Wie die Modeindustrie endlich nachhaltig werden könnte

Berlin Stärker als Stahl, elastisch wie Gummi, dünner als ein Haar – es ist eine besondere Faser, die beim Start-up Amsilk hergestellt wird. Das Jungunternehmen aus Neuried bei München synthetisiert Spinnenseide. Die hat in ihrer Naturform nichts mit der Seide zu tun, die in der Textilproduktion zum Einsatz kommt. Doch Amsilk hat einen Weg gefunden, die Faser nutzbar zu machen.

Im Labor stehen Mitarbeiter in weißer Schutzkleidung. Ihre Spinnseide lassen sie mithilfe von genveränderten Bakterien wachsen. Der Herstellungsprozess an sich ist vegan, der DNA-Bauplan kommt von der Gartenkreuzspinne.

Der Prozess sei komplex und langwierig, sagt die Biotechnikerin Johanna Gaubatz. Aber anders als bei der Gewinnung natürlicher Seide werden dafür nicht jährlich Milliarden Raupen des Seidenspinners noch in ihren Kokons getötet.

In den Bioreaktoren von Amsilk werden in großen Rührkesseln mithilfe von Fermentation zunächst die Seidenproteine gewonnen. Die entstandene Flüssigkeit wird im sogenannten Spindope aufgelöst. Durch eine Webdüse gepresst, entsteht ein Faden.

Die Bakterienseide ist begehrt, das Labor bald zu klein. Aufgrund der steigenden Nachfrage nach nachhaltigen, aber widerstandsfähigen Fasern will Amsilk noch in diesem Jahr mit dem Bau einer großen Fermentationsanlage beginnen.

Hunderte Millionen Tonnen Textilfaser, jedes Jahr

Die Münchener profitieren dabei nicht nur vom zunehmenden Umweltbewusstsein der Verbraucher. Auch aufgrund von strengeren Auflagen, die Umwelt weniger zu belasten, setzen Modehersteller inzwischen verstärkt auf wiederverwertbare Textilfasern.

Der Potenzial ist gigantisch: Aktuell werden jedes Jahr 110 Millionen Tonnen neue Fasern hergestellt. Die Wachstumskurve zeigt steil nach oben, da auch in den Schwellenländern jedes Jahr immer mehr Kleidung gekauft wird.

Allein in Deutschland legen sich Verbraucher laut Greenpeace im Schnitt 60 Kleidungsstücke pro Jahr zu, die sehr viel kürzer als noch vor 20 Jahren getragen werden. Das hängt auch mit dem Trend zu Fast Fashion zusammen, den Modehersteller mit ständig neuen Trends und Kollektionen befeuern.

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Und obwohl der Anteil der recycelten oder mit innovativen Techniken neu hergestellten Fasern wächst, lag er laut der Initiative Textile Exchange 2021 gemessen am Gesamtmarkt lediglich im hohen einstelligen Prozentbereich.

„Das Positive ist, dass in der Faserindustrie inzwischen das Thema Nachhaltigkeit ernst genommen wird“, sagt Andreas Lehmann, Leiter der Abteilung Fasertechnologie am Fraunhofer-Institut für Angewandte Polymerforschung.

Fasern spielen Schlüsselrolle bei Erreichen von 1,5-Grad-Ziel

In Zeiten von Klimawandel und Ökorankings wächst der öffentliche Druck auf die Branche, mehr auf die Umwelt zu achten. „Damit die Textilbranche ihre Emissionen im Einklang mit dem 1,5-Grad-Ziel des Pariser Abkommens reduzieren kann, spielt die Substitution von konventionellen und auf fossilen Brennstoffen basierenden Fasern eine Schlüsselrolle“, sagt Christian Smith, der beim Online-Modehändler Zalando für das Thema Nachhaltigkeit zuständig ist. Denn vor allem der Anbau und die Produktion von Rohfasern belaste die Umwelt.

Wie viel sich ändern muss, machte eine McKinsey-Studie bereits 2020 deutlich. Demnach muss die Modeindustrie innerhalb von zehn Jahren ihre Emissionen um die Hälfte reduzieren, um die Klimaerwärmung einzudämmen und das festgelegte 1,5-Grad-Ziel zu erreichen. Aktuell machen die Emissionen der Textilbranche fast ein Zehntel des gesamten globalen Ausstoßes aus.

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Bisher sind vor allem Start-ups sowie Forschungseinrichtungen wie das Fraunhofer-Institut oder die RWTH Aachen für die Innovationen in dem Sektor verantwortlich. Wer letztlich das Rennen macht, und seine Technologie am erfolgreichsten skalieren kann, ist laut Experten noch nicht ausgemacht. Das treffe vor allem auf die Fasern zu, die aus innovativen Materialien gewonnen würden, sagte Modeexperte Karl-Hendrik Magnus von der Unternehmensberatung McKinsey.

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Der Markt wird immer unübersichtlicher. Mit dabei: Orange Fiber, das mit seinen Zellulosefasern aus Orangenresten schon den Modedesigner Salvatore Ferragamo beliefert hat. Aufgrund der Waldbrände in Sizilien bangt das Start-up gerade um seine wichtigste Ressource, die Orangenbäume. Oder Rabel, ein Start-up aus Grünstadt in Rheinland-Pfalz, das für seine Luxushandtaschen ein „Mirum“ genanntes Material nutzt. Es wird aus Kokosnussschalen und Reishüllen gewonnen – ganz ohne den Einsatz giftiger Chemikalien. Vegan ist es auch.

Wunderfaser Polyester

Während Naturfasern, also Fasern tierischen oder pflanzlichen Ursprungs, den Menschen begleiten, seit er Kleidung trägt, ist die Geschichte der Chemiefaser vergleichsweise jung. Sie startete erst zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Die Fasern werden in einem chemischen Prozess künstlich hergestellt, häufig auch unter Verwendung von Erdöl und hohem Energieaufwand. Trotzdem werden sie immer populärer.

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Den mit Abstand größten Anteil hat Polyester, das als günstigere Alternative zur Baumwolle verwendet wird. Weil Polyester-Textilien nicht gebügelt werden müssen, wurde die Faser lange auch als Wunderfaser bezeichnet. Inzwischen ist das auf Rohöl basierende Polyester auch die Faser, die es am häufigsten in recycelter Form gibt – also ohne Verwendung neuer Rohstoffe. Entsprechend viele Anbieter tummeln sich auf dem Markt. Zalando hat sich trotzdem festgelegt und setzt auf die Recyclingpartner Infinited Fiber Company und Ambercycle, die baumwoll- und polyesterreiche Textilabfälle wieder in neue Fasern verwandeln.

Amsilk will Fermentationsanlage aufbauen

Genauso wie Infinited Fiber und Ambercycle will Amsilk aus München jetzt schnell vor die große Nachfragewelle kommen, mit der die Szene derzeit rechnet. Gestärkt mit neuem Kapital aus einer neuen Finanzierungsrunde in Höhe von 25 Millionen Euro, das unter anderem von den Biontech-Investoren Thomas und Andreas Strüngmann stammt, will das Unternehmen noch in diesem Jahr mit dem Bau einer größeren Fermentationsanlage beginnen. So sollen bis zu 400 Tonnen Seide pro Jahr hergestellt werden.

„Wir wollen Spinnenseide industriell verfügbar machen“, kündigt Amsilk-Chef Ulrich Scherbel an. Aktuell stehe man kurz vor dem Durchbruch zur Kommerzialisierung, mit der das Start-up die Gewinnzone erreichen will. Erste Kooperationen gab es mit Adidas, Omega, Airbus sowie Mercedes. Inzwischen laufen Verhandlungen mit bekannten Luxusmodemarken, sagt Scherbel. Bald will er dazu mehr verraten.

Weitere Teile der Serie Insight Innovation:

Noch wird das Recycling von Fasern und die Produktion neuer innovativer Materialien von einem Henne-Ei-Problem dominiert. Viele Methoden lassen sich noch nicht ausreichend skalieren, weswegen die Produktionskosten kaum sinken können.

Internationale Modeketten und Sportartikelhersteller versuchen, sich über Beteiligungen an Start-ups oder Annahmeverträge möglichst viele Zugänge zu sichern, sollte sich ein Gewinner hervortun.

Die hohen Preise wollen die meisten Kunden laut Textilexperte Lukas Lechthaler von der RWTH Aachen derzeit noch nicht schultern. Im Schnitt koste Polyester derzeit 1,50 Euro je Kilogramm; Baumwolle 1,80 Euro. In diesen Bereich müssten auch die neuen Fasern und Recyclingmaterialien vorstoßen, um den Massenmarkt anzusprechen. Recyceltes Polyester ist aktuell mindestens doppelt so teuer.

„In Umfragen deuten die Kunden zwar die Bereitschaft an, mehr für Nachhaltigkeit ausgeben zu wollen, allerdings zeigt sich das noch nicht im tatsächlichen Kaufverhalten“, sagt McKinsey-Experte Magnus.

Der Wandel kommt Stück für Stück. Faserhersteller wie Renewcell, einem der wenigen börsennotierten Anbieter in dem Sektor, oder Recover aus Spanien berichten über wachsende Nachfrage. Viele Modeunternehmen haben mittlerweile Selbstverpflichtungen abgegeben, mittelfristig komplett auf Recycling-Polyester umzustellen.

Echte Kreislaufwirtschaft noch nicht möglich

Renewcell baut seine Produktionskapazitäten bereits aus. Ziel ist es, bis 2030 jährlich Altkleider im Umfang von mehr als 1,4 Milliarden T-Shirts zu recyceln. Dabei entsteht in einem ähnlichen Prozess wie früher bei Papiermühlen der vom Unternehmen selbst benannte Zellstoff Circulose. Dieser wird inzwischen unter anderem in Kleidung von H&M, Levi’s, Calvin Klein und Tommy Hilfiger verwendet.

Das Problem des Recyclings: „Irgendwann sind die Grundstoffe so abgenutzt, dass man sie nicht noch mal in den Materialzyklus zurückbringen kann“, sagt Fraunhofer-Forscher Lehmann. Dann helfe nur das chemische Recycling von Zellulose. An einer Lösung forscht sein Institut derzeit.

Einstweilen bleibt den Kunden ein Ratschlag von Greenpeace: Die Umweltorganisation rät dazu, Kleidung einfach länger zu tragen. Allein ein Jahr mehr pro Textilstück würde die CO2-Emissionen um 24 Prozent senken.

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