Wie der europäische Marktführer gegen die amerikanischen Cloudkonzerne bestehen will

Düsseldorf Europäische Cloud-Dienstleister tun sich gegen die amerikanische Konkurrenz schwer. Amazon, Microsoft und Google, im Fachjargon Hyperscaler genannt, haben in den vergangenen Jahren viele Milliarden Dollar in Produkte und Rechenzentren investiert und bauen nun ihren Marktanteil immer weiter aus – trotz der anhaltenden Datenschutzbedenken.

Die Diskussion über digitale Souveränität eröffnet hiesigen Anbietern indes eine Marktlücke. Die Hyperscaler seien führend, sein Unternehmen habe aber „einige Unterscheidungsmerkmale“, sagt Michel Paulin, Chef des französischen Anbieters OVH Cloud: den Preis, aber auch Offenheit, Transparenz und Vertrauenswürdigkeit. „Wir fassen keine Kundendaten an“, betont er.

Das Argument zeigt, wie sich OVH Cloud positioniert. Das Unternehmen, das dieses Jahr rund 900 Millionen Euro Umsatz anstrebt und damit nach eigener Einschätzung europäischer Marktführer ist, will die Schwächen der starken drei ausnutzen – und muss gleichzeitig Lücken im eigenen Portfolio schließen.

Der Markt ist gigantisch, im ersten Quartal stiegen die Ausgaben für IT-Infrastruktur aus der Cloud (Infrastructure as a Service) nach Einschätzung des Marktforschers Synergy Research um 20 Prozent auf weltweit 63 Milliarden Dollar.

Allerdings vereinen die großen drei 65 Prozent des Geschäfts auf sich, lokale Anbieter wie OVH, Ionos und Stackit tauchen nur unter „Sonstige“ auf.

Souveränität: Nur kein Zwang

„Die Cloud ist auch nur der Computer eines anderen“, lautet ein Bonmot in der Technologiebranche. Dieser Scherz wirft ernsthafte Fragen auf: Wie groß ist die Abhängigkeit vom Anbieter, der die Infrastruktur betreibt?

Und was ist, wenn dieser – wie es die Gesetzgebung in den USA vorsieht – Informationen an einen Geheimdienst herausgeben muss? Rund zwei Drittel der deutschen Firmen fürchten nach einer Bitkom-Umfrage unberechtigte Zugriffe auf sensible Daten in der Cloud.

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Ähnlich wie die deutschen Anbieter Ionos und Stackit positioniert sich OVH Cloud als sichere Alternative zu den amerikanischen Konzernen. So bietet das Unternehmen einige Dienste mit dem französischen Standard SecNumCloud an und bemüht sich in Deutschland, Italien und Spanien um nationale Zertifizierungen.

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Als Bedrohung für die Souveränität sieht OVH-Cloud-Chef Paulin indes auch die Abhängigkeit von einzelnen Unternehmen. In den USA gebe es viele Beschwerden darüber, dass die Hyperscaler die Kunden über Verträge oder die Preisgestaltung an sich binden, sagt Paulin. Solche Lock-in-Effekte wolle OVH vermeiden. Kunden sollen etwa dank Schnittstellen ihre Daten zu anderen Anbietern mitnehmen können.

Ein Kartellverfahren gegen Microsoft lässt OVH derzeit allerdings ruhen. Konkret zu dem Verfahren äußern will sich Paulin nicht. Der Softwarekonzern habe einige Elemente der Verträge geändert, darüber diskutiere man momentan, sagt er lediglich. Man habe den Fall aber noch nicht final fallen gelassen.

In dieser Positionierung sehen Experten einen gangbaren Weg für den europäischen Marktführer. OVH Cloud sei mit einer starken Betonung von Datenschutz und -sicherheit „gut positioniert, um die Nachfrage nach souveränen Cloud-Diensten zu erschließen“, sagt Toby Ogg von der Investmentbank JP Morgan.

Das gelte nicht nur in Europa, sondern auch in Amerika und Asien – besonders in Branchen, die mit sensiblen Daten umgehen.

Funktionen: Gut genug?

Datenschutz allein eignet sich jedoch nicht als Vermarktungsargument – sonst wären die amerikanischen Anbieter nicht so dominant. OVH Cloud muss daher in die eigenen Produkte investieren, um konkurrenzfähig zu sein. „Unsere Ambition ist, den Kunden ein vollständiges Cloud-Angebot zu bieten, wenn auch nicht immer allein“, sagt Paulin.

Ähnlich wie die europäischen Konkurrenten Ionos, Scaleway und Open Telekom Cloud bietet OVH IT-Infrastruktur wie Speicherplatz, Rechenleistung und Netzwerkdienste an – im Fachjargon spricht man von Infrastructure as a Service (IaaS). Viel differenzieren können sich Unternehmen damit nicht, sieht man vom Preis ab.

OVH Cloud bietet deswegen zusätzlich 80 Plattformdienste an, etwa für die Einrichtung von Datenbanken, die Orchestrierung von Anwendungen mit dem Standard Kubernetes oder zunehmend für das Training von Algorithmen mit Künstlicher Intelligenz.

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Aus Kostengründen entwickelt die Firma nur einen Teil der Funktionen selbst und vermarktet zusätzlich Produkte von Partnern wie VMWare und Nutanix. Hinzu kommen einige kleine Übernahmen.

Die amerikanischen Marktführer seien den europäischen Anbietern bezüglich des Funktionsumfangs weit voraus, urteilt René Büst, Analyst beim Marktforschungs- und Beratungsunternehmen Gartner.

OVH habe aber mit dem Portfolio an Plattformdiensten ein Differenzierungsmerkmal gegenüber der lokalen Konkurrenz geschaffen. „Wenn die Hyperscaler in der Champions League spielen, dann ist OVH in der ersten Liga“, so Büst.

Positionierung: Günstige Ergänzung

Mit dieser Positionierung tritt OVH Cloud nicht direkt gegen AWS und Co. an, das Unternehmen will eine Nische besetzen. „Große Organisationen nutzen zwei, drei, teilweise sogar vier verschiedene Cloud-Plattformen“, sagt Paulin. Sein Unternehmen soll Bestandteil einer solchen Multi-Cloud-Strategie sein.

Etwa dort, wo es mehr auf die Kosten als die Funktionen ankommt: Der Marktforscher IDC bescheinigt OVH eine „attraktive und transparente Preisgestaltung“. Oder dort, wo Datenschutz besonders wichtig ist.

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„Manche Daten müssen extrem gut geschützt sein“, sagt Paulin. „Dort, wo das den Kunden wichtig ist, bieten wir ihnen Lösungen, die auf diese spezifischen Bedürfnisse eingehen.“

Gerade bei souveränen Clouds sieht Marktbeobachter René Büst eine Chance für OVH, zumal das Unternehmen sein Portfolio deutlich stärker ausgebaut habe als Konkurrenten wie Ionos, Stackit und Scaleway.

Ein Problem sieht Gartner-Analyst Büst aber: Ein Großbrand in einem Rechenzentrum vor zwei Jahren schadete dem Ruf. OVH hat danach mehrere Maßnahmen angekündigt, etwa die durchgängige Installation automatischer Feuerlöscher. „Das Thema ist immer noch in den Köpfen von Entscheidern“, sagt der Experte.

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