Was steckt hinter den Wetterextremen?

Düsseldorf Die Wetterkapriolen dieses Sommers sind immens: In Kanada und auf Teneriffa wüten Rekord-Waldbrände, in Griechenland sind die Feuer noch immer nicht gelöscht. Hitzewellen gab es zuletzt auch in Amerika, gleichzeitig haben starke Niederschläge in Slowenien, Österreich oder China zu Zerstörungen und Todesfällen geführt. Auch hierzulande wechselten sich Hitze und starke Gewitter ab.

Sind das noch normale Wetterschwankungen oder schon die Auswirkungen des Klimawandels? „Der Klimawandel ist nicht an allem schuld“, sagt Friederike Otto, die am Imperial College in London lehrt, im Handelsblatt-Podcast Green & Energy.

Man könne nicht pauschal sagen, dass jedes Extremwetterereignis durch den Klimawandel extremer geworden sei. Durch diesen gebe es zwar mehr Hitzewellen, die auch deutlich heißer seien. Bei extremen Niederschlägen sei der Einfluss hingegen weniger stark ausgeprägt, so Otto.

Die gebürtige Kielerin ist Mitbegründerin der Attributionsforschung. Auf diesem Gebiet, in dem Wissenschaftler den Effekt des Klimawandels auf Extremwetter ergründen, gilt Otto als profilierteste Forscherin der Welt. Sie warnt: Schon geringe Anstiege der globalen Temperaturen machten bei Extremwettern einen großen Unterschied. „Dass wir beispielsweise in Deutschland Temperaturen von bis zu 40 Grad erleben, ist weit außerhalb dessen, was in den vergangenen Jahrzehnten normal war.“

Die Auswirkungen für Unternehmen und Gesellschaft sind groß: Der Klimawandel hat in Deutschland zwischen 2000 und 2021 zu Kosten von mindestens 145 Milliarden Euro geführt – allein 80 Milliarden davon seit 2018. Das liegt an den Hitzesommern 2018 und 2019 sowie der Flut im Ahrtal 2021. Zu diesem Ergebnis kam eine Studie im Auftrag der Bundesregierung im Frühjahr.

Aufräumarbeiten nach Überschwemmungen in China

Nicht immer steckt zwangsläufig der Klimawandel hinter Extremwetterereignissen.

(Foto: AP)

Demnach könnte der Klimawandel bis 2050 weitere Kosten von bis zu 900 Milliarden Euro hervorrufen. Das wäre pro Jahr mindestens eine Katastrophe mit denselben Kosten wie bei der Ahrtalflut. Diese war mit 40,5 Milliarden Euro das Extremwetter mit den größten Schäden in der deutschen Geschichte.

Hitzewellen: „Stille Mörder“ der Gesellschaft

Auch wenn der Sommer hierzulande eher durchschnittlich ist, war der Juli global gesehen der heißeste Monat seit Beginn der Wetteraufzeichnungen. Das führte vor allem in Griechenland zu heftigen Bränden. Auf den Inseln Rhodos und Korfu mussten Zehntausende Menschen Hotels und Häuser verlassen. „Für Hitzewellen ist der Klimawandel ein totaler Gamechanger“, sagt Klimaforscherin Otto.

Solch extreme Hitzewellen wie in Südeuropa und den USA sind ohne den Klimawandel „praktisch unmöglich“, zeigt eine kürzlich veröffentlichte Studie der Wissenschaftlerin. Mit diesen Ereignissen müsse man künftig im Schnitt alle fünf bis zehn Jahre rechnen.

Durch den steigenden CO2-Ausstoß wird die Atmosphäre insgesamt wärmer, das steigert die Häufigkeit von Hitzewellen. Zudem verlangsamen wärmere Meere die Dynamik von Hoch- und Tiefdruckgebieten, sodass sich auch in Europa längere Warmwetterphasen halten.

Das hat Folgen für den Tourismus: So ist in diesem Jahr die Zahl der Besucher, die ihren Urlaub in Mittelmeerländern verbringen wollen, um zehn Prozent gesunken, zeigen Zahlen der Europäischen Reisekommission, in der 35 Fremdenverkehrsämter aus verschiedenen Ländern zusammengeschlossen sind. Künftig dürften mehr Menschen in nördliche Länder wie Schweden oder Dänemark reisen.

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Hitze führt auch dazu, dass Menschen weniger produktiv arbeiten – bis hin zu Produktionsstopps. Niedrige Pegelstände des Rheins durch andauernde Trockenheit führten etwa in den Sommern 2018, 2019 und 2022 zu Lieferengpässen.

Dabei haben Hitzewellen nicht nur Auswirkungen auf die Wirtschaft. Otto bezeichnet sie als „stille Mörder“. Allein in Deutschland sind im vergangenen Jahr 4500 Menschen an den Folgen von Hitze gestorben. Die Übersterblichkeit werde künftig weiter steigen, so Otto.

Betroffen seien jene, die ohnehin zu den Verlierern der Gesellschaft zählten: Menschen mit wenig Geld, die in schlecht isolierten Häusern leben oder weniger Zugang zu Informationen haben. „Der Klimawandel verstärkt die Ungleichheit einer Gesellschaft“, sagt Otto. Das sei eine wirklich gefährliche Folge.

Niederschläge: Zehn zusätzliche Regentage führen zu einem Prozent weniger Wirtschaftswachstum

Bei Niederschlägen ist der verschärfende Effekt des Klimawandels zwar weniger stark ausgeprägt, beobachtete Otto auch zuletzt bei den Starkregen in Slowenien. Für die Wirtschaft sind die Auswirkungen dennoch beträchtlich, etwa weil Straßen, Gebäude oder Leitungen zerstört werden.

„Wenn Sie zehn zusätzliche Regentage in Deutschland haben, gibt es statistisch gesehen ein Prozent weniger Wirtschaftswachstum“, sagt der Klimawissenschaftler Anders Levermann, Abteilungsleiter am Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung.

Die durch den Klimawandel wärmer gewordene Atmosphäre kann mehr Wasserdampf speichern, der sich häufiger in Starkregen entlädt. Diese Erfahrung mussten vor zwei Jahren die Bewohner des Ahrtals machen. Bei der Flut dort kamen mindestens 135 Menschen ums Leben.

„Diese Regenfälle sind aufgrund des Klimawandels in etwa doppelt so wahrscheinlich geworden“, sagt Otto. Im Ahrtal seien weitere Faktoren hinzugekommen – etwa, dass die Böden dort stark versiegelt gewesen seien und Warnungen der Behörden die Menschen nur unzureichend erreicht hätten.

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„Auch ohne den Klimawandel hätte es die Katastrophe im Ahrtal gegeben“, sagt Otto. Dass die öffentliche Debatte auf den Klimawandel verengt wurde, habe hier sogar auch negative Folgen. So sehe die neue Bebauung im Ahrtal in vielen Fällen genauso aus wie vor der Überflutung. Eine ähnliche Katastrophe könne daher wieder passieren, mahnt die Expertin.

„Wenn wir aufhören, fossile Brennstoffe zu verbrennen, hören Extremwetterereignisse auf, stärker zu werden“

Auch bei anderen Extremwettern ist der Klimawandel nicht immer ursächlich. Bei meteorologischen Dürren, also dem Ausbleiben von Niederschlägen, führt der Klimawandel primär im Mittelmeerraum, im südlichen Afrika und Teilen Südamerikas zu einer Verschärfung der Lage. Und Studien zu Hurrikans im Nordatlantik zeigen, dass deren Intensität durch die Klimaveränderung zugenommen hat, nicht aber die Gesamtzahl.

Die gute Nachricht, so Otto: „Wenn wir aufhören, fossile Brennstoffe zu verbrennen, dann hören Extremwetterereignisse auf, stärker zu werden.“ Gelingt es, die globale Erwärmung im Vergleich zum vorindustriellen Niveau auf 1,5 Grad zu begrenzen, profitiert auch die deutsche Wirtschaft, zeigte eine Studie der Beratung Deloitte schon 2021. Würden im Vergleich dazu keine Klimaschutzmaßnahmen getroffen, wäre das Bruttoinlandsprodukt 2070 rund 2,5 Prozent geringer und es gäbe 830.000 Arbeitsplätze weniger.

Durch die Extremwetter und ihre Folgen spürten Menschen und Entscheider, dass der Klimawandel nicht irgendwas sei, das in der Zukunft stattfinde, sagt Forscherin Otto. „Das stimmt mich schon hoffnungsvoll, dass sich doch noch dramatisch viel mehr ändern kann.“

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