Unternehmer sind frustriert von der Politik der Bundesregierung

Düsseldorf, Berlin, Frankfurt Einen Tag nach Verschiebung des Wachstumschancengesetzes ist der Ärger der Wirtschaft über die Ampelkoalition groß. Mit Blick auf die Wirkung des Gesetzes dürfte ein späterer Beschluss keine großen Auswirkungen haben.

Doch der Streit in der Ampel um die Erleichterungen hat aus Sicht der Unternehmer eine hohe Symbolkraft: Der Vorgang zeige, wie wenig Verständnis die Ampel für die Nöte der Wirtschaft hat.

Felix Haas, Gründer von Amiando und IDnow, sagte dem Handelsblatt: „Leider zeigt unsere Regierungskoalition nicht die notwendige Entschlossenheit.“ Die unerwartete Ablehnung des Wachstumschancengesetzes sende ein falsches Signal an die Wirtschaft.

Ähnlich äußerte sich Claudia Gugger-Bessinger, Inhaberin von MN Maschinenbau Niederwürschnitz: „Die Verschiebung des Wachstumschancengesetzes untermauert erneut die Handlungsunfähigkeit und Verantwortungslosigkeit unserer derzeitigen Bundesregierung.“

Die Wirtschaft setzt große Hoffnungen in das Entlastungspaket mit einem Volumen von rund sechs Milliarden Euro. Finanzminister Christian Lindner (FDP) hatte sich bereits mit Kanzler Olaf Scholz (SPD) und Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) darauf geeinigt.

Arndt Kirchhoff wettert vor Scholz gegen die Wirtschaftspolitik

Das Gesetz hätte am Mittwoch verabschiedet werden sollen. Doch Familienministerin Lisa Paus (Grüne) legte ihr Veto ein. Sie fordert zuerst mehr Geld für die Kindergrundsicherung. Innenministerin Nancy Faeser (SPD) verteidigte die Regierung derweil im Handelsblatt: „Die Koalition arbeitet sehr viel besser zusammen, als es oft wahrgenommen wird.“

Doch Faesers Eindruck stimmt zumindest nicht in Düsseldorf am Mittwochabend. Als Olaf Scholz auf dem Unternehmertag NRW den Saal betritt, ist der Empfang höflich. Der Kanzler wird beklatscht, ihm wird die Hand geschüttelt. Dann betritt Arndt Kirchhoff die Bühne. Und mit der Höflichkeit ist es vorbei.

Arndt Kirchhoff, Präsident des NRW-Unternehmerverbands

„Deutsche Politik muss alles umsetzen, was die deutsche Wirtschaft stärkt, und alles unterlassen, was sie schwächt“, sagte Kirchhoff beim Unternehmertag.

(Foto: IMAGO/Panama Pictures)

Kirchhoff, der Präsident des NRW-Unternehmerverbands, wettert ununterbrochen gegen die Wirtschaftspolitik der Regierung um Scholz. Die Wettbewerbsfähigkeit der gesamten Wirtschaft sei gefährdet. Zu viel Bürokratie, weiter Schneckentempo bei Genehmigungsverfahren, die Arbeits- und Sozialpolitik würde die Wirtschaft verlangsamen. „Deutsche Politik muss alles umsetzen, was die deutsche Wirtschaft stärkt, und alles unterlassen, was sie schwächt“, sagt Kirchhoff. „Herr Bundeskanzler, sprechen Sie hier ein Machtwort.“

Wenige Stunden zuvor hatte Scholz genau das nicht getan. Das „Wachstumschancengesetz“, das 50 Steuererleichterungen für die Wirtschaft mit einem Volumen von mehr als sechs Milliarden Euro vorsah, musste verschoben werden, weil die eigene grüne Familienministerin Paus einem Vorbehalt dagegen eingelegt hatte.

Der geplante Neustart der Bundesregierung nach der Sommerpause endete im Fehlstart. Die Bundesregierung versucht nun zu retten, was zu retten ist.

Die Regierung sieht die Nöte der Wirtschaft nicht

Bis zur Kabinettsklausur in Meseberg Ende des Monats soll weniger gestritten werden, stattdessen sollen Entscheidungen fallen. Die Ampel will ein Bürokratieabbaugesetz auf den Weg bringen, sich auf ein Konzept bei der Kindergrundsicherung einigen und das verschobene Wachstumschancengesetz, so möglich, ausbauen.

Doch selbst wenn das gelingt – in der Wirtschaft bleibt erst einmal haften, dass die immer weiter wachsenden Nöte nicht gesehen werden. Die Regierung hatte den Kampf gegen die Wachstumsschwäche der deutschen Wirtschaft als dringlichstes Anliegen dargestellt. Doch das ersehnte Gesetz, dass den Schmerz zumindest ein wenig hätte lindern können, hat nicht die Unterstützung der gesamten Regierung.

Was folgt: Die Kritik aus der Wirtschaft an der Regierung, sie ist inzwischen nicht mehr nur bloß unüberhörbar, sondern geht an die Grundfesten des Regierungshandelns.

Unternehmerin Miriam Wohlfahrt

„Es ist eine Katastrophe für die deutsche Wirtschaft.“

(Foto: Banxware)

„Es ist eine Katastrophe für die deutsche Wirtschaft“, sagt Miriam Wohlfahrt. Sie ist Gründerin der Finanzdienstleister Ratepay und Banxware. Die Maßnahmen aus dem Wachstumschancengesetz hätten finanzielle Erleichterungen in der Breite der Wirtschaft erzeugt. Entsprechend kommt die Kritik auch aus allen Sektoren. Wohlfahrt sorgt sich vor allem um die kleinen Unternehmen: „Wenn wir jetzt nicht die Unternehmen unterstützen, werden wir deutlich mehr Pleiten sehen.“

Nicht anders klingt Ulrich Flatken, der weniger mit Finanzdienstleistungen zu tun hat, sondern als Geschäftsführer der Mecanindus Vogelsang Gruppe mehr mit der Herstellung von industriellen Verbindungen. Die Verschiebung des Gesetzes verdeutliche das fehlende Engagement der Politik für den Standort Deutschland. „Kapital und Know-how fließen ab. Und die Politik schaut zu.“

„Projekte gegeneinander auszuspielen, hilft niemandem“

Selbst Unternehmer, die den Grünen nahestehen, sind enttäuscht über den Ampelstreit um das Wachstumschancengesetz. „Wirtschaftspolitik muss von der Sache her entschieden werden, mit Weitblick, sie sollte keine tagespolitische Verhandlungsmasse sein für oder gegen andere politische Maßnahmen“, sagte die Vorstandsvorsitzende der Grünen Wirtschaftsvereinigung, Heike Discher, dem Handelsblatt.

Deutschland-Flagge auf dem Reichstag in Berlin

Die Kritik der Wirtschaft geht mittlerweile an die Grundfesten des Regierungshandelns.

(Foto: dpa)

Ähnlich äußerte sich der Chef der Industriegewerkschaft IG-BCE, Michael Vassiliadis. „In dieser Lage Projekte gegeneinander auszuspielen, die nichts miteinander zu tun haben, hilft niemandem und bremst das Land weiter aus“, sagte er dem Handelsblatt.

Kanzler Scholz ließen kritische Stimmen beim Unternehmertag in Düsseldorf gewohnt kalt. Er verwies auf milliardenschwere Investitionen, die es in Deutschland gebe. Mit geplanten neuen Regeln werde alles unkomplizierter und schneller.

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Ein Unternehmer aus dem Publikum fragte den Kanzler auf direktem Weg, wie man Streitigkeiten in der Ampel wie um das Heizungsgesetz und nun um das Wachstumschancengesetz in den Griff bekäme. Eine direkte Antwort darauf unterließ der Regierungschef. Er sagte bloß, in den nächsten Tagen solle geschaut werden, ob sie das Gesetz „an der einen oder anderen Stelle noch ein bisschen schöner machen können“.

Plan ist nun, das Gesetz bei der Kabinettsklausur in Meseberg Ende August zu verabschieden. Zuvor soll eine Einigung bei der Kindergrundsicherung erfolgen, damit Paus nicht erneut querschießt.

Klärung im Paus-Lindner-Streit nicht einfach

Regierungskreisen zufolge habe Kanzler Scholz das in der Kabinettssitzung am Mittwoch fest zugesagt. Am Donnerstag erklärte Paus in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“, dass der Gesetzentwurf für die Kindergrundsicherung von ihrer Seite aus fertiggestellt sei. Das hatte Scholz zur Voraussetzung für weitere Gespräche über die Finanzierung gemacht.

Allerdings zeichnet sich bereits ab, dass die Klärung auch jetzt alles andere als leicht wird. Finanzminister Lindner gab der „FAZ“ am Donnerstag ebenfalls ein Interview. Er verteidigte seine Position, für die Kindergrundsicherung nicht mehr Geld als die vorgemerkten zwei Milliarden Euro ab 2025 zur Verfügung zu stellen. Familien „einfach nur mehr Sozialtransfers zu überweisen, verbessert nicht zwingend die Lebenschancen der Kinder“, betonte Lindner.

Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) und Bundesfamilienministerin Lisa Paus (Grüne)

Lindner und Paus streiten sich schon länger über die Kosten der Kindergrundsicherung.

(Foto: Reuters)

Theoretisch würde die Verzögerung des Wachstumschancengesetzes für die Wirtschaft keinen Unterschied machen. Der Bundestag, der das Gesetz nach dem Beschluss des Kabinetts behandeln müsste, ist noch bis Anfang September in der Sommerpause. Die steuerlichen Entlastungen wären so oder so dort nicht eher behandelt worden. Doch der neuerliche Streit in der Regierung verfestigt bei den Unternehmen den Eindruck, von der Regierung nicht ernst genommen zu werden.

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Marie-Christine Ostermann, Präsidentin der Familienunternehmer, poltert: „Der derzeitige Stopp dieses längst überfälligen Reformgesetzes sendet ein furchtbares Signal an die Wirtschaft: Können die Unternehmer in Deutschland überhaupt noch auf diese zunehmend chaotisch agierende Regierung bauen?“

Auch Ökonomen weisen auf die Effekte hin, die politische Unsicherheit in der Wirtschaft auslösen können. „Es ist bedauerlich, dass die Bundesregierung es nicht schafft, eine Verbesserung der Rahmenbedingungen und Investitionsanreize für alle Unternehmen zu verabschieden“, sagte Eckard Janeba, Vorsitzender des Beirats beim Bundeswirtschaftsministerium.

Unternehmer halten geplante Entlastungen für nicht ausreichend

Dabei war das Gesetz aus seiner Sicht grundsätzlich in die richtige Richtung gegangen. Wirtschaftsminister Habeck hatte hineinverhandelt, dass das Instrument des Verlustvortrags hinausfällt, bei dem aktuelle Verluste mit Gewinnen aus der Vergangenheit steuerlich verrechnet werden können. Stattdessen brachte Habeck die degressive Abschreibung ein. Das sei das „direktere Instrument, um Investitionen anzuregen“, so Janeba.

Dennoch hält er, genauso wie eine Reihe von Unternehmern, die Entlastungen nicht für ausreichend. Das Gesetz sei ohnehin nur ein kleiner erster Schritt, sagte Mecanindus-Geschäftsführer Flatken. Auch Markus Meyer, Politikchef des Solar-Start-ups Enpal, sagte: „Wir brauchen mehr Investitionen in Klimaschutz.“

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Noch sind Änderungen am Wachstumsgesetz denkbar. Eine neu eingesetzte Arbeitsgruppe in der Regierung soll ausloten, ob etwa weitere Investitionsprämien möglich sind. Doch da lauert bereits der nächste Konflikt. Der Haushalt ist inzwischen auf Kante genäht, anders als in den vergangenen Jahren gibt es keine Reserven.

Das heißt konkret: Alle Reformen, die die Ampel in den kommenden Monaten auf den Weg bringen will, dürfen kein Geld kosten. Oder es muss dafür an anderer Stelle gekürzt werden.

Deshalb dürfte das Wachstumschancengesetz am Ende kaum wesentlich größer ausfallen als bisher geplant. Und noch unklarer ist, woher die zusätzlichen Milliarden für die Kindergrundsicherung kommen sollen, die Familienministerin Paus fordert

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