Vorwürfe gegen Aiwanger wegen eines antisemitischen Flugblatts – Söder fordert Aufklärung

Hubert Aiwanger

Die „SZ“ hatte über ein Flugblatt berichtet, das aus Aiwangers Schulzeit stammen soll.

(Foto: dpa)

Augsburg, Berlin, München, Münster Mitten im bayerischen Landtagswahlkampf sieht sich der stellvertretende Regierungschef Hubert Aiwanger heftigen Vorwürfen im Zusammenhang mit einem antisemitischen Flugblatt aus Schulzeiten ausgesetzt. Ministerpräsident Markus Söder (CSU) forderte von seinem Koalitionspartner umgehend Aufklärung.

„Diese Vorwürfe müssen jetzt einfach geklärt werden. Sie müssen ausgeräumt werden und zwar vollständig“, sagte Söder am Samstag am Rande eines Volksfest-Termins in Augsburg. Auch aus der Bundesregierung kamen Forderungen nach dringender Aufklärung.

Die „Süddeutsche Zeitung“ hatte über das Flugblatt berichtet, das vor über 30 Jahren aufgetaucht sein soll. Aiwanger ist heute 52 Jahre alt. Über einen Sprecher teilte der Freie-Wähler-Chef der „SZ“ mit, er habe „so etwas nicht produziert“ und werde gegen diese „Schmutzkampagne“ im Falle einer Veröffentlichung rechtlich vorgehen. Über den Bericht sagte Söder: „Es sind schlimme Vorwürfe im Raum. Dieses Flugblatt ist menschenverachtend, geradezu eklig.“

Hubert Aiwanger selbst hat die Vorwürfe zurückgewiesen, als Schüler ein antisemitisches Flugblatt verfasst zu haben. „Ich habe das fragliche Papier nicht verfasst und erachte den Inhalt als ekelhaft und menschenverachtend“, teilte der Freie-Wähler-Chef am Samstag über einen Sprecher in einer schriftlichen Erklärung mit. „Der Verfasser des Papiers ist mir bekannt, er wird sich selbst erklären.“ Freie-Wähler-Landtagsfraktionschef Florian Streibl sagte auf dpa-Anfrage am Samstag aber: „Wir werden heute mit ihm sprechen.“

Aiwanger sollte am Samstagmittag ursprünglich auch zu dem großen Volksfest-Umzug in Augsburg kommen. Er erschien dort aber nicht.

Landtagswahl am 8. Oktober

In Bayern wird am 8. Oktober ein neuer Landtag gewählt. Die CSU hatte stets erklärt, die Koalition mit den Freien Wählern nach der Wahl fortsetzen zu wollen. Alle Umfragen hatten bis zuletzt fast keinen Zweifel daran gelassen, dass dies auch möglich sein wird – wobei die Freien Wähler zuletzt bei 11 bis 14 Prozent lagen. Für beide Koalitionspartner kommen die Vorwürfe und die öffentliche Debatte deshalb zur absoluten Unzeit. Die CSU regiert im Freistaat seit 2018 zusammen mit den Freien Wählern.

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Umgehend kamen aus fast allen Richtungen Forderungen nach Aufklärung und nötigenfalls Konsequenzen. „Wer die Opfer von Auschwitz verhöhnt, darf in unserem Land keine Verantwortung tragen. Die schwerwiegenden Vorwürfe müssen dringend aufgeklärt werden“, schrieb Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) beim Twitter-Nachfolger X.

Die bayerische Landtagspräsidentin Ilse Aigner (CSU) postete bei X: „Die Vorwürfe gegen @HubertAiwanger wiegen schwer – nur er selbst kann sich von diesem widerlichen, antisemitischen Pamphlet glaubhaft distanzieren und sollte dies schnell tun.“ Der stellvertretende Vorsitzende der AfD-Landtagsfraktion, Gerd Mannes, forderte den Rücktritt Aiwangers: „Als Wirtschaftsminister wird er seiner Aufgabe nicht mehr gerecht werden können.“

Die bayerischen Grünen-Fraktionsvorsitzenden Katharina Schulze und Ludwig Hartmann forderten für den Fall, dass sich die Vorwürfe gegen Aiwanger bestätigen sollten, dessen Entlassung. „Dieses Flugblatt verhöhnt die Opfer des Holocausts. Das Gedankengut ist menschenverachtend. Wer so denkt, schreibt und redet, zeigt seinen Antisemitismus klar und deutlich“, sagte Schulze. Für die FDP forderte Landtagsfraktionschef Martin Hagen: „Hubert Aiwanger muss sich persönlich erklären und die Vorwürfe ausräumen.“

SPD fordert Sondersitzung des Landtags

Eine Sondersitzung des Landtags forderte die SPD. „Das Flugblatt ist Rechtsextremismus der untersten Schublade, das die Millionen Opfer des Holocausts und der Nazi-Diktatur auf das Übelste verunglimpft – auf schlimmste Art und Weise“, sagte SPD-Fraktionschef Florian von Brunn.

SPD-Chef Lars Klingbeil sagte auf einem Landesparteitag der nordrhein-westfälischen SPD: „Was sitzen da eigentlich für Leute in der bayerischen Landesregierung?“ Und fügte hinzu: „Solche Leute gehören nicht in Verantwortung in diesem Land.“ Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) schrieb auf X: „Der Vorwurf, jemand sei Antisemit, wiegt schwer. Man sollte ihn nur erheben, wenn man seiner Sache sicher ist und die Beweise eindeutig sind. Wenn das der Fall ist, ist aber eines klar: Für Antisemiten gibt es keinen Platz in der Politik – weder in Mandaten, noch in Staatsämtern!“

Für Aiwanger gelte die Unschuldsvermutung, schrieb die stellvertretende CDU-Bundesvorsitzende Karin Prien auf X: „Die Veröffentlichung der Anschuldigungen gegen @HubertAiwanger und der Zeitpunkt wiegen schwer und sind in mehrfacher Hinsicht brisant, sechs Wochen vor der bayerischen Landtagswahl.“

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Der Antisemitismus-Beauftragte der Bundesregierung, Felix Klein, sagte der „Bild am Sonntag“: „Sollten die Vorwürfe zutreffen, ist Herr Aiwanger aus meiner Sicht als stellvertretender Ministerpräsident von Bayern und anderer Ämter untragbar.“ Christoph Heubner, Exekutiv-Vizepräsident des Internationalen Auschwitz Komitees, forderte: „Wenn Hubert Aiwanger in irgendeiner Weise mit diesem Flugblatt zu tun hat, dann muss er jetzt in seiner Geschichte aufräumen.“

Aiwanger war bereits im Juni bundesweit in die Schlagzeilen geraten, wegen umstrittener Äußerungen auf einer Kundgebung in Erding. Er hatte dort unter anderem gesagt, dass die schweigende Mehrheit sich die „Demokratie zurückholen“ müsse. Ihm wurde daraufhin – wie schon so oft – Populismus vorgehalten.

Aiwanger, der starke Mann der Freien Wähler bayern- und auch bundesweit, sieht sich gerne als Vertreter der von ihm so bezeichneten „normalen Bevölkerung“, von Landwirten und Handwerkern. In Bierzelten und bei anderen Auftritten ledert er regelmäßig gegen die Grünen und die Ampel-Regierung. Vorwürfe, ein Populist zu sein, lässt er an sich abperlen. Er werde sich nicht mundtot machen lassen, sagt er dazu. Sein erklärtes Ziel ist es, potenzielle AfD-Wähler von Stimmen für die AfD abzuhalten und sie zu den Freien Wählern zu „locken“.

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