40 Millionen Euro Kapital: Pilzproteine sollen Hühnerfleisch ersetzen

Düsseldorf Vor acht Jahren hat Jim Laird das Food-Tech-Start-up Enough gegründet, das Fleischalternativen herstellt. Aber erst seit drei Jahren isst er selbst kein Fleisch mehr. „Wir sagen den Menschen nicht, sie sollen aufhören, Fleisch zu essen, wir wollen ihnen die Alternative bieten. Die Leute können selbst wählen“, sagt der 54-jährige Schotte.

Er entwickelt aus Pilzproteinen Nahrungsmittel, die Fleisch zum Verwechseln ähnlich sind – und will damit den Umstieg erleichtern. Nun hat er auf diesem Weg einen wichtigen Meilenstein genommen. Sein Start-up bekommt 40 Millionen Euro von Investoren in einer neuen Finanzierungsrunde, 96 Millionen Euro Wachstumskapital sind es nun insgesamt.

Damit ist ihm eine der größten Finanzierungsrunden Europas für pflanzliche Proteine gelungen. Dazu kommen dann noch Gelder aus Fördertöpfen der EU. Mit dem Wagniskapital hat Laird große Pläne.

Als Erstes will er die Fabrik in den Niederlanden ausbauen, um die Produktion zu vervierfachen. Dort stehen große Bioreaktoren, in denen sogenannte Mykoproteine wachsen, aus denen der Fleischersatz hergestellt wird. Mykoproteine werden umgangssprachlich auch Pilzproteine genannt, es sind also Eiweiße, die mit Zucker und Wasser zum Wachsen gebracht werden – ähnlich wie Joghurt fermentiert wird oder Bier gärt.

Innerhalb von fünf Stunden verdoppeln sich die Pilzproteine in den Tanks. Einer der Vorteile von Mykoprotein im Vergleich zu herkömmlichem Fleisch ist, dass in kurzer Zeit viel Masse hergestellt werden kann. Schweine, Hühner und Rinder dagegen werden geboren und müssen groß werden, bis sie geschlachtet werden. Hühner werden nach 40 Tagen geschlachtet, Schweine nach acht Monaten und Rinder erst nach zwei Jahren.

Bei Enough geht das schneller – aber in viel kleinerer Menge. Enough stellt derzeit 1,3 Tonnen Pilzproteine pro Stunde her, 10.000 Tonnen sind es im Jahr. Diese Menge möchte Laird nun vervierfachen. Bis 2032 will Enough 250.000 Tonnen pro Jahr Abunda produzieren, so heißt der Produktname, unter dem Enough die faserige Rohmasse vertreibt.

„Die Masse könnte man schon zu Hause in der Pfanne anbraten und mit Salz und Pfeffer abschmecken“, sagt Laird und und fügt lachend hinzu: „Je nachdem, wie gut man kochen kann.“ Enough fügt noch Fette und Aromen hinzu, die Kunden von Enough formen die Masse dann, bis sie wie Schnitzel, Frikadellen oder Hühnerbrust aussehen – so wie Verbraucher dann das Ersatzprodukt im Supermarkt kaufen. Kunden von Enough sind der Konsumgüterkonzern Unilever oder der Einzelhändler Marks & Spencer, zu dem die Supermärkte Tesco und Sainsbury’s gehören.

Jim Laird

Der schottische Start-up-Gründer will mithilfe von Pilzproteinen Alternativem zum Fleisch bieten.

(Foto: Enough)

Rügenwalder Mühle prüft Einsatz von Pilzproteinen

Enough ist nicht das einzige Unternehmen, das mit Pilzproteinen arbeitet. Das deutsche Start-up Mushlabs beispielsweise macht es genauso. Mushlabs hat insgesamt knapp 30 Millionen Dollar Wagniskapital eingesammelt.

Die 40 Millionen Euro, die Enough jetzt bekommt, haben unter anderem World Fund, Europas größter Climate-Tech-Investor mit Sitz in Berlin und CPT Capital bereitgestellt. Enough hat auch deshalb eine für die Branche hohe Summe eingesammelt, da es als erstes Unternehmen in Europa Mykoprotein in großem Volumen herstellt. Ein Anreiz für Gründer Laird die Kapazitäten in den Niederlanden weiter auszubauen. Ein paar Mitarbeiter will er auch noch einstellen, derzeit hat das schottische Start-up 60 Beschäftigte aus 13 Staaten.

In Deutschland ist die Rügenwalder Mühle Marktführer für pflanzliche Ersatzprodukte. Das Unternehmen aus der Nähe von Oldenburg setzt inzwischen mehr mit vegetarischen und veganen Ersatzprodukten als mit Fleisch um. Bisher nutzt es Soja, Weizen oder Erbsen als Grundlage – klassisch auf Feldern angebaut.

Doch das muss nicht so bleiben. „Pilzprotein perspektivisch für unsere veganen und vegetarischen Produkte zu verwenden, ist für uns definitiv interessant“, sagt Patrick Bühr dem Handelsblatt, er leitet den Bereich Forschung und Entwicklung bei der Rügenwalder Mühle. Es laufen Projekte dazu, doch ob die Rügenwalder Mühle auf Pilzproteine einsteigen wird, darauf will sich Bühr noch nicht festlegen.

Doch die Vorteile gegenüber anderen Pflanzenproteinen hat die Rügenwalder Mühle erkannt: Weniger Wasser, Energie und Fläche werden benötigt, was nachhaltig ist. Gleichzeitig ist das Pilzprotein sehr nährstoffreich. „Wir rechnen daher damit, dass sich Pilzprotein in den nächsten Jahren zu einer wichtigen Proteinquelle entwickelt und der Markt stark wachsen wird“, sagt Bühr.

EY schätzt den Markt für Fleischalternativen auf 4,9 Milliarden Dollar

Zu einem ähnlichen Schluss kommt auch die Unternehmensberatung EY: „Die aktuellen Alternativprodukte werden schon bald zum festen Bestandteil der neuen Normalität“, prognostizierten die Strategiemanager Brenda Mäder und Thassilo Krupke von EY im vergangenen Jahr. Eine EY-Analyse schätzte die weltweite Marktgröße 2021 auf 4,9 Milliarden US-Dollar, bis 2025 könnte die sich verdoppeln. Deutschland ist der derzeit größte Markt für pflanzliche Fleischersatzprodukte.

Eine Zeit lang hatte die alternative Proteinindustrie deshalb viel Kapital bekommen, im Jahr 2020 waren es weltweit rund 3,1 Milliarden US-Dollar. In Deutschland war 2021 ein sehr erfolgreiches Jahr für die Start-ups: In Finanzierungsrunden haben die Unternehmen mehr Geld gesammelt als je in den Jahren 2020 und 2022, das hat Startupdetector für das Handelsblatt errechnet. „Die Finanzierungsrunden werden seit letztem Jahr wieder kleiner, liegen allerdings noch über dem Niveau von 2020, im Food-Bereich sogar überdurchschnittlich höher“, sagt Startupdetector-Gründer Arnas Bräutigam.

Doch die Luft wird für die Produzenten von pflanzlichen Fleischalternativen dünner – schon weil es so viele Anbieter gibt. „Für die schätzungsweise mehr als 1000 Start-ups, die weltweit im Segment Fleischersatzprodukte tätig sind, wird der Wettbewerb um Kapital und Marktanteile immer erbitterter“, betonen die Autoren der EY-Studie.

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Wegen der vielen Unternehmen gibt es inzwischen ein „Battle of Branding“, also einen Kampf der Marken. Der Vorsprung bei den Pilzproteinen werde weniger durch Tech-Innovation als durch Sales und Marketing gewonnen, heißt es in der Branche. Wie Enough werben viele Food-Start-ups damit, weniger Emissionen als die Tierzucht zu verursachen. Brancheninsider weisen allerdings darauf hin, dass Pilzproteine zwar deutlich besser als Rindfleisch abschneiden, aber nicht weniger Treibhausgase verursachen als Hühner- oder Schweinefleisch.

Enough-Gründer Jim Laird ist vom Fleisch weggekommen, seine 16- und 18-jährigen Söhne essen dagegen weiter sehr gerne Fleisch. In Deutschland können Konsumenten bald selbst testen, zu welcher Seite sie tendieren. „Ende des Jahres kann man Produkte aus unseren Zutaten in deutschen Supermärkten kaufen“, verspricht Jim Laird.

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