Telekom, Vodafone, Telefónica und Orange starten Ad-Tech-Projekt Utiq

Sogenannte „Smart Speaker“ wie Amazons Alexa oder Google Home verbreiteten sich damals rasant. Sie versprachen, als Scharnier zum Kunden die Grundlage eines Milliardengeschäfts zu bilden. Diesen Markt wollten die Vorstände in Bonn und Paris nicht allein dem Silicon Valley überlassen. Die spanische Telefónica lancierte ein ähnliches Projekt.

2019 kam der smarte Lautsprecher – in Deutschland: „Hallo Magenta“ – tatsächlich auf den Markt. Ein Trumpf sollte der bessere Datenschutz sein, denn die Sprachbefehle der Kunden würden Europa nicht verlassen, versprach die Telekom.

Schon bei der Präsentation in Bonn fragten sich Beobachter indes, wer sich für die knubbeligen Dinger angesichts ihrer überschaubaren Performance interessieren sollte. Telekom-Technikvorständin Claudia Nemat verkaufte die Lautsprecher vorsichtshalber als „komplementär“ zu Amazons Alexa, um das Gefälle rhetorisch abzufangen.

Mitte Mai folgte nun, was manch ein Telekom-Manager von Beginn an erwartet hatte: Der Konzern kündigte das Ende des Magenta-Assistenten an. Die wenigen Nutzer würden die Investitionen nicht mehr rechtfertigen, hieß es. Seit 1. Juli funktionieren die Lautsprecher zwar noch, leisten aber nicht mehr als eine einfache Bluetooth-Box von Media-Markt. Smart ist daran nichts mehr.

Telekom-CTO Claudia Nemat

Die Telekomvorständin verkaufte die Hallo Magenta als „komplementär“ zu Amazons Alexa.

(Foto: IMAGO/Marc John)

Diese Dramaturgie kam nicht nur Insidern bekannt vor. Versuche, zu den Technologiekonzernen aufzuschließen, endeten in der Regel mit einer Enttäuschung. Während das Silicon Valley mit populären Diensten wie Zoom, Microsoft Teams oder WhatsApp tief in das Kerngeschäft der Branche vordringt, gerät die Gegenwehr der Telekombranche nicht selten lieblos.

So hatte der Magenta-Assistent schon Probleme, Worte wie „Champignon“ zu verstehen, oder zwei Artikel gleichzeitig auf eine Einkaufsliste zu setzen. Tester rieten mitunter dazu, doch lieber gleich zum Original von Amazon zu greifen.

Vorstände wollen mit Digitalprojekten an Profil gewinnen

Anderen Nachbauten wie Immmr, ein WhatsApp-Klon der Telekom, oder diverse „Wallets“, mit denen Telekommunikationskonzerne den Markt fürs digitale Bezahlen besetzen wollten, wurde ein ähnliches Schicksal zuteil. Trotz zum Teil hoher Anlaufinvestitionen hat sie das Management wegen Misserfolgs rasch wieder eingestellt.

Den Diensten fehle es in der Regel nicht nur an Skalierungspotenzial, sagt der Partner einer großen Unternehmensberatung. „Sie sind oft auch einfach nicht attraktiv und kundengetrieben genug.“ Da er mit der Branche eng zusammenarbeitet, möchte er lieber anonym bleiben.

Werbung für „Hallo Magenta“ auf der IFA 2018

Der Smart Speaker bleibt seit Juli stumm.

(Foto: imago/IPON)

Dort gelten die Projekte, die zum Teil auch der Profilierungssehnsucht einzelner Vorstände erwachsen, deshalb oft schon beim Start als gescheitert. Das führt mitunter zu Frust. „Das Geld wäre in Glasfaserleitungen oder 5G-Antennen besser angelegt“, kritisiert eine hochrangige Führungskraft der Telekom.

Das Kalkül hinter den regelmäßigen Angriffsversuchen ist dabei meist ähnlich. Die Unternehmen zählen Millionen Kunden, die ihnen zum Teil seit Jahrzehnten vertrauen. Darauf sollte man doch aufbauen und weitere Produkte verkaufen können, so die Überzeugung.

Die Kultur der Kundenmissachtung sitzt tief

In der Realität rächt sich indes, dass die Anbieter Kunden häufig mit intransparenten Wechslerrabatten anlocken. Mit der Unterschrift endet dann die Wertschätzung: Auf ihrer Rechnung finden Kunden mitunter obskur hohe Zusatzgebühren oder hängen in Warteschleifen von Hotlines fest.

Nähe und Vertrauen entsteht so nicht. Das Problem ist derart offensichtlich, dass Vodafones neuer Deutschlandchef Philippe Rogge sogar eine ganze Strategie darauf aufbaut. Er bemüht sich, der Kundenmissachtung endlich Einhalt zu gebieten.

Das bisherige Gebaren sei durchaus Absicht, klagt der Markenexperte Klaus-Dieter Koch. „Der Telekommunikationsmarkt ist abseits der Werbebeteuerungen und PR-Auftritte sehr kühl und distanziert.“

Vodafone-Deutschlandchef Philippe Rogge

Der Manager will Vodafone zu einer Marke machen, die seine Kunden lieben.

(Foto: Vodafone)

Die Innovationsschwäche zeigt sich auch bei Geschäftskundenprojekten. So endete der Roamingdienst ngena ebenso auf dem Friedhof der gescheiterten Digitalinnovationen wie diverse Cloud-Angebote. Die lange Krise der Telekom-IT-Tochter T-Systems deutet ebenfalls auf ein Strukturproblem.

Die meisten Telekommunikationskonzerne seien „Infrastrukturunternehmen, die kulturell von langen Investitionszyklen geprägt sind“, sagt der Branchenexperte Roman Friedrich von der Boston Consulting Group. Entsprechend schwer fällt ihnen offenbar das Umdenken.

Konservative Industrien wie Banken und Versicherungen haben mitunter ähnliche Probleme damit, Produkte zu entwerfen, die mit denen von Start-ups oder Tech-Konzernen mithalten können. Dort ist der Anspruch jedoch bedeutend geringer: Amazon oder Google versucht man lieber als Partner zu umgarnen.

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Nun wagen Telekom-Chef Timotheus Höttges und seine CEO-Kollegen einen neuen Versuch. Wieder haben sie das Silicon Valley im Visier und vermuten den Datenschutz als Marketingtrumpf auf ihrer Seite. Allen Misserfolgen zum Trotz. Es geht um die Technologie hinter Werbeanzeigen im Internet, sogenannte Ad-Tech. Und offenbar haben die Telekombosse dabei aus den vergangenen Jahren gelernt.

Meta-Zentrale in Menlo Park

Die europäischen Telekommunikationskonzerne wollen der Dominanz der US-Techriesen bei Onlinewerbung Einhalt gebieten. Zumindest in ihrer Heimat.

(Foto: Reuters)

Nach ersten Experimenten mit dem Vorprojekt Trustpid in Deutschland haben die Konzerne Anfang des Jahres das Joint Venture Utiq in Brüssel gegründet. Dessen Regelbetrieb soll nun beginnen. Große Kunden wie Axel Springer, RTL oder die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ seien zum Start dabei oder kurz vor der Unterschrift, heißt es.

Hinter Utiq steht eine simple, aber bestechende Idee. Statt einzelne Nutzer, wie es bei Onlinewerbung lange Standard war, über sogenannte Cookies zu identifizieren, wollen die Mobilfunkanbieter diese Rolle übernehmen. Die Zuordnung gelingt dabei über den Internetzugang, also unabhängig vom jeweils eingesetzten Browser. Vor der Teilnahme müssen Nutzer explizit zustimmen.

Sneaker von Telekom-Chef-Höttges auf Digitalmesse hubraum

Kulturell fällt es den Telekommunikationskonzernen bis heute schwer, mit innovativen Technologieunternehmen mitzuhalten.

(Foto: Stefan Boness/Ipon)

Auch aufgrund von strengeren Datenschutzvorschriften war das sogenannte Tracking für Werbedienstleister zuletzt immer schwieriger geworden. Die Telekomkonzerne beteuern indes, dass die Technologie mit anonymisierten Profilen arbeite, die nicht mit den Kundendaten zusammenhängen. Datenschutzbehörden hatten im Vorfeld zwar Kritik geäußert, aber keine grundsätzlichen Einwände. Das Management habe die Anregungen berücksichtigt und das Konzept entsprechend angepasst, beteuert Utiq.

„Herzblut“ und Skalierungspotenzial

Medienunternehmen können mit dem System personalisierte Werbung ausspielen, um der Konkurrenz von Facebook oder Google zumindest etwas entgegensetzen. Utiq erhält dafür eine Lizenzgebühr und eine Vergütung der Werbekunden.

In den vergangenen Monaten sind mehrere Telekom-Mitarbeiter zu dem Start-up gewechselt. Unter anderem der neue Deutschlandchef Norman Wagner, der in Bonn ebenfalls für Anzeigen verantwortlich war. Es sei „viel Herzblut“ in das Projekt geflossen, Höttges persönlich einer der Ideengeber, heißt es dort. Der Telekom-Chef setzt sich bereits seit Beginn seiner Amtszeit dafür ein, den US-Tech-Riesen europäische Alternativen entgegenzusetzen.

Und diesmal stehen die Chancen offenbar gar nicht schlecht. In der Medienbranche kam das Konzept gut an. Teilnehmer des Testbetriebs berichten von „extrem guten Ergebnissen“. Eine große deutsche Tageszeitung habe mit Utiq etwa schnell eine Millionenreichweite aufbauen können.

Mit Deutscher Telekom, Vodafone, Telefónica und Orange sind zudem gleich vier europäische Schwergewichte dabei. Zusätzlich erhöht sich das Skalierungspotenzial, weil auch externe Telekompartner wie die französische SFR das System einsetzen, die keine Gesellschafter sind.

Utiq-Chef Marc Bresseel sagt, dass ihm genug Budget zugesagt wurde, um mindestens fünf Jahre lang durchzuhalten. Bresseel, der seine Karriere bislang in der Tech- und IT-Branche gemacht hat, positioniert das System bewusst als solidere Alternative zu US-Riesen wie Meta. „Wir sind effizienter und zuverlässiger“, sagt er.

Von seinen Gesellschaftern in Bonn oder Paris hält Bresseel sich dabei bewusst fern und organisiert von Accounting bis PR lieber alles selbst. Er fürchtet, sonst ausgebremst zu werden.

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