Wie Olympus eine Krise nutzte, um sich radikal zu erneuern

Tokio Der deutsche Manager Stefan Kaufmann ist das Gesicht eines radikalen Unternehmenswandels im traditionsbewussten Japan. Seit diesem April führt er als CEO den Umbau von Olympus weiter, den er in den vergangenen Jahren als Personalchef mit eingeleitet hat. Sein früherer Vorstandschef Yasuo Takeuchi führt heute den Verwaltungsrat.

„In der 105-jährigen Geschichte von Olympus sind wir zum ersten Mal ein reiner globaler Medizintechnikanbieter“, sagt der 55-jährige Kaufmann dem Handelsblatt.

Der Konzern konzentriert sich nun auf seine Weltmarktführerschaft bei Endoskopen. Die Medizingeräte werden etwa bei Magen- und Darmspiegelungen eingesetzt. Der Umbau ging dabei schnell und gründlich, eine Seltenheit in Japan.

Die Herausforderung für den Deutschen ist groß. Schon viele ausländische Manager sind in Japan gescheitert – auch bei Olympus. Laut einer Analyse der japanischen Unternehmensberaterin Cissoko Mamady waren vor der Pandemie nur sieben Prozent der Vorstandschefs börsennotierter Konzerne in Japan Ausländer, in den USA lag der Wert dagegen bei einem Drittel.

2011 gelangte mit dem Briten Michael Woodford zum ersten Mal ein nicht-japanischer Chef an die Spitze von Olympus. Ihm wurde schnell klar, dass Verluste verschleiert worden waren. Doch ehe er bei der Aufklärung helfen konnte, wurde er vom Verwaltungsrat gefeuert.

Die Folge war einer der größten Bilanzskandale der jüngeren japanischen Geschichte – und der Auslöser für die heutigen radikalen Reformen. Kaufmann erlebte die tiefe Unternehmens- und Führungskrise damals zusammen mit seinem Vorgänger Takeuchi in der Europazentrale in Hamburg.

Endoskop von Olympus

Der japanische Konzern ist mittlerweile ein reiner Medizintechnikhersteller.

(Foto: Olympus)

2012 wurden der frühere CEO und der damalige Verwaltungsratspräsident sowie weitere Vorstandsmitglieder verhaftet. Investoren befürchteten sogar, dass Olympus von der Börse genommen werden könnte. Da war Personalfachmann Kaufmann, der über Karstadt und den Reisekonzern Thomas Cook zu Olympus gekommen war, bereits neun Jahre im Konzern. Im Zuge der Krise ernannte der für Olympus Europa zuständige Takeuchi den Deutschen 2011 zum Geschäftsführer der Regionalgesellschaft.

Offenbar hat er den deutschen Personalexperten damals schätzen gelernt. „Er kommt nicht aus der Medizinbranche“, sagte Takeuchi im Januar dem Handelsblatt, „Aber er ist meines Wissens der beste Mitarbeiterführer und der beste Projektmanager in unserem Team.“ Deshalb holte Takeuchi den Deutschen nach Japan, kaum dass er selbst zum Vorstandschef bei Olympus ernannt worden war.

In verschiedenen Positionen trieb Kaufmann den Kulturwandel voran. Im vergangenen Jahr wurde er dann Strategiechef.

Erfolgsfaktor 2: Olympus hatte den Mut, sich von Geschäftsbereichen zu trennen

In den vergangenen drei Jahren haben Kaufmann und sein Vorgänger Takeuchi, nicht nur die Kamerasparte verkauft, sondern auch das Geschäft mit Mikroskopen, mit dem Olympus-Gründer Takeshi Yamashita und Shintaro Terada einst starteten.

Olympus-Kamera

Der japanische Konzern hat die Sparte, die die meisten Menschen wohl mit Olympus verbinden, mittlerweile verkauft.

(Foto: Pressefoto)

Seit Beginn der Restrukturierung hat das Unternehmen seine Gewinnmarge auf das angestrebte Ziel von 20 Prozent verdoppelt. Bei der Präsentation der Jahresbilanz im Mai kündigte Kaufmann an, dass Olympus den Umsatz jährlich um fünf bis sechs Prozent und den Gewinn um acht Prozent steigern will.

„Wir sind jetzt in einer neuen Phase“, sagt Kaufmann. Nach dem Fokussieren und Vereinfachen in der ersten Phase und der Rückkehr in die Profitabilität in der zweiten Phase setzt der Firmenchef nun auf Wachstum.

Dabei soll dies nicht nur im Markt für Magen- und Darmspiegelungen gelingen, sondern auch in der Urologie, bei der Diagnose von Lungenkrankheiten und Krebs. Zudem setzt Kaufmann auf Künstliche Intelligenz, um Ärzte bei ihrer Arbeit zu unterstützen.

Erfolgsfaktor 3: Kulturwandel als Teil der Geschäftsstrategie von Olympus

Die Organisation hat das aktuelle deutsch-japanische Führungsduo ebenfalls gründlich aufgemischt. Bis auf Woodford saßen 100 Jahre lang ausschließlich Japaner im Vorstand. „Jetzt sind mindestens 50 Prozent unserer globalen Führungskräfte, aber auch unseres globalen Vorstands Nicht-Japaner“, sagt Kaufmann.

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Dieser Kulturwandel laufe zwar nicht ohne Konflikte ab. Aber um im Wettbewerb bestehen zu können, will Olympus von innen heraus zu einem Weltkonzern werden. Dazu reiche es nicht, technologisch führend zu sein, wie es das Unternehmen heute mit einem Marktanteil von 70 Prozent bei Endoskopen bereits ist. Auch die Bilanz und die Organisation, sagt Kaufmann, müssten mit anderen Medizintechnikunternehmen mithalten können.

„Ich hatte Angst, dass wir nicht mehr wachsen könnten, weil unsere Kultur zu konservativ und starr war“, erinnert sich der damalige Konzernchef Takeuchi. Die neue, klarere Gewinnorientierung erforderte auch ein Umdenken bei den japanischen Mitarbeitenden. Sie hatten Olympus als Mischkonzern kennengelernt, in dem weniger erfolgreiche Geschäfte querfinanziert wurden.

Es habe viel Gegenwind aus dem Management gegeben, sagen der alte und der neue Chef. Doch inzwischen sehen beide Erfolge. Vor vier Jahren hätten die meisten Mitarbeiter die Frage, ob Olympus sich verändern könne, wohl noch verneint, sagt der Japaner: „Heute würden die meisten wohl mit ‘vielleicht’ antworten, das ist eine große Veränderung.“

Olympus-Verwaltungsratschef Yasuo Takeuchi

„Ich hatte Angst, dass wir nicht mehr wachsen könnten, weil unsere Kultur zu konservativ und starr war.“

(Foto: Bloomberg/Getty Images)

Das Führungsduo sieht den Wandel als kontinuierlichen Prozess. Dabei hält ihm Takeuchi den Rücken frei, auf dem einst abgeschafften und nun wiederbelebten Posten des „Executive Chairman“ in Japan. Schließlich arbeitet die Hälfte der 30.000 Mitarbeitenden im Heimatland von Olympus. „Ich glaube nicht, dass das eine permanente Position ist“, erklärt Takeuchi. „Aber im Moment ergibt es Sinn, eine Zeit lang dabei zu bleiben, um Stefan und sein Managementteam zu unterstützen.“

Die Bewährungsprobe: Wie geht Olympus mit den Warnungen der FDA um?

Vertrauen ist derzeit auch bitter nötig. Denn mitten im eingeleiteten Führungswechsel wurde der Konzern von einer Krise im US-Geschäft eingeholt. Die US-Arzneimittelbehörde FDA hat Olympus seit Herbst 2022 dreimal wegen unsauberer Prozesse bei der Produktion von Endoskopen verwarnt.

Daher raten derzeit zwar etwas weniger Analysten zum Kauf der Aktie und mehr zum Halten als noch vor wenigen Monaten. Aber das Bewerterbarometer des „Wall Street Journal“ steht immer noch auf „Übergewichten“, denn das japanische Unternehmen ist bei Endoskopen mit einem Weltmarktanteil von 70 Prozent derart dominant, dass das das Kerngeschäft gefestigt ist.

Für Moody’s ist Olympus mit seiner marktbeherrschenden Stellung „eine Ausnahme unter japanischen Unternehmen“ im Gesundheitssektor. Takahiro Mori von Mizuho Securities hält laut dem Magazin „Diamond“ die Aktie unterbewertet, „so dass es bei einer Neubewertung viel Spielraum nach oben geben wird.“

Olympus-Chef Kaufmann setzt weiter auf Transformation und investiert nun umgerechnet mehr als 380 Millionen Euro in Produktion und IT, nimmt aber auch seine Mitarbeitenden in Schutz. „Qualität steht bei unseren Mitarbeitern an erster Stelle“, sagt er. „Das heißt aber nicht, dass unsere Strukturen und Prozesse bereits überall gleich gut sind.“

Viele Unternehmen stehen vor der Frage: Wie muss ich mein Geschäftsmodell verändern, um langfristig wettbewerbsfähig zu bleiben? Einige haben das besonders grundlegend durchgezogen – und sich damit neue Geschäftsfelder erschlossen. Die Handelsblatt-Korrespondenten stellen sie in einer Serie vor – und zeigen, was man aus ihrer Strategie lernen kann.

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