Warten auf den Kanzler-Wumms

Berlin An die Bundespolitik traute sich Olaf Scholz nach seinem Urlaub nur langsam heran. Nach der Rückkehr aus Südfrankreich tourte der Kanzler diese Woche durch seinen brandenburgischen Wahlkreis, machte dann Wahlkampf in Hessen, bis er am Sonntag mit einem „Sommerinterview“ im ZDF auf die bundespolitische Bühne in Berlin zurückkehrte. 

Wahrscheinlich unfreiwillig deckte Scholz mit seiner kleinen Deutschlandreise genau all die Problemfelder ab, die in nächster Zeit auf ihn warten. Auf die Forderungen aus der Koalition, Taurus-Marschflugkörper an die Ukraine zu liefern, sagte er im ZDF-Interview: „Wir werden es uns weiter schwer machen.“ Angesprochen auf die Konjunkturschwäche, stellte er sinkende Energiepreise durch erneuerbare Energien in Aussicht. Zur großen politischen Herausforderung der kommenden Monate wird aber auch der Kampf gegen die Rechtsextremen, in Brandenburg ist die AfD derzeit stärkste Kraft.

Bei der Landtagswahl in Hessen im Oktober droht der SPD eine bittere Niederlage. In Berlin muss sich die Ampel gegen einen Wirtschaftsabschwung stemmen. Doch die finanziellen Spielräume sind eng – weshalb sich bereits ein neuer Koalitionszwist über neue Schulden abzeichnet.

Scholz‘ SPD war bisher der Ruhepol unter den drei Ampelparteien. Doch das Umfragehoch der AfD und der eigene Absturz auf unter 20 Prozent haben auch die Kanzlerpartei nicht mehr kaltgelassen. Groß ist in der SPD inzwischen die Sorge, in eine Abwärtsspirale zu geraten: erst die Landtagswahlen im Herbst zu verlieren, dann die Europawahl im nächsten Juni und danach die drei Wahlen in Ostdeutschland im Herbst 2024 – und dabei auch noch das Triumphgeheul der AfD ertragen zu müssen.

Wie groß die Nervosität insbesondere in den Ländern ist, demonstrierte vor wenigen Tagen Ministerpräsident Dietmar Woidke (SPD) aus Brandenburg, wo ebenfalls im nächsten Jahr gewählt wird. „Nicht nur ich, sondern alle Ministerpräsidenten der SPD wünschen sich, dass die SPD ihre Rolle als starke soziale Kraft in der Bundesregierung wieder stärker annimmt“, machte Woidke seiner Unzufriedenheit in einem Interview Luft.

Auf Handelsblatt-Nachfrage wollte zwar keiner der SPD-Ministerpräsidenten, die Woidke in solidarische Mithaftung genommen hatte, in die Kritik einstimmen. Doch eine Frustration mit dem Kanzler ist unüberhörbar. „Natürlich läuft es nicht optimal“, sagt ein Genosse. Scholz’ ruhig-besonnene Art werde zwar geschätzt. Doch die Kommunikation des Kanzlers sei zuletzt wieder arg dürftig gewesen.

Kritik an Scholz aus der bayerischen SPD

Dieser Eindruck hat sich auch in der Bevölkerung verfestigt. Laut dem am Sonntag veröffentlichten „Politbarometer extra“ empfindet eine Mehrheit der Deutschen Scholz’ Kommunikation als schlecht und hält ihn für durchsetzungsschwach.

Offener als viele Genossen formuliert den Unmut Florian von Brunn, SPD-Spitzenkandidat für die Landtagswahl in Bayern: „Ich wünsche mir mehr Kante gegen den kalten Sparkurs des Bundesfinanzministers“, sagt er und schiebt eine klare Warnung hinterher. „Ich denke aber nicht, dass die SPD solche Kürzungen zulassen wird. Das ist falsch und nützt nur der AfD.“ Bisher hat Scholz den Haushaltskurs von Finanzminister Christian Lindner (FDP) jedoch mitgetragen.

Das Ampelchaos der vergangenen Monate hat in Bayern nur einem Rückenwind verliehen: Ministerpräsident Markus Söder. Obwohl auch der CSU-Chef keineswegs überbordend beliebt ist, droht der SPD im Oktober ein einstelliges Ergebnis.

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Während in Bayern ein schlechtes Ergebnis eingepreist ist, hat sich die SPD in Hessen durchaus Chancen ausgerechnet, die schwarz-grüne Landesregierung bei den Wahlen zu stürzen. Doch derzeit liegt die SPD dort mit 22 Prozent sieben Prozentpunkte hinter der CDU. Und Spitzenkandidatin Nancy Faeser tut wenig dafür, ihren Chancen zu verbessern.

Olaf Scholz auf Sommerreise in Brandenburg

Bei ihrer Kandidatur hatte Faeser erklärt, im Falle einer Wahlniederlage Bundesinnenministerin zu bleiben. Das hielten schon damals viele Genossen für ein unglückliches Signal an die Wähler in Hessen. Und seither steht auch die Frage im Raum, wie Faeser zugleich Innenministerin und Wahlkämpferin sein will.

Genau dieses Dilemma wurde nun offensichtlich. Als Faeser vergangene Woche Verschärfungen bei Abschiebungen vorschlug, wurde das auch innerhalb der SPD als plumpes Wahlkampfmanöver kritisiert. Faeser müsse ihren CDU-Kontrahenten Boris Rhein „anders packen, als ihm hinterherzubeten“, klagt ein Genosse. Scholz stellte sich am Sonntag hinter Faeser. Er habe den Ländern einen entsprechenden Vorschlag unterbreitet.

Scholz will Wirtschaftspolitik priorisieren

Die ungemütliche politische Stimmungslage setzt Scholz unter Zugzwang. Der Höhenflug der AfD werde nicht ewig anhalten, gibt sich der Kanzler überzeugt. Doch in der SPD halten viele Zweckoptimismus inzwischen für nicht mehr ausreichend. Statt Beschwichtigungen brauche die SPD ein klares Programm gegen die AfD.

Scholz will in den nächsten Monaten Wirtschaftspolitik zum Schwerpunkt der Ampel machen. Das ist angesichts der Wirtschaftslage sinnvoll, doch auch hier droht wieder Ärger.

An diesem Mittwoch verabschiedet das Bundeskabinett Lindners „Wachstumschancengesetz“, das Erleichterungen für Unternehmen vorsieht. Das Volumen von rund sieben Milliarden Euro halten SPD und Grüne aber für viel zu gering. „Es ist, als ob wir mit Spatzen auf Kanonen schießen“, sagt ein Genosse.

Auch wenn viele Ökonomen von einem Konjunkturprogramm abraten, politisch wird angesichts der tristen Wirtschaftslage der Druck auf die Ampel immer größer, vor den Landtagswahlen große Pläne zur Bekämpfung des Abschwungs zu präsentieren.

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Auch in Scholz’ politischer Logik läge ein neuer „Wumms“ gegen die Wirtschaftskrise nahe, schon mehrfach überraschte der Kanzler in der Vergangenheit mit gigantischen Krisenbekämpfungsprogrammen oder urplötzlichen Steuersenkungen. Damit hat Scholz selbst auch eine gewisse Erwartungshaltung geschürt. Nur: Dieses Mal fehlt das Geld, zumindest wenn die Ampel wie vereinbart die Schuldenbremse einhalten will.

Christian Lindner

Die Pläne des liberalen Finanzministers zur Entlastung von Unternehmen reichen den Koalitionspartnern nicht.

(Foto: Reuters)

SPD und Grüne fordern, nicht genutzte Schulden aus dem Energie-Abwehrschirm von rund 100 Milliarden Euro zu verwenden, um damit etwa einen Industriestrompreis zu finanzieren. „Wir müssen viel stärker investieren: in sozialen und bezahlbaren Klimaschutz, wirtschaftliche Innovation und Bildung. So, wie ich es auch in meinem Plan für Bayern vorschlage“, sagt SPD-Spitzenkandidat von Brunn. Nur lehnt Finanzminister Lindner eine solche Umwidmung der Mittel ab.

Doch damit ist die Debatte nicht zu Ende. Wenn schon wie zuletzt ein CDU-Ministerpräsident wie Kai Wegner ein Aussetzen der Schuldenbremse verlangt, wird es nur eine Frage der Zeit sein, bis aus Reihen von SPD und Grünen die gleiche Forderung erhoben wird.

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Und auch von ihrer Forderung nach Steuererhöhungen werden SPD und Grüne nicht ablassen. Den ersten Aufschlag machten am Wochenende die „Netzwerker“, ein Zusammenschluss von 50 pragmatisch ausgerichteten Mitgliedern der SPD-Bundestagsfraktion.

In einem Impulspapier drängen sie auf eine höhere Erbschaftsteuer, und zwar nicht irgendwann, sondern sofort. „Angesichts der Dringlichkeit braucht es bis Ende des Jahres 2023 eine Lösung“, heißt es in dem Papier.

Auch dagegen wird sich Lindner mit aller Macht sperren. Bislang zogen Finanzminister und Kanzler bei allen Haushaltsfragen an einem Strang. Doch die Lage hat sich geändert. Ab sofort steckt das Land im Krisen- und im Wahlkampfmodus. Nichts zu tun scheint da weder für Lindner und noch weniger für Scholz besonders attraktiv zu sein.

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