„Wir haben die Chance, einen Standard zu setzen“

Wolfsburg Die Marke Volkswagen Pkw investiert in den kommenden fünf Jahren rund 18 Milliarden Euro in die Zukunftsfelder Elektromobilität, Hybridisierung und Digitalisierung. Rund drei Milliarden Euro gehen allein in die Digitalisierung von Produkten und Prozessen, um vor allem auch außerhalb der Produktion in den sogenannten „indirekten Bereichen“ effizienter zu werden.

Diese Zahlen nannte VW-Markenchef Ralf Brandstätter im Gespräch mit dem Handelsblatt. Die größte Marke innerhalb des Volkswagen-Konzerns habe sich in den vergangenen Wochen nicht vom Konflikt um Vorstandschef Herbert Diess beirren lassen und die Verhandlungen über den neuen Investitionsplan vorangetrieben. „Wir haben uns auf die Klärung der wichtigen Sachthemen konzentriert“, betonte Brandstätter.

Konzernchef Diess hatte wochenlang um seinen Job gekämpft. Wäre der Konflikt im Aufsichtsrat nicht rechtzeitig beigelegt worden, hätte das wichtige Investitionspaket vor zwei Wochen nicht pünktlich verabschiedet werden können.

Die geplante neue Autofabrik in Wolfsburg für die künftige „Trinity“-Modellreihe bezeichnete Brandstätter als „Investition in Milliardenhöhe“. „Wir haben die Chance, für den Konzern, aber auch die ganze Industrie einen neuen Standard zu setzen“, sagte der VW-Markenchef. Mit dem Projekt könne der Standort Deutschland seine Wettbewerbsfähigkeit unter Beweis stellen.

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Als künftiger China-Konzernvorstand will Brandstätter dafür sorgen, dass Volkswagen mehr Entwicklungskompetenz von Europa in die Volksrepublik verlagert. „Ich halte es für unbedingt notwendig, zukünftig mehr technische Lösungen in China zu entwickeln“, sagte er. Volkswagen hat im Moment Probleme auf seinem wichtigsten Absatzmarkt und verliert Marktanteile. Brandstätter wechselt im Sommer nach Peking.

Lesen Sie hier das komplette Interview:

Herr Brandstätter, Volkswagen hat über Wochen wegen seiner internen Konflikte für Schlagzeilen gesorgt. Kehrt jetzt wieder Ruhe ein?
Zunächst einmal ist wichtig, dass jetzt die Planungsrunde mit allen großen Investitionsvorhaben verabschiedet worden ist. Dadurch haben alle Planungssicherheit. Auch für die Marke Volkswagen sind in der letzten Runde wichtige Entscheidungen getroffen worden. In den kommenden fünf Jahren werden wir rund 18 Milliarden Euro in die großen Zukunftsthemen E-Mobilität, Hybridisierung und Digitalisierung investieren.

Was sind dabei Ihre Prioritäten?
Im Fokus steht vor allem der Standort Wolfsburg mit dem geplanten Bau der neuen Autofabrik für das „Trinity“-Projekt. Hinzu kommen die erheblichen Investitionen für das neue Entwicklungszentrum „Campus Sandkamp“ und die vorgezogene Elektrofertigung eines Fahrzeugs auf Basis des Modularen E-Antriebs-Baukastens. Alles zusammen ist es ein großer Vertrauensbeweis des Aufsichtsrats in die Strategie und Leistungsfähigkeit von Volkswagen.

Hat die anhaltende Auseinandersetzung zwischen Betriebsrat und Konzernchef Diess die Arbeit an den Investitionsplänen behindert?
Das war für uns kein Thema. Wir haben uns auf die Klärung der wichtigen Sachthemen konzentriert. Es ging vor allem darum, die Transformation des Stammwerks in Wolfsburg hin zur Elektromobilität deutlich schneller umzusetzen, als wir das ursprünglich geplant hatten. Vor diesem Hintergrund waren in kürzester Zeit viele Fragen zu klären. Das Ergebnis spricht für sich. Der Aufsichtsrat hat unseren Planungen zugestimmt.

In Wolfsburg soll die Fertigung von reinen E-Autos nun schon 2023 beginnen. War das die schwierigste aller Investitionsentscheidungen?
Eines ist ganz klar: Wenn wir viel Geld in einen Standort investieren, muss es auch wirtschaftlich sein. Das gilt natürlich auch für Wolfsburg. Die Einrüstung und Produktion des Elektromodells ID.3 im Stammwerk wird dort nur dann funktionieren, wenn wir zusätzlich ein Standortpaket mit der Arbeitnehmerseite verabschieden. Ähnliches haben wir in der jüngsten Vergangenheit auch in Emden und Zwickau erfolgreich umgesetzt. Auch für Wolfsburg haben wir eine gute Lösung gefunden. Jetzt geht es an die konkrete Umsetzung.

Was steht in diesem Standortpaket?
Die entscheidenden Stellschrauben sind die Reduzierung der Fabrikkosten und die Steigerung der Produktivität.

Was passiert beim Personal?
Wir haben eine Beschäftigungssicherung am Standort bis zum Jahr 2029. Dazu stehen wir. Zusammen mit dem Betriebsrat haben wir, früher als alle Wettbewerber, einen Zukunftspakt geschlossen und die Roadmap Digitale Transformation auf den Weg gebracht. Im Rahmen dieses Programms haben wir eine Vielzahl von Maßnahmen verabschiedet, um die Transformation des Unternehmens sozial verträglich steuern zu können.

Wie soll das geschehen?
Unser wichtigstes Instrument dafür ist die Altersteilzeit, mit der unsere Beschäftigten früher in Rente gehen können. Im nächsten Jahr öffnen wir beispielsweise den Jahrgang 1965 für die Altersteilzeit. Wir entwickeln unsere Beschäftigtenzahl entlang der demografischen Kurve. Ein zusätzlicher Stellenabbau außerhalb der vereinbarten Programme ist derzeit nicht geplant.

Die Produktivitätsvorgaben in der Fahrzeugfertigung sind damit mehr oder minder klar. Muss aber nicht noch viel mehr in den indirekten Bereichen passieren, also bei den Verwaltungsjobs?
Volkswagen Pkw investiert in den nächsten fünf Jahren rund drei Milliarden Euro in die Digitalisierung der Produkte und Prozesse. Dadurch werden wir auch im indirekten Bereich noch deutlich effizienter. Gleichzeitig entstehen an anderen Stellen neue Arbeitsplätze, etwa für digitale Vertriebskanäle oder durch den verstärkten Softwareeinsatz.

Produktion im VW-Werk Wolfsburg

„Wenn wir viel Geld in einen Standort investieren, muss es auch wirtschaftlich sein.“

(Foto: dpa)

Zurück zur Produktion. Für die neue „Trinity“-Modellreihe soll ein komplett neues Werk gebaut werden. Warum diese Entscheidung?
Weil es Sinn ergibt und die vielversprechendste Lösung ist. „Trinity“ ist ein völlig anderes Auto, ein echter Quantensprung für unsere Kunden und das Unternehmen. Es wird auf der neuen Konzernplattform SSP gebaut werden, die in Verbindung mit einer markenübergreifenden Softwarearchitektur die Komplexität deutlich senken wird. In der Fertigung setzen wir zudem verstärkt Großmodule ein.

Was bedeutet das genau?
Das ist eine ganz neue Art der Autoproduktion, die sich grundlegend von dem Bau heutiger Verbrennerfahrzeuge unterscheidet. Die Fertigungszeit soll bei ungefähr zehn Stunden pro Auto liegen. Deshalb ist es sinnvoller, für „Trinity“ ein komplett neues Werk zu errichten. Gleichzeitig werden die kommenden Anläufe neuer Fahrzeuge im bestehenden Werk nicht mit Umbauarbeiten belastet, und wir können das Stammwerk schrittweise modernisieren.

Wird die neue Fabrik eine Bedeutung besitzen, die über Wolfsburg hinausgeht?
Viele haben den Wirtschaftsstandort Deutschland in den letzten Jahren abgeschrieben. Eine Investition in Milliardenhöhe zeigt aber, dass wir nach wie vor auch hier sehr wettbewerbsfähig produzieren können. Dafür muss man an vielen Stellen neue Wege gehen. Ich bin davon überzeugt, dass uns das mit der Produktion von „Trinity“ gelingen wird. Wir haben die Chance für den Konzern, aber auch die ganze Industrie, einen neuen Standard zu setzen. Und das ist erst der Anfang. Im Stammwerk wollen wir später eine weitere Linie nach „Trinity“-Prinzip einrüsten. Nach diesem Vorbild übertragen wir dann diese hocheffiziente Produktionsweise auch in unsere Werke weltweit. Damit zeigen wir, dass die Transformation auch in bestehenden Strukturen möglich ist.

Der Aufsichtsrat hat sich für das „Trinity“-Projekt ausgesprochen. Wie geht es jetzt weiter?
Wir prüfen jetzt, welche Flächen für einen Werksneubau in und um Wolfsburg herum infrage kommen könnten. Es muss schnell vorangehen, unser Zeitplan ist ambitioniert. Ich gehe davon aus, dass wir die konkrete Standortentscheidung im ersten Quartal des neuen Jahres treffen werden. Wir haben bereits mehr als 20 Standorte geprüft, etwa drei bis vier davon kommen in die engere Auswahl. Der Baubeginn ist für 2023 geplant.

Der Golf leidet derzeit besonders unter dem akuten Chipmangel. Die Produktionsziele für 2021 werden deutlich verfehlt. Warum?
Wir sind mit der Situation am Halbleitermarkt natürlich nicht zufrieden. Unsere Taskforce arbeitet mit Hochdruck daran, die Versorgungssituation zu verbessern. Vor diesem Hintergrund sprechen wir auch direkt mit Chipherstellern, um die Situation weiter zu stabilisieren. Diesen Kontakt werden wir dauerhaft etablieren, um unseren Bedarf direkt und frühzeitig abstimmen zu können. Die letzten Monate haben leider gezeigt, dass wir uns nicht allein auf die Zulieferer verlassen können. Darüber hinaus werden wir zusammen mit der Chipindustrie eigene Halbleiter-Kompetenz aufbauen.

Die Zulieferer lassen es sich gefallen, dass Sie als Hersteller derart eingreifen?
Wir haben aus der Not eine Tugend machen müssen.

„Der Konzern steht in China vor großen Herausforderungen“

Im Oktober und im November war der Golf wegen fehlender Chips nicht einmal mehr unter den zehn meistverkauften Modellen in Europa. Ist das nicht schmerzlich für Sie?
Davon darf man sich nicht täuschen lassen. Der Halbleiter-Engpass und die massiven Auswirkungen auf die Produktion verzerren das Bild. Die aktuelle Situation ist nicht repräsentativ. Der Golf ist nach wie vor das meistverkaufte Auto in Europa. Der Auftragsbestand ist historisch hoch. Sobald wir die Produktion in großen Stückzahlen wieder aufnehmen und die Bestellung abarbeiten können, wird die Stärke des Golf deutlich werden.

Hat die Marke Volkswagen weniger produziert, um Chips für die Premiummarken Audi und Porsche frei zu bekommen?
Wir haben im Konzern eine ergebnisorientierte Chip-Zuteilung für jene Bauteile eingeführt, die von mehreren Marken verbaut werden. Das ist eine sinnvolle Regelung, um in dieser Ausnahmesituation die Wirtschaftlichkeit des ganzen Konzerns zu sichern.

Chips fehlen auch in China. Wird das eines Ihrer zentralen Themen sein, wenn Sie im Sommer dorthin als neuer verantwortlicher Konzernvorstand wechseln?
Es ist aktuell davon auszugehen, dass sich die Versorgungslage auch in China im neuen Jahr stabilisiert. In der Produktion in unseren chinesischen Werken verwenden wir häufig dieselben oder ähnliche Bauteile wie in Europa.

Welche Prioritäten wollen Sie in China setzen?
Die Entwicklung von Technologien, Plattformen und Software findet im Moment noch überwiegend in Europa statt. China ist der größte Automarkt der Welt, extrem dynamisch und kompetitiv. Viele Innovationen entstehen aktuell dort. Ich halte es daher für unbedingt notwendig, zukünftig mehr technische Lösungen in China zu entwickeln.

Was ist Ihr Kalkül dahinter?
Auf der einen Seite können wir noch noch schneller und unabhängiger auf den Geschmack der chinesischen Kunden eingehen. Auf der anderen Seite schaffen wir so eine Innovationsstärke, die den ganzen Konzern weltweit stärken kann. Eine meiner wichtigsten Aufgaben wird es deshalb sein, diese neuen Prozesse zu organisieren.

Warum haben Sie dem Wechsel nach China zugestimmt?
Volkswagen hat in letzten 18 Monaten viel erreicht. Wir haben die E-Offensive beschleunigt, unserer Software deutlich verbessert, Over-the-Air-Updates auf unsere Fahrzeuge gespielt, „Trinity“ auf den Weg gebracht und die Wirtschaftlichkeit des Unternehmens deutlich gestärkt. Mit unserer Strategie „Accelerate“ hat die Marke jetzt einen starken Plan für die Zukunft. Gleichzeitig steht der Konzern in China vor großen Herausforderungen. Der Markt verändert sich in einer rasenden Geschwindigkeit. Wir sind heute noch sehr erfolgreich, verkaufen dort 40 Prozent unserer Autos. Das soll auch zukünftig so bleiben. Dazu möchte ich unbedingt beitragen.

Showroom von VW in Chengdu

Als künftiger China-Konzernvorstand will Brandstätter dafür sorgen, dass Volkswagen mehr Entwicklungskompetenz in die Volksrepublik verlagert.

(Foto: Reuters)

Wie wichtig ist es, dass Sie schon zum Jahreswechsel als VW-Markenchef in den Konzernvorstand aufrücken?
Zunächst einmal ist es eine Auszeichnung für das ganze Volkswagen-Team und ein Vertrauensbeweis in unsere Strategie. Für mich ist es aber auch eine absolute Notwendigkeit, dass die größte Marke des Konzerns mit ihrem CEO im Vorstand vertreten ist. Viele der Entscheidungen, die das Gremium trifft, betreffen uns und haben unmittelbare Auswirkungen auf unsere Arbeit. Es ist daher absolut sinnvoll, dass wir uns zukünftig noch stärker in die Diskussionen einbringen können.

Herr Brandstätter, vielen Dank für das Interview.

Mehr: Herbert Diess bleibt VW-Chef – zieht sich aber weitgehend aus dem operativen Geschäft zurück

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