Wirtschaft fordert von der Ampel „klares Signal für mehr Wachstum“

Berlin Kurz vor der Kabinettsklausur auf Schloss Meseberg wächst der Druck auf die Ampelkoalition, weitreichende Maßnahmen gegen die Konjunkturflaute in Deutschland zu treffen.

„Von Meseberg sollte ein deutliches Aufbruchssignal für die deutsche Wirtschaft ausgehen“, sagte der Präsident der Deutschen Industrie- und Handelskammer, Peter Adrian, dem Handelsblatt. „Die Rückmeldungen von Unternehmen aus verschiedenen Branchen und Regionen machen deutlich, dass die Wirtschaft strukturelle Probleme hat – von den hohen Energiepreisen über langwierige Genehmigungsverfahren bis hin zum wachsenden Fachkräftemangel.“

Dirk Jandura, Präsident des Bundesverbands Großhandel, Außenhandel, Dienstleistungen (BGA), mahnte zur Eile. „Nach dem unsäglichen Politiktheater muss das Wachstumschancengesetz in Meseberg beschlossen werden“, sagte Jandura dem Handelsblatt. Damit müsse die Bundesregierung Handlungsfähigkeit beweisen. Das Gesetz sei sicher „ein erster Schritt in die richtige Richtung“, aber weitere müssten folgen. „Ein klares Signal für mehr Wachstum, Investitionen und Innovationen wäre, im Steuerrecht auf ein international vergleichbares Belastungsniveau zu kommen.“

Bei der Klausur in Meseberg am Dienstag und Mittwoch könnte die Koalition ein Wachstumspaket beschließen, unter anderem mit Steuerentlastungen. Familienministerin Lisa Paus (Grüne) hatte zuletzt verhindert, dass die Lindner-Pläne für ein Wachstumschancengesetz vom Kabinett verabschiedet werden konnten. Sie will höhere Summen für die von ihr geplante Kindergrundsicherung durchsetzen. Berichten zufolge einigten sich die Koalitionäre in der Nacht auf Montag dazu.

Dass Handlungsbedarf besteht, zeigen einmal mehr aktuelle Daten des Statistischen Bundesamts. Die deutsche Wirtschaft stagnierte demnach im zweiten Quartal, nachdem sie zuvor zwei Quartale in Folge geschrumpft war. Die Aussichten für die kommenden Monaten sind mau, wie der Ifo-Index für August zeigte, der den vierten Monat in Folge fiel.

Außenhandels-Präsident fordert verständliche Gesetze und Regelungen

DIHK-Präsident Adrian wies daraufhin, dass sich fast überall auf der Welt die Wirtschaft deutlich besser als in Deutschland entwickele. „Deshalb sollten wir die vielen negativen Wirtschaftsdaten als Weckruf verstehen“, sagte er. Notwendig sei jetzt eine „beherzte Kehrtwende in der Wirtschaftspolitik“.

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Die Unternehmen erwarteten weniger Berichtspflichten und durchgängig weniger Bürokratie. „Wir brauchen auch ein klares Signal für eine zukunftsfähige und bezahlbare Energieversorgung“, fügte Adrian hinzu. „Eine klare Perspektive ist entscheidend, damit Unternehmen sich für mehr Investitionen am Standort Deutschland entscheiden können.“

BGA-Präsident Jandura forderte von der Bundesregierung ein „Gesamtkonzept gegen die stagnierende wirtschaftliche Entwicklung“. Hohe Steuern, Energie-, Arbeits- und Bürokratiekosten minderten die Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands. Weniger und klarere Regelungen seien notwendig, doch aktuell passiere das Gegenteil. „Die Gesetze und Regelungen müssen endlich wieder verständlich, praktikabel und widerspruchsfrei werden“, betonte Jandura.

Nötig seien überdies eine verlässliche und belastbare Verkehrsinfrastruktur, der Ausbau von 5G-Netzen, eine konsequente Digitalisierung der Verwaltung, niedrigere Energiekosten sowie mehr Freihandelsabkommen und weniger Lieferkettengesetze.

Ampel uneins über Industriestrompreis

Die Ampel will auf die Nöte der Wirtschaft mit Gegenmaßnahmen reagieren – in manchen Details liegt die Koalition aber noch weit auseinander. „Neue Impulse für die Wirtschaft sind wichtiger denn je“, erklärte Finanzminister Christian Lindner (FDP) zwar jüngst. Es brauche eine Agenda für mehr Wettbewerbsfähigkeit.

Stephan Weil

„Die Rückmeldungen, die ich derzeit aus der Wirtschaft bekomme, sind allesamt negativ.“

(Foto: dpa)

Was das aber genau bedeutet, ist zwischen SPD, Grünen und FDP umstritten. Die SPD-Fraktionsspitze hat sich gerade für einen subventionierten Industriestrompreis von fünf Cent je Kilowattstunde für zunächst fünf Jahre eingesetzt – ebenso der niedersächsische Ministerpräsident Stephan Weil (SPD) im Handelsblatt-Interview. Kanzler Olaf Scholz (SPD) und Lindner lehnen indes staatlich subventionierte Strompreise ab.

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Weil übte scharfe Kritik am Finanzminister. „Dass Christian Lindner amerikanischen und asiatischen Halbleiterkonzernen Milliarden zur Verfügung stellt, bei der energieintensiven Industrie aber ordnungspolitische Bedenken hat, ist offenkundig widersprüchlich, sagte Weil dem Handelsblatt. „Er sollte seinen ordnungspolitischen Kreuzzug beenden.“

CDU-Chef Friedrich Merz, der ebenfalls einen Industriestrompreis ablehnt, verteidigte dagegen die Subventionen für die Chipfabriken. Dies sei angesichts des internationalen Wettbewerbs zu vertreten, dürfe aber nicht oft wiederholt werden, sagte er im ARD-Sommerinterview.

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Der hessische Ministerpräsident Boris Rhein (CDU) fordert derweil die Bundesregierung auf, die Wirtschaftspolitik zu einem Schwerpunkt in ihrer verbleibenden Amtszeit zu machen. „Sie muss eine Wirtschaftsagenda für Wachstum und Wohlstand auflegen, die auf die Innovationskraft der Unternehmen und ihrer Beschäftigten setzt“, sagte Rhein dem Handelsblatt

Hessens Ministerpräsident Rhein fordert von Kanzler Scholz „Führung mit Weitsicht“

Deutschland brauche nun „Führung mit Weitsicht“, sagte Rhein an die Adresse von Kanzler Olaf Scholz (SPD). Es müssten vor allem Strukturmaßnahmen ergriffen werden, um das Wirtschaftswachstum und die Wettbewerbsfähigkeit wieder zu steigern. „Es braucht eine Renaissance der Wachstumspolitik“, betonte Rhein. „Denn wir haben in erster Linie kein Konjunkturproblem, sondern grundsätzlich ein Wachstumsproblem in Deutschland.“

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Rhein brachte ein vier Punkte umfassendes Maßnahmenpaket ins Spiel. Die sogenannte Bürokratiebremse müsse etwa auch auf EU-Vorgaben ausgeweitet werden. Zudem sollten Investitionen und Innovationen „viel stärker“ gefördert werden, indem zum Beispiel die Verrechnung von Verlusten mit künftigen Gewinnen großzügiger gestaltet werde.

Rhein mahnte überdies an, das Energieangebot stark auszuweiten, indem technologieoffen die Forschung und Anwendung klimafreundlicher Energiequellen wie zum Beispiel der Kernfusion gefördert werde. Als vierten Punkt nannte Rhein „effiziente Rahmenbedingungen für gesteuerte Zuwanderung qualifizierter Fachkräfte“ über eine neue „Bundesagentur für Einwanderung“.

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