Warum das Geschäft mit Luxusjachten boomt

Venedig Marco Foti streift seine Slipper ab und hüpft barfuß über die hölzerne Gangway zur „SX 88“. Die 27-Meter-Motorjacht mit Wohnzimmer, Terrassendeck, Küche und vier Kabinen ist eine der beliebtesten in Fotis Repertoire. Der Mann mit dem tätowierten Anker auf dem Zeigefinger ist Verkaufsleiter von Sanlorenzo, drittgrößter Jachtenhersteller Italiens. „Jedes unserer Schiffe ist anders“, sagt Foti Ende Mai auf dem „Salone Nautico“ in Venedig, einer der wichtigsten Bootsmessen im Land. Nur der Steuerstand ist fix. Alles andere – Möbel, Materialien, Ausstattung – lässt sich vom Kunden individuell konfigurieren. Startpreis: rund sechs Millionen Euro. Obendrauf kommt mindestens noch einmal eine halbe Million Euro für Extrawünsche.

70 solcher Jachten aus glasfaserverstärktem Kunststoff (GFK) baut Sanlorenzo pro Jahr, die kleinste 25 Meter lang, die größte 37 Meter. Dazu kommen pro Jahr maximal acht Megajachten aus Stahl, bis zu 61 Meter lang. Die Nachfrage ist riesig: Einige Modelle sind bis 2025 ausgebucht. Ukrainekrieg und Coronakrise zum Trotz boomt das Geschäft mit Luxusbooten, vor allem bei den italienischen Herstellern. Es kaufen Europäer und Amerikaner, aber auch zunehmend Kunden aus dem Nahen und Fernen Osten. „Wir haben im vergangenen Jahr zwölf Boote nach Asien verschifft“, erzählt Foti. „Die Kunden haben ihre Jacht vorher nur via Zoom gesehen.“ Hongkong, Singapur, auch Indonesien seien aufkeimende Märkte.

Und Russland? Schließlich gilt die eigene Luxusjacht als wichtigstes Statussymbol unter Oligarchen. Foti wiegelt ab, als er gerade die Kabinen im Unterdeck zeigt. Der Markt sei nicht so wichtig. Drei Auslieferungen nach Russland sollte es im Frühjahr geben. Ein Boot wurde noch vor den Sanktionen ausgeliefert, eines ging an einen Russen mit EU-Pass. Der dritte Deal platzte. Also stellte Foti das Schiff, komplett nach den Wünschen eines russischen Kunden gestaltet, im Internet zum Verkauf. 20 Tage später hat es einen neuen Eigner gefunden – in Hongkong.

Bilder von Zollbeamten, die Luxuskähne in Häfen und Trockendocks festsetzen, gingen seit Kriegsbeginn um die Welt. Es waren allesamt Schiffe, die russischen Oligarchen gehören und deren Eigentümer auf westlichen Sanktionslisten gelandet sind. Einigen wenigen Booten gelang die Flucht in freundlich gesinnte Häfen wie Dubai oder das türkische Bodrum.

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Laut der Fachzeitschrift „Superyacht Times“ gehören den Russen neun Prozent der Superjachten, die derzeit auf den Weltmeeren schippern. Als Superjacht gilt dabei im Branchenjargon alles über 24 Meter Bootslänge. Wie kann Europas Schifffahrtsindustrie die ausbleibenden Käufer kompensieren? Wie sehr leidet die Branche überhaupt unter dem Krieg? Und wie hat die Pandemie das Geschäftsmodell verändert?

Leben und Arbeiten auf dem Wasser

„Unser Sektor hat sich als antizyklisch erwiesen“, sagt Fotis Chef Massimo Perotti. Die Branche habe in der Pandemie profitiert vom gestiegenen Wunsch nach „Bewegung in Freiheit und Sicherheit“. Die Jachten seien zum „privaten Refugium“ geworden, betont der Chairman und CEO von Sanlorenzo, dessen Hauptquartier in Italiens nordwestlicher Region Ligurien liegt. Auf den Schiffen mache man nicht mehr nur Urlaub, sondern kann auch auf ihnen leben und arbeiten.

Luxusjacht

Eine 40 Meter lange Superjacht des italienischen Marktführers Azimut Benetti.


(Foto: Azimut Benetti)

Der Auftragsbestand liegt derzeit bei 1,2 Milliarden Euro. 7,7 Prozent davon entfielen auf russische Käufer. „Die Bestellungen verteilen sich aber auf die Jahre 2022 bis 2024 und entsprechen einem Volumen von 85 Millionen Euro“, rechnet Perotti vor. Die Bauzeit der georderten Jachten betrage zwei bis drei Jahre. „Für 2022 sprechen wir von etwa 20 Millionen Euro“, das entspreche etwa 2,5 Prozent der erwarteten Umsätze, die auf russische Käufer entfallen. Für Perotti eine „vernachlässigbare Zahl“.

Fast die Hälfte seiner Jachten verkauft Sanlorenzo in Europa, nach Italien ist Deutschland mit zwölf Prozent der zweitwichtigste Markt auf dem Kontinent. Ein Drittel der Schiffe geht in die USA. Das Geschäft dort entwickelt sich rasant: 120 Prozent plus im Jahresvergleich. Die Zahl der Superreichen, also Menschen mit einem Vermögen jenseits von 50 Millionen Dollar, vergrößert sich pro Jahr um gut 25.000, weiß Perotti. Die Käuferschichten wachsen, das zeigt sich auch in den Erwartungen: 2022 soll der Umsatz bei 720 Millionen Euro liegen, ein Plus von 23 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Beim Gewinn erwartet Sanlorenzo mindestens 66 Millionen Euro (plus ein Drittel).

Massimo Perotti

Der CEO des drittgrößten italienischen Jachtenbauers Sanlorenzo sagt, seine Branche profitiere in der Pandemie vom gestiegenen Wunsch nach „Bewegung in Freiheit und Sicherheit“.


(Foto: Sanlorenzo)

Italienische Schiffbauer sichern sich mehr als die Hälfte der Superjachten-Aufträge

Italiens Schiffbauindustrie hat einen unvergleichlichen Boom hinter sich. 2013 lag der Umsatz der gesamten Branche bei 2,43 Milliarden Euro. Für 2021 ist ein Umsatz von bis zu sechs Milliarden Euro prognostiziert. 2021 gab es in dieser Kategorie weltweit 821 Bestellungen, 407 entfielen auf italienische Werften, wie die Italienische Handelskammer für Deutschland (ITKAM) in einer Studie veröffentlicht hat.

2022 ist indes ein neues Rekordjahr: 1024 Superjachten wurden global beauftragt, etwas mehr als die Hälfte der Aufträge haben sich die Italiener gesichert, die in ihren Betrieben mehr als 24.000 Menschen beschäftigen. Marktführer Azimut Benetti konnte erstmals einen Auftragsbestand von mehr als zwei Milliarden Euro vermelden. Und Ende März ging Italiens Nummer zwei auf dem Markt, die Ferretti Group, erfolgreich in Hongkong an die Börse.

Lürssen-Werft: Das Synonym für Gigajachten

Wenn Italien das Synonym für Superjachten ist, sind die Niederlande das für „Megajachten“ (ab 60 Meter) und Deutschland das für „Gigajachten“ – Kolosse ab 100 Meter Länge. Der größte Anbieter in diesem Segment ist die Lürssen-Werft. Das Familienunternehmen aus Bremen-Vegesack verkauft seine Schiffe an Tech-Milliardäre aus dem Silicon Valley, an Scheichs aus dem Nahen Osten – aber eben auch an russische Oligarchen.

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Derzeit sind einige der größten Jachten Made in Germany wegen der Russlandsanktionen von den Behörden festgesetzt. Etwa die „Dilbar“: Das 156 Meter lange Ungetüm mit einem geschätzten Wert von 800 Millionen Euro lag gerade im Hamburger Trockendock der Lürssen-Tochter Blohm + Voss, als die Sanktionen griffen. Seitdem darf auf dem Schiff nicht mehr gearbeitet werden, die Werft soll das 50.000 Euro am Tag kosten. Das Dock kann nicht benutzt werden, um andere Boote zu warten und zu überholen.

Die Lürssens geben sich aber optimistisch: Der Markt für Megajachten sei auch ohne die Russen groß genug, um ihre Kapazitäten auszufüllen, erklärten die Werftchefs jüngst im „Manager Magazin“. Ende vergangenen Jahres etwa lief die „Ahpo“ in Richtung Karibik aus. Die 115 Meter lange Jacht soll dem jamaikanischen Milliardär Michael Lee-Chin gehören. Und erst im April wurde die „Blue“ im Bremer Hafen gesichtet. Der 160 Meter lange Koloss hat sieben Decks, 24 Gästekabinen und zwei Helikopterlandeplätze. Eigner soll Scheich Mansour Bin Zayed Al Nahyan sein, ein Mitglied der Herrscherfamilie von Abu Dhabi. Die Auslieferung soll in der zweiten Jahreshälfte erfolgen.

Abgesehen davon versuchen die Bremer vom gestiegenen Bedarf an Militärschiffen zu profitieren – und vom 100 Milliarden Euro schweren Sondervermögen für die Aufrüstung der Bundeswehr. Die Lürssens sind schon heute der zweitgrößte Hersteller von Militärschiffen in Deutschland. Sie lieferten etwa Patrouillenboote für die ägyptische Marine und bauen gemeinsam mit Thyssen-Krupp und der Kieler Werft „German Naval Yards“ Korvetten für die deutsche Marine. Zahlen für ihre insgesamt 44 Unternehmen geben die Lürssens zwar nicht heraus, die gesamte Gruppe (Lürssen Maritime Beteiligungen) machte laut Bundesanzeiger im Jahr 2020 aber einen Umsatz von rund 2,1 Milliarden Euro – nach 1,66 Milliarden im Jahr 2019.

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Probleme in der Lieferkette

Mitte Mai tingelt in der Toskana eine deutsche Delegation von Werft zu Werft. Die Reisegruppe besteht aus Zulieferern, die hier, unterstützt von der Handelskammer ITKAM, nach neuen Geschäften Ausschau halten. Italiens Nachfrage nach Jachten wächst – und mit ihr auch der Bedarf an Innenausbauern, Elektronikexperten und Isoliertechnikern. 400 Firmen gehören zur maritimen Zuliefererbranche in Deutschland. In der gesamten Schifffahrtsindustrie arbeiten 18.000 Menschen. Unter den Italienbesuchern sind auch Reiner Gehr und seine Tochter Antonia, Unternehmer aus der Nähe von Cuxhaven. Ihre Firma ist ein Ausstatter für Schiffe und Flugzeuge.

Gehr baute schon Kreuzfahrtschiffe für Aida und Tuis „Mein Schiff“ aus, rüstet Flugzeuge bei Lufthansa Technik in Hamburg zu VIP-Fliegern um – und veredelt Jachten, die meisten ab 70 Meter aufwärts. Bis Anfang 2025 sind die Auftragsbücher der Firma voll. Gerade bei den extrem großen Jachten sei das Geschäft eines über einen langen Zeitraum, erklärt Reiner Gehr. Von der Idee über den Bau bis zur Auslieferung können mitunter zehn Jahre vergehen.

Die ausbleibenden Russen als Käufer werde man daher erst in vielen Jahren in den Bilanzen sehen. Wenn überhaupt: Die meisten Kunden sind heute Amerikaner, aber auch Australier und Europäer. Gerade habe Gehr wieder einen Kunden aus Venezuela gehabt, der schon sein zweites Schiff von den Deutschen ausstatten lässt.

Handwerkskunst statt Robotik bei Absolute Yachts in Piacenza

Es riecht streng nach Klebstoff, von der Hallendecke hängen schwere Ketten, an denen Schiffsrümpfe befestigt sind. Arbeiter in weißen Schutzanzügen, teilweise mit Atemschutzmasken, befestigen Glasfaserelemente an den Rümpfen. Eine Halle weiter sind Tischler dabei, ein Gerippe aus Holzbalken zusammenzusetzen – später einmal Wände, Böden und Decken des Bootes. Hier bei Absolute Yachts in Piacenza, einer Kleinstadt zwischen Mailand und Parma, ist fast alles Handarbeit. Roboter gibt es nur im Hochlager, stattdessen wuseln Glaser, Ingenieure und Elektriker von Jacht zu Jacht. Bis zu 20 Schiffe können sie hier nebeneinander abfertigen.

Main Salon

Das „Wohnzimmer“ einer SD96-Superjacht von Sanlorenzo.


(Foto: Sanlorenzo)

Firmenchef Cesare Mastroianni blickt auf erfolgreiche Jahre zurück: Trotz sieben Wochen Corona-Lockdown, in denen die Produktion komplett lahmgelegt war, schlossen sie das Jahr 2020 genauso gut ab wie 2019. Im vergangenen Jahr 2021 lagen sie mit 74 Millionen Euro Umsatz schon wieder auf Vor-Corona-Niveau. 250 Mitarbeiter beschäftigt Absolute, die Jachten von 15 bis 23 Meter Länge bauen, also knapp unterhalb des Superjacht-Niveaus.

„Wir sind bis ins Jahr 2023 so gut wie ausgebucht“, sagt Mastroianni. Selbst für 2024 gebe es schon einige Aufträge. Stornierungen wegen des Kriegs habe es bislang keine gegeben. „Aktuell hatten wir keinen Auftrag aus Russland, das war aber Zufall.“ Der russische Markt sei für Absolute aber auch kein großer. Es gebe einen Händler in St. Petersburg, mit dem sie zusammenarbeiten, aber: „Pro Jahr hat er höchstens ein oder zwei Boote verkauft.“

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Oligarchen gehörten sowieso nicht zu den Kunden, dafür seien die Absolute-Jachten zu klein. Es gibt keinen Platz für große Crews, viele der Eigner würden ihre Schiffe gern selbst steuern. „Die Kunden aus Russland waren vor allem Unternehmer und Manager, keine politisch exponierten Leute“, sagt Mastroianni.

In der Produktionshalle

Arbeiter von Absolute Yachts bauen Glasfaserelemente in einen Schiffsrumpf ein.


(Foto: Absolute Yachts)

Die viel größeren Probleme sieht Mastroianni derzeit im Fachkräftemangel und in den gestörten Lieferketten. „Es ist schwer für uns, gute Leute zu finden“, sagt er. Hinzu komme der akute Rohstoffmangel. Es fehle an allem: Elektronik, Holz, Erdölprodukte, Maschinen, Stahl. Absolute hat zwar einen großen Vorrat an Bauteilen auf Lager, die Bestände sind zu 100 Prozent gefüllt. „Aber wenn nur eine wichtige Komponente fehlt, kommt es trotzdem zu Verzögerungen.“ Bei den Motoren etwa, die größtenteils von Volvo stammen, fehlen immer wieder Mikrochips, genau wie auf dem Automobilmarkt. „Ein Fenster lässt sich beliebig austauschen, ein Motor aber nicht“, sagt Mastroianni.

40 Prozent seines Umsatzes macht Absolute in Europa, gut ein Drittel in Nordamerika. „Der Markt mit dem größten Wachstum bleiben die Vereinigten Staaten“, sagt Mastroianni. Dort gebe es, ähnlich wie in Europa, viele Kunden, die schon mit ihren Eltern oder Großeltern zur See unterwegs waren. In Ländern wie Südkorea, Vietnam oder Thailand gibt es diese generationenübergreifende Kultur noch nicht. Zwar sei dort viel in die Häfen investiert worden – „aber die sind sehr oft noch leer“. Der Markt stecke noch in den Kinderschuhen. Das Wachstumspotenzial sei aber riesig – und Länder wie China und Indien fingen gerade erst richtig an.

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