Viele Deutsche sind unzufrieden mit dem Staat

Berlin Berlinerinnen und Berliner warteten im Frühjahr im Schnitt gut einen Monat auf einen Termin beim Bürgeramt. In Nordrhein-Westfalen waren so viele Kitas geschlossen wie noch nie. Und Verfahren bei den Verwaltungsgerichten dauern heute fast doppelt so lange wie vor zehn Jahren.

Kein Wunder, dass viele Deutsche das Vertrauen in den Staat verloren haben. Nach einer am Dienstag veröffentlichten Forsa-Umfrage für den Gewerkschaftsdachverband DBB Beamtenbund und Tarifunion halten ihn 69 Prozent für überfordert. Nur 27 Prozent der Befragten sehen den Staat in der Lage, seine Aufgaben zu erfüllen.

„Das Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger in die Handlungsfähigkeit ihres Staates ist damit auf einen neuen Tiefpunkt gesunken“, sagte Beamtenbund-Chef Ulrich Silberbach. „Das ist alarmierend.“

Bei der Suche nach den Ursachen fällt dann oft das Stichwort vom kaputtgesparten öffentlichen Dienst, von fehlendem Personal. Doch der Blick in die Zahlen zeigt eine andere Realität. Bei Ländern und Kommunen arbeiten heute jeweils rund acht Prozent mehr Beschäftigte als zur Jahrtausendwende. Beim Bund gab es zwar einen zwischenzeitlichen Rückgang, doch seit 2016 wird auch dort kontinuierlich wieder Personal aufgebaut.

Zwar sind unter den Staatsdienern auch viele Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter mit reduzierter Stundenzahl. Die Teilzeitquote im öffentlichen Dienst ist von 22 Prozent im Jahr 1998 auf 34 Prozent im Jahr 2021 gestiegen. Doch auch wenn man die Vollzeitäquivalente berücksichtigt, steht unter dem Strich ein satter Aufwuchs, bei den Bundesländern beispielsweise im Zeitraum 2010 bis 2021 ein Plus von gut elf Prozent.

Der öffentliche Dienst im Urteil der Bürger

Die Zahl der Beamten in Deutschland hat Mitte vergangenen Jahres mit rund 1,75 Millionen sogar ein 28-Jahres-Hoch erreicht. Einzig in den Kommunen und bei den Sozialversicherungen ist sie zuletzt wieder ganz leicht gesunken. Bläht der deutsche Staat sich auf, ohne dass seine Leistungsfähigkeit steigt?

Die Unzufriedenheit der Bürger scheint diesen Schluss nahezulegen, doch ganz so einfach ist es nicht. „Bei der Zahl der Beamten haben wir zuletzt einen leichten Aufwuchs gesehen“, sagt Rainer Bernnat, der bei der zu PwC gehörenden Beratungsgesellschaft Strategy& den Bereich öffentlicher Sektor leitet. „Wenn Sie das aber ins Verhältnis setzen zur zunehmenden Regelungsdichte, dann fällt das Plus nicht so ins Gewicht.“

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Ein Beispiel ist die zum Jahresbeginn in Kraft getretene Wohngeldreform: Die Kommunen mussten quasi über Nacht mit der doppelten Zahl von Anspruchsberechtigten arbeiten. „Wir brauchen mehr vollzugstaugliche Gesetze“, fordert die Staatswissenschaftlerin Gisela Färber von der Deutschen Universität für Verwaltungswissenschaften in Speyer. Der Bund mache zu oft Gesetze, ohne zu Ende zu denken, was dabei am Ende auf die Verwaltung zukomme.

Ein nicht unerheblicher Teil des Personalaufwuchses kommt allerdings ohnehin nicht den Verwaltungsbehörden zugute. So ist beispielsweise unter dem Eindruck der Flüchtlingsmigration Mitte des zurückliegenden Jahrzehnts die Polizei von Bund und Ländern aufgestockt worden. Gemessen in Vollzeitäquivalenten arbeiteten vor zwei Jahren gut 21.000 Beamte mehr im Polizeidienst als im Jahr 2016.

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Auch der zunehmende und lange noch nicht gedeckte Kinderbetreuungsbedarf trägt erheblich zum Personalaufwuchs im öffentlichen Dienst bei. Seit dem Jahr 2007 hat sich die Zahl der Erzieherinnen und Erzieher auf zuletzt knapp 268.000 mehr als verdoppelt.

An den Schulen waren im vergangenen Jahr mehr als eine Million Beschäftigte tätig. Länder wie Sachsen und Berlin, die aus Kostengründen lange Zeit vor allem angestellte Lehrerinnen und Lehrer beschäftigten, sind aus Gründen der Personalgewinnung und -bindung zur Verbeamtung zurückgekehrt. Auch das lässt ihre Zahl steigen.

Dort, wo der Bürger unmittelbar mit dem Staat zu tun hat – in kommunalen Ämtern und Behörden –, hat es zuletzt zwar auch einen deutlichen Personalzuwachs gegeben. Doch bekommen die Menschen das offenbar kaum zu spüren.
„Ich sehe auch die Gefahr, dass der Staat nicht mehr in der Lage ist, seine Aufgaben zu erfüllen“, sagt Gerhard Hammerschmid, Professor für Public and Financial Management an der Hertie School. Aber das dürfe nicht immer nur zu dem Ruf nach mehr Personal führen. „In den Finanzämtern beispielsweise ließen sich durch mehr Automatisierung große Effizienzreserven heben“, sagt Hammerschmid.

Zudem müsse das Geld auf den Ebenen ankommen, wo es am dringendsten gebraucht werde, betont Verwaltungswissenschaftlerin Färber. Die Vielzahl neuer Bundesbehörden – vom Bundeszentralamt für Steuern bis hin zum geplanten Finanzkriminalamt – hält die Professorin für eine klassische Fehlsteuerung von Ressourcen.

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Der Bund baue Personal für neue Vollzugsbehörden auf, obwohl er eigentlich nur für die Gesetzgebung zuständig sei. Der Vollzug sei Ländersache.

Auch an den Schulen, die trotz des jüngsten Beschäftigungsaufbaus über Personalmangel klagten, könne man umsteuern. Vor allem in den Grundschulen komme es auf kleine Klassengrößen und ein gutes Lehrer-Schüler-Verhältnis an, betont Färber. Doch das meiste Geld fließe immer noch in die Gesamtschulen und Gymnasien.

Gewalt gegen öffentlich Bedienstete

Hertie-School-Professor Hammerschmid vermisst auf allen staatlichen Ebenen eine strategische Personalplanung. Wie viele Beschäftigte mit welchen Qualifikationen werden ab wann, wie lange und in welchen Bereichen gebraucht? Das fehle bis auf wenige Ausnahmen völlig, sagt Hammerschmid. Und der öffentliche Dienst müsse aufhören, Mitarbeiter, die er absehbar nur kurzfristig brauche – wie etwa für bestimmte Aufgaben der digitalen Transformation –, gleich lebenslang und mit Verbeamtung einzustellen.

Eine strategische Personalplanung ist schon deshalb vonnöten, weil in den kommenden zehn Jahren gut ‧jeder vierte Beschäftigte des öffentlichen Dienstes altersbedingt ausscheiden wird. Nach älteren Schätzungen des Beamtenbunds fehlen schon heute 360.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter.

„Demografisch erleben wir im ‧öffentlichen Dienst gerade noch die Ruhe vor dem Sturm“, sagt Berater Bernnat. PwC hat hochgerechnet, dass dem Staat ohne Gegenmaßnahmen bis 2030 rund eine Million Beschäftigte fehlen werden. Der öffentliche Dienst, der sich gerade etwas aufplustert, könnte dann zu einer Magerkur gezwungen sein, wenn es nicht gelingt, ihn in Konkurrenz zur Privatwirtschaft als Arbeitgeber attraktiv zu halten.

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