SAP wird größtes Cloud-Unternehmen der Welt

Düsseldorf, Walldorf Mit der Ausrichtung auf die Cloud will SAP-Chef Christian Klein neue Anleger für den Softwarehersteller gewinnen. „Wir gewinnen viele neue Investoren hinzu, die auf Wachstum und Kundenerfolg setzen, und genau da liegt unser Schwerpunkt“, sagte er im Interview mit dem Handelsblatt.

Nach der Ankündigung der neuen Strategie vor rund einem Jahr war der Aktienkurs innerhalb eines Tages um gut 20 Prozent abgestürzt. Trotzdem sei die Entscheidung richtig gewesen, so Klein: „Alle Industrien sind im Wandel, Unternehmen müssen sich transformieren, und mittlerweile sieht jeder, dass die Zukunft in der Cloud liegt – darauf müssen wir reagieren.“

Bei der Umsetzung ist nach Einschätzung des 41-jährigen Managers noch einiges zu tun. „Die neue Strategie ist verstanden, da gibt es keine Diskussion mehr – auch nicht im Vorstand. Jetzt gilt es, die Dinge umzusetzen. Das braucht Zeit.“ So stelle SAP bei den Boni den Kundenerfolg in den Mittelpunkt und arbeite an Trainingsprogrammen für den Vertrieb.

Bei den Aktionären warb Klein für eine Neubewertung. „Wenn man bei unserem Cloud-Geschäft die gleichen Maßstäbe wie bei unseren Wettbewerbern anlegen würde, hätten wir schon fast unsere aktuelle Marktkapitalisierung erreicht.“

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Zudem habe der Konzern im klassischen Lizenzgeschäft eine große Kundenbasis. „Und ich bin mir sicher: SAP wird langfristig eines der größten Cloud-Unternehmen der Welt sein.“

Lesen Sie hier das komplette Interview:

Herr Klein, ein Digitalministerium, wie Sie es gefordert haben, wird es in der neuen Bundesregierung nicht geben. Sind Sie enttäuscht?
Ja. Für mich wäre das nach wie vor wünschenswert. Immerhin hat sich die neue Bundesregierung zum Ziel gesetzt, digitale Kompetenzen in einem Ministerium zusammenzufassen, ein zentrales zusätzliches Digitalbudget einzuführen und Gesetze einem Digitalisierungscheck zu unterziehen. Das wäre zumindest ein Anfang. In der Pandemie haben wir ja erlebt, wie wichtig es gewesen wäre, Kompetenzen zu bündeln. Jedes Bundesland hat zum Beispiel seine eigene Lernplattform aufgebaut, das ging in den meisten Fällen schief.

Sie haben in der Vergangenheit immer wieder auf den digitalen Rückstand Deutschlands hingewiesen. Hat das Thema in Berlin mittlerweile den nötigen Stellenwert?
Immerhin zieht es sich wie ein roter Faden durch den Koalitionsvertrag. Vielen ist aber immer noch nicht klar, wie groß der Wandel sein wird, der uns bevorsteht. Das gilt für viele Geschäftsmodelle in der Wirtschaft – aber auch für die Verwaltungen, die in Deutschland noch weit hinterher sind. SAP hat weltweit Kunden im öffentlichen Sektor. Unter anderem in Ländern wie den USA digitalisieren wir für die Ministerien bereits die unterschiedlichsten Services. Das würden wir gerne auch hier angehen.

Ist das jetzt Ihr Sales-Pitch in Richtung der neuen Bundesregierung?
Es ist doch so: Wir sehen, wie digitale Technologien gerade ganze Branchen verändern. Nehmen wir das Gesundheitswesen: Der administrative Aufwand, um Intensivbetten zu verwalten, ist für Ärzte und Pflegepersonal riesig – das muss nicht sein. SAP hat für die Rhein-Main-Region eine App entwickelt, die das deutlich erleichtert. Glauben Sie mir: Wir könnten schneller Hilfe für die Patienten bereitstellen, wir könnten Leben retten. Leider fehlen häufig Mut und Kompetenzen.

Sie und Vorstandskollegen haben sich zuletzt immer wieder in Gastbeiträgen und Interviews mit Forderungen zur Digitalpolitik geäußert. Glauben Sie, damit außer ein bisschen PR irgendetwas erreichen zu können?
Natürlich thematisieren wir das auch mit den verschiedenen Ministerien, ich hatte schon einige Gespräche dazu. Was mir Hoffnung macht: Zuhören tut jeder – die Pandemie hat gezeigt, wie digitale Technologien helfen können, Herausforderungen zu lösen. Wichtig ist jetzt, dass sich wirklich etwas ändert. Wir haben keine Zeit zu verlieren.

Neuausrichtung von SAP: „Jeder sieht, dass die Zukunft in der Cloud liegt“

Corona beschäftigt nicht nur die Politik, sondern auch SAP: Sie haben vor einem Jahr angekündigt, dass Sie wegen der Pandemie mehr in die Cloud investieren – und damit die Börse schockiert. Bereuen Sie das?
Das war natürlich disruptiv und auch für mich persönlich kein schöner Tag. Aber ich bin überzeugt davon, dass ich tun muss, was mittel- und langfristig das Richtige für unsere Kunden und SAP ist. Alle Industrien sind im Wandel, Unternehmen müssen sich transformieren, und mittlerweile sieht jeder, dass die Zukunft in der Cloud liegt – darauf müssen wir reagieren. Und ich bin mir sicher: SAP wird langfristig eines der größten Cloud-Unternehmen der Welt sein.

Christian Klein in der SAP-Zentrale

Der 41-jährige Manager ist seit zwei Jahren Vorstandschef, zunächst in einer Doppelspitze mit Jennifer Morgan, jetzt allein.


(Foto: Bert Bostelmann / bildfolio für Handelsblatt)

Große Worte. Bislang kommt man bei dem Thema nicht so schnell auf SAP, sondern eher auf Amazon oder Microsoft. Wie sieht denn Ihre Vision aus?
Die neue Strategie zielt darauf ab, unseren Kunden mit unseren Lösungen bei ihren großen Herausforderungen zu helfen. Es geht um Lieferketten, den Klimawandel, aber auch die Zukunft der Arbeit. Das sind alles Geschäftsprozesse, die wir abbilden können – da muss SAP führend sein.

Davon müssen Sie aber auch die Kunden überzeugen – deren Zufriedenheit war lange mäßig.
Die Kundenzufriedenheit hat sich bereits signifikant verbessert. Wir haben den Fokus darauf deutlich gestärkt, das schlägt sich auch in unserem Bonussystem nieder. Wir sehen einen sehr guten Trend, unsere Kunden bestätigen, dass das der Weg richtig ist. Auch bei der Kultur: Wir sind ein Unternehmen, das auf Innovationen setzt, das in Forschung und Entwicklung investiert …

… also war es falsch, so viele Firmen zu kaufen?
Die Akquisitionen waren gut. Ich bin aber der Meinung, wir hätten die Lösungen früher auf eine Plattform ziehen und integrieren sollen. Einheitliche Datenmodelle und durchgehende IT-Sicherheit sind Gründe, warum Kunden auf SAP setzen.

Was ist derzeit Ihre größte Aufgabe?
Wir bieten den Kunden mit „Rise with SAP“ ein ganzheitliches Angebot für den Umzug in die Cloud. Die Unternehmen brauchen aber noch bessere Unterstützung, zum Beispiel bei der Optimierung von Geschäftsprozessen oder der Veränderung von Geschäftsmodellen – genau das macht ja die Transformation aus. Wir müssen ihnen mit unserer eigenen Beratung und mit unseren Partnern noch besser zeigen, wie wir das alle gemeinsam umsetzen können.

Kunden sehen auch bei der Integration der vielen SAP-Angebote zu einem einheitlichen Programmpaket weiterhin Nachholbedarf.
Wir haben auf der Produktseite viel verbessert. Damit Kunden von diesen Möglichkeiten aber auch profitieren, müssen sie Altsysteme migrieren und unsere neue Plattform in der Cloud nutzen. Da ist noch ein Weg zu gehen, aber ich bin sehr zuversichtlich.

Blick auf die Aktie: „Die Investoren wollen sehen, dass wir liefern“

SAP durchläuft eine gigantische Transformation. So etwas läuft nie reibungslos ab – was bereitet Ihnen derzeit die größten Sorgen?
Die neue Strategie ist verstanden, da gibt es keine Diskussion mehr – auch nicht im Vorstand. Jetzt gilt es, die Dinge umzusetzen. Das braucht Zeit. Denn dabei müssen wir nicht nur unsere mehr als 100.000 Kolleginnen und Kollegen mitnehmen, sondern auch unsere Partner, welche unsere Kunden beraten und unsere Software einführen.

Was sind die wichtigsten Schritte?
Wir verändern zum Beispiel die Bonuspläne, wichtig sind Kundenerfolg und die Adaption unserer Lösungen. Wir arbeiten an einem neuen Trainingsprogramm, um das Know-how aus der Entwicklung besser in den Vertrieb zu kriegen. Und wir beschäftigen uns damit, wie wir Talente für die neuen Anforderungen bekommen.

Ihre Aktionäre haben Sie von dem Weg offenbar noch nicht so richtig überzeugt: Die Aktie hat zwar wieder zugelegt, allerdings hat sich SAP schlechter entwickelt als andere Softwarehersteller.
Wir gewinnen viele neue Investoren hinzu, die auf Wachstum und Kundenerfolg setzen, und genau da liegt unser Schwerpunkt. Aber das braucht Zeit. Die Investoren haben unsere Strategie verstanden, finden sie absolut richtig, aber sie wollen sehen, dass wir liefern. Das tun wir auch, aber das braucht das eine oder andere Quartal mehr.

Aber mit der Bewertung an der Börse können Sie nicht zufrieden sein.
Aus meiner Sicht müsste SAP komplett anders bewertet werden. Wenn man bei unserem Cloud-Geschäft die gleichen Maßstäbe wie bei unseren Wettbewerbern anlegen würde, hätten wir schon fast unsere aktuelle Marktkapitalisierung erreicht. Und im klassischen Geschäft haben wir eine riesige Kundenbasis. Hinzu kommt: Anders als viele Konkurrenten haben wir immer noch fast 30 Prozent Marge.

Die Profitabilität ist und bleibt allerdings ein sensibles Thema. Als sich Ihr Finanzchef Luka Mucic gegenüber Investoren vorsichtig zur Margenentwicklung äußerte, sank der Kurs deutlich.
Man sieht: Da ist noch ein bisschen Nervosität vorhanden. Unsere Geschäftszahlen liegen über den Erwartungen, wir haben die Prognose dieses Jahr dreimal erhöht. Und ich bin zuversichtlich: Nach einem Übergangsjahr wird ab 2023 neben dem Umsatz auch wieder der Gewinn steigen.

Werden Sie die Kosten senken, um die Profitabilität zu steigern?
Nein. Wir sind gerade in den Budgetverhandlungen – unsere Ausgaben für Forschung und Entwicklung werden weiter steigen. Aber je stärker wir wachsen, umso mehr Skaleneffekte haben wir. Größe ist in der Cloud entscheidend.
Warum haben Sie das neue Programm „Rise with SAP“ nicht gleich mit der Strategie angekündigt? Das hätte viele Anleger beruhigt.
Es hat Zeit gebraucht, mit dem neuen Team die Strategie zu entwerfen. Man geht mit so etwas nicht raus, wenn man noch nicht vollkommen überzeugt ist. Wir wollten erst mit Pilotprojekten testen, ob das bei den Kunden ankommt.

„Compliance: Da möchte ich Vorreiter sein“

Was die gute Stimmung trübt: Der „Spiegel“ berichtet, dass SAP in der Vergangenheit getrickst habe, um sich Wissen von Wettbewerbern anzueignen – und legt nahe, dass es heute noch passiert.
Ich bin immer offen für Kritik, und freie Berichterstattung ist wichtiger denn je. Aber ich bitte darum, bei den Fakten zu bleiben. Nehmen wir den Fall Teradata, der im Artikel erwähnt ist.

Der Datenbankhersteller hat SAP Urheberrechtsverletzungen vorgeworfen.
Genau. Ein Richter hat zu unseren Gunsten entschieden und die ursprünglichen Klagen von Teradata zu einem Großteil abgewiesen. Die verbleibenden Ansprüche sind ausgesetzt, solange ein Gericht nicht über eine mögliche Berufung von Teradata entschieden hat. Bis jetzt ist Teradata diesen Weg noch nicht gegangen. Beide Parteien sind übereingekommen, alle rechtlichen Streitigkeiten beizulegen, falls Teradata bei einer Berufung nicht erfolgreich wäre. Und wenn ich eines erwähnen darf: Das Urheberrecht ist ein sensibles Thema, das wir sehr ernst nehmen – aber Klagen gibt es in der Softwarebranche häufig.

Allerdings zitiert der „Spiegel“ auch einen internen Bericht von 2010, laut dem der damalige Vorstand Gerhard Oswald in mögliche Urheberrechtsverletzungen verstrickt war. Heute ist er im Aufsichtsrat. Wie kann das angehen?
Der Bericht ist aus dem Jahr 2010, damals war ich noch nicht im Vorstand. Daher kann ich mir kein Urteil bilden. Der Aufsichtsrat hat sich das damals aber sehr genau angeschaut. Aus heutiger Sicht kann ich sagen: Compliance ist ein wichtiges Thema für uns, wir beschäftigen uns damit viel, auch bei unseren Partnern.

Interview in Walldorf

SAP-Chef Christian Klein (M.) mit den Handelsblatt-Redakteuren Sebastian Matthes (l.) und Christof Kerkmann.


(Foto: Bert Bostelmann / bildfolio für Handelsblatt)

In den vergangenen Jahren hat es allerdings mehrere Compliance-Verstöße gegeben – es gab Korruption in Südafrika und Vorwürfe über Stimmenkauf bei der Aufsichtsratswahl 2012.
Ich persönlich habe in diesem Jahr die Verantwortung für die Compliance übernommen. Aus dem Fall in Südafrika haben wir bereits verschiedene Dinge abgeleitet und Maßnahmen getroffen, zum Beispiel bei den Bonusplänen. Es gibt einen regelmäßigen Austausch mit allen Führungskräften zu dem Thema, wir gehen alle Geschäftsbereiche durch und leiten konkrete Aktionen ab. Da möchte ich Vorreiter sein.

Persönliche Zwischenbilanz: „Am schwersten ist das Zeitmanagement“

Mit 39 Jahren waren Sie jüngster Chef im Dax. Haben Sie sich vorbereitet gefühlt auf das Amt?
Ich bin in meiner Karriere immer gut damit gefahren, dass ich mich darauf konzentriert habe, meinen Job bestmöglich zu tun. Natürlich überrollt einen so eine Berufung erst mal.

Wie genau?
Als Vorstand hat man einen Teilbereich, als Chef die Gesamtverantwortung. Das ist für mich der wesentliche Unterschied. Man hat plötzlich viel mehr Parteien, mit denen man umgehen muss, beispielsweise unsere Sozialpartner und Investoren. Und ich muss immer wieder nach außen gehen und mich inspirieren lassen.

Was ist daran am schwersten?
Am schwersten ist vielleicht das Thema Zeitmanagement – wie viel Zeit verbringe ich damit, nach innen zu wirken, wie viel nach außen? Und dann gibt es noch meine Familie.

Und wie geht es?
Ich habe mittlerweile zu vielen CEOs ein gutes Verhältnis und bin immer interessiert zu hören, wie die das machen. Da hole ich mir hin und wieder Rat, genauso wie von anderen Mentoren.

Der wichtigste Rat war?
In den ersten zwölf Monaten war es sehr wichtig, mich viel auf die interne Kommunikation zu konzentrieren. Als CEO ist es meine Aufgabe, zu erklären, warum wir machen, was wir machen, wie die Dinge zusammenkommen, wie wir sie umsetzen – und dafür zu sorgen, dass es bei allen 100.000 Kolleginnen und Kollegen ankommt. Mittlerweile bin ich daneben wieder mehr extern unterwegs, man kann ja auch hin und wieder reisen. Ich war erst kürzlich in den USA und habe mich mit Kunden und Partnern getroffen.

Apropos Familie: Wie lässt sich das mit dem Job vereinbaren?
Der Tag lässt sich manchmal schwer planen, aber wenn ich mal drei Stunden freiräumen und den Kleinen morgens in den Kindergarten bringen kann, mache ich das auch. Kürzlich war ich fünf Tage mit meiner Familie verreist. Es ist wichtig, die Balance zu halten. Aber ich gebe zu: Es ist natürlich nicht einfach.

Herr Klein, vielen Dank für das Gespräch.

Mehr: „Jeder soll programmieren können“: Warum SAP auf Code aus dem Baukasten setzt

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