, sagte Jonathan Beck, Chef des Verlags C.H. Beck, im Gespräch mit dem Handelsblatt. Er rät daher jetzt schon dazu, sich dieses Jahr frühzeitig vor Heiligabend um Geschenke zu kümmern.

„Ich befürchte stark, dass die Leute sich dieses Jahr zu Weihnachten nicht sicher sein können, jedes Buch auch noch kurzfristig zu bekommen“, sagt er. „Bei vielen Büchern wissen wir jetzt schon, dass vor Weihnachten kein Nachdruck mehr möglich ist. Wenn der jetzige Bestand verkauft sein wird, kommt erst nächstes Jahr Nachschub.“

Bislang ist der Verlag gut durch die Coronakrise gekommen. Hans Dieter Beck und sein Neffe Jonathan Beck strahlen so viel Ruhe und Gelassenheit aus, dass man meinen könnte, ihrer Branche könne nichts und niemand etwas anhaben.

Dabei geht die Zahl der Buchkäufer in Deutschland konstant zurück, von 36,5 Millionen im Jahr 2011 auf zuletzt nur noch 28,4 Millionen. Bei C.H. Beck ist davon jedoch wirtschaftlich nur wenig zu spüren. Die Coronakrise hat das Geschäft teilweise sogar noch beflügelt. Grund ist auch, dass sich der Verlag früh auf neue Technologien eingelassen hat.

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Lesen Sie hier das komplette Interview:

Herr Hans Dieter Beck, Herr Jonathan Beck, die Pandemie hat viele Unternehmen getroffen. Wie sind Sie durch die Krise gekommen?
Hans Dieter Beck: Das haben wir gut geschafft. Das gilt jedenfalls für den juristischen Verlag. Wir stehen wie kaum ein anderer Wissenschaftsverlag im Zeichen des Medienwandels. Die Verkaufszahlen von Büchern und Zeitschriften gehen schlimm zurück, auch schon vor Corona. Aber – Gott sei Dank – haben wir vor 20 Jahren die juristische Datenbank beck-online gegründet. Deren Wachstum ist stärker als der Rückgang im Print – und jetzt noch verstärkt durch die Coronaepidemie.
Jonathan Beck: Der Publikumsverlag kann sich auch nicht beschweren. Das Interesse an unseren Büchern war in der Pandemie doch groß – erst recht, als man nicht mehr in die Oper oder ins Theater gehen konnte.

Nun findet diese Woche nach einem Jahr Pause wieder die Frankfurter Buchmesse statt. Fiebern Sie dem Branchentreff entgegen?
Jonathan Beck: Persönlich freue ich mich sehr, viele Kollegen wieder leibhaftig zu sehen, auch aus anderen Ländern. Der Buchmarkt ist eine sich um den Menschen zentrierende Branche. Da gehört es dazu, sich zu begegnen.
Hans Dieter Beck: Wir Fachverleger sehen die Sache nüchterner. Über die Buchmesse haben wir in den letzten Jahren immer weniger Händler erreicht. Die werden heute durch unsere Spezialmedien wirkungsvoll informiert. Für die Verlagsleitungen, Produktmanager und Lektoren sind Veranstaltungen wie Juristentag und Anwaltstag viel interessanter.

Wirtschaftlich steht Ihre Gruppe gut da. Kaum einer weiß, dass sie mit 520 Millionen Euro Jahresumsatz zu den allergrößten Buchverlagsgruppen in Deutschland gehören.
Jonathan Beck: Zu Zahlen äußern wir uns nicht im Detail. Die Mediengruppe, das darf man nicht vergessen, ist eine Gesellschaft mit zwei persönlich haftenden Gesellschaftern. Da ist die Steuererklärung der Firma nahezu gleichbedeutend mit der der Inhaber. Diese 520 Millionen enthalten auch die Handelsumsätze unserer Tochter Schweitzer Fachinformationen. Die reinen Verlagsumsätze liegen bei knapp unter 300 Millionen Euro. Damit sind wir unter den zehn größten Verlagsgruppen in Deutschland.

Wie verteilen sich die Umsätze auf die beiden Verlagsteile?
Hans Dieter Beck (zeigt in Richtung seines Neffen): Das musst du jetzt gestehen.
Jonathan Beck: Der Publikumsverlag trägt dazu weniger als zehn Prozent bei.
Hans Dieter Beck: Aber die Strahlkraft eines Publikumsverlages ist heller. Das größere wirtschaftliche Gewicht hat der juristische Bereich, weil er in sehr vielen Disziplinen vertreten ist, zumeist als Marktführer.
Jonathan Beck: Im Bereich Geschichte, vielleicht beim Sachbuch allgemein, sind wir auch führend. Dafür reicht der kleine Prozentanteil schon aus.

Wo liegen die großen Wachstumsbereiche in Ihrem Haus, die Sie womöglich mit kühnen Konzepten erobern wollen?
Jonathan Beck: Wir denken nicht in strategischen Wachstumslinien, sondern daran, was wir inhaltlich noch tun können.

Wie treffen Sie solche Entscheidungen – jeder separat in seinem Bereich oder gemeinschaftlich?
Hans Dieter Beck: Im Wesentlichen jeder in seinem Bereich. Dies gilt vor allem in Programm- und Autorenfragen.
Jonathan Beck: Bei typisch verlegerischen Entscheidungen auf jeden Fall. Aber dann gibt es natürlich noch eine gemeinsame unternehmerische Infrastruktur.

Und es gibt einen gemeinsamen Gewinn.
Jonathan Beck: Gesellschaftsrechtlich gesehen ja. Natürlich schauen wir im internen Controlling alle Verlagsbereiche genau an. Aber wir machen das hier in erster Linie ja nicht wegen des Geldes, sondern wegen der Sache.

Sie setzen auf klassische Verlegertugenden?
Jonathan Beck: Das Wichtigste ist Interesse am Austausch mit den Autorinnen und Autoren, auch an der tieferen Debatte. Wir pflegen einen gewissen Meinungspluralismus. Und Zugänglichkeit ist wichtig, ich bin immer ansprechbar.
Hans Dieter Beck: Als Oberster des juristischen Verlags mit seinen circa 600 Mitarbeitern allein in München und Frankfurt muss ich um eine gute Organisation und gute Führungskräfte besorgt sein. Wir wollen weiter maßvoll expandieren und vor allem die gute Qualität unserer Produkte wahren.

C.H.Beck-Verlagsgelände

Der Verlag sitzt mitten in München-Schwabing.


(Foto: C.H. Beck)

Sie haben mehr als 2000 Mitarbeiter. Welche Führungsprinzipien haben sie?
Hans Dieter Beck: Meine Führungsprinzipien ergeben sich aus der Natur der sehr unterschiedlichen Aufgabenbereiche und der beteiligten Mitarbeiter. Es ist eine Mischung aus hierarchischem und kooperativem Zusammenarbeiten.
Jonathan Beck: Als Familienmitglied ist man nicht automatisch die beste Wahl in diesem Job. Man wurde ja nicht nach rein fachlichen Kriterien ausgewählt. Entsprechend ist es wichtig, die fachlich besten Leute anzustellen – und ihnen gute Rahmenbedingungen zu bieten. Da überträgt es sich hoffentlich, dass die Verleger ihre Arbeit gern machen. Zumindest haben wir eine sehr geringe Fluktuation.

Gibt es bestimmte wirtschaftliche Regeln, etwa für die Einbehaltung von Gewinnen oder eine Verschuldungsgrenze?
Hans Dieter Beck: Wir haben nie einen wesentlichen Kredit aufnehmen müssen, auch nicht anlässlich der zum Teil aufwendigen Akquisitionen.

Ihr Bruder Wolfgang Beck hat schon an seinen Sohn Jonathan übergeben. Wie planen Sie Ihre Nachfolge?
Hans Dieter Beck: In meinem Bereich Jura, Wirtschaft und Tochterunternehmen sind wir führungsmäßig stark auf Fremdgeschäftsführer angewiesen. Meine noch jungen drei Töchter, Anfang 30, betreiben andere Berufe, werden aber in naher Zeit aktiv als Gesellschafterinnen am Unternehmen mitwirken.

Jüngst haben Sie sich mit einem sehr ernsten Thema Ihrer Geschichte auseinandergesetzt. Standardwerke, die nach in der NS-Zeit aktiven Juristen benannt waren, erhielten andere Namen – aus „Palandt“ wird „Grüneberg“, aus „Schönfelder“ wird „Habersack“. Haben Sie die Diskussion zu lange laufen lassen?
Hans Dieter Beck: Bis vor Kurzem hätten sich die meisten Juristen über eine solche Umbenennung eher gewundert, denn die Namen dieser Altautoren aus der NS-Zeit waren inzwischen zu einer Art Markenbegriff erstarrt. Zumal Generationen von neuen Autoren die Werke zum Teil völlig neu gestaltet haben. In den letzten Jahren haben sich die Stimmen für eine Umbenennung gemehrt. Dazu kam, dass sich ein neuer Antisemitismus hierzulande bemerkbar gemacht hat, was für den Verlag ein weiterer Grund war, die Umbenennungen aktiv in Gang zu setzen.

Jonathan Beck: Wir haben in der ganzen Familie sehr ausführlich darüber debattiert. Wir tauschten uns intensiv mit unseren Autoren aus und mit der Initiative, die die Umbenennung gefordert hat. Ich bin froh, dass wir diese Entscheidung getroffen haben.

Sind solche übergeordneten Themen ein Fall für die Gesellschafterversammlung?
Jonathan Beck: Ja. Wir versuchen, mindestens einmal im Jahr eine Art Familientag zu machen. Da kommen dann alle sieben Mitglieder der zukünftigen Gesellschaftergeneration zusammen.

Wie steht es um die Zukunftstransformation Ihrer Firma? Da tun sich Familienunternehmen ja oft schwer.
Jonathan Beck: Unsere wichtigsten Innovationen bestehen darin, alle sechs Monate ein neues Programm auf die Beine zu stellen. Das sind allein im Publikumsverlag jedes Jahr 200 neue Produkte. Die meisten Leute schätzen sie genau in der Form, in der sie konzipiert und erhältlich sind, nämlich als Buch aus Papier. Die Digitalisierung betrifft eher die internen Abläufe, organisatorische Dinge.

Die E-Books sind für Verlage mit Unterhaltungsliteratur wichtiger als für uns. Bei einem Krimi ist nach der letzten Seite der Fall gelöst, das lässt sich leicht abschalten. Bei unseren Büchern möchte man sich später genauer erinnern, was man gelesen hat. Das hält auf Papier besser.

Und im juristischen Bereich?
Hans Dieter Beck: Die bedeutendste Innovation war die Schaffung von beck-online. Die Datenbank wird laufend inhaltlich und technisch weiterentwickelt und umfasst jetzt eine neue Art von Großkommentaren, die alle drei Monate an die neue Rechtslage angepasst werden.

Im Internet weiß man nie, wie sehr man sich auf die Information verlassen kann. Ist das ein Grund für den Erfolg des Sachbuchs?
Jonathan Beck: Immer mehr Autorinnen und Autoren haben den Dreh raus, wie man interessante und unterhaltsame Sachbücher schreibt. Und natürlich leben wir in aufregenden Zeiten, auch politisch. Das haben wir schon bei 9/11 gesehen. Danach erfuhr unser islamwissenschaftliches Programm auf einmal viel mehr Aufmerksamkeit. Heute erkennen wir auch in der jüngeren Lesergeneration ein größeres Bewusstsein, beim Klimawandel sowie auch bei historischen Themen.

Im Moment sind viele Rohstoffe rar, auch Papier. Welche Auswirkungen hat das für den Verlag?
Jonathan Beck: Das ist ein großes Problem. Ich befürchte stark, dass die Leute sich dieses Jahr zu Weihnachten nicht sicher sein können, jedes Buch auch noch kurzfristig zu bekommen. Bei vielen Büchern wissen wir jetzt schon, dass vor Weihnachten kein Nachdruck mehr möglich ist. Wenn der jetzige Bestand verkauft sein wird, kommt erst nächstes Jahr Nachschub.

Wird sich das auch auf die Buchpreise auswirken?
Jonathan Beck: Mittelfristig ja, wenn auch nicht so sprunghaft wie bei Heizöl oder Gas. Der Druck ist da. Ein umfangreicheres Hardcover unter 30 Euro zu kalkulieren wird immer schwieriger.

Können alle dem Druck standhalten – oder gibt es einen Schub bei der Konsolidierung der Buchbranche?
Hans Dieter Beck: Ich glaube nicht, dass die Konzentration stark zunehmen wird. Wenn ein Verlag zu groß wird, geht die Seele verloren. Jeder Verlag möchte ein eigenes Gesicht haben.
Jonathan Beck: Es gibt natürlich immer wieder die eine oder andere Übernahme, aber es gibt auch erfolgreiche Neugründungen, da quasi keine Eintrittsbarrieren existieren.

Wie viele Offerten haben Sie bekommen, Ihren 258 Jahre alten Verlag zu verkaufen?
Hans Dieter Beck: Jede Menge. Aber das wollen wir gar nicht, und das wissen die meisten mittlerweile auch. Beck soll ein unabhängiges Familienunternehmen bleiben. Dafür haben wir sehr gute Voraussetzungen. Die Nachfrage nach juristischen Inhalten wird nicht aufhören, weil der Gesetzgeber und die Rechtsprechung ständig für neue Themen sorgen.

Die Zahl der Buchkäufer in Deutschland ist konstant gesunken – von 36,5 Millionen im Jahr 2011 auf 28,4 Millionen. Wie wird es künftig um die Lust am Buch bestellt sein?
Jonathan Beck: Diese Tendenzen haben wir zum Glück noch nicht zu spüren bekommen. Der Verlag hat sich gut entwickelt. Meine Vermutung ist, dies liegt an den Babyboomern, die jetzt in Rente gehen, und immer mehr Zeit zum Lesen haben.
Hans Dieter Beck: Generell ist der Bildungsgrad in Deutschland gestiegen. Beck hat ein sehr bildungsbürgerliches, akademisches Publikum, und die Juristen, die unser Programm brauchen, haben sich kräftig vermehrt.

Welches Buch hat sich dieses Jahr am besten verkauft?
Jonathan Beck: Die Karten könnten im Herbst neu gemischt werden, zum Beispiel wenn Paul McCartneys Erinnerungen an seine 154 wichtigsten Songs erscheinen. Aber bislang ist es die Merkel-Biografie von Ralph Bollmann. Die haben wir bereits geplant, als noch unklar war, wann die Bundeskanzlerin aufhören wird.

Helmut Kohl und Gerhard Schröder haben verkaufsträchtige Autobiografien vorgelegt. Wird da von ihr auch etwas kommen?
Jonathan Beck: Ihre 16 Jahre waren sicherlich aufregender als die von Helmut Kohl, vielleicht mit Ausnahme der Wiedervereinigung. Ich habe sie schon gefragt – und bin garantiert nicht der Einzige, der auf diese Idee kam.

Und die Antwort?
Jonathan Beck: Auf die hoffe ich noch.

Vielen Dank für das Interview.

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