Regeln für Gras auf Rezept sollen gelockert werden

Frankfurt Medizinisches Cannabis soll künftig nicht mehr als Betäubungsmittel verschrieben werden müssen. Das sieht der Referentenentwurf der neuen Cannabisgesetzgebung vom Bundesgesundheitsministerium vor. Damit können künftig alle Ärzte – außer Zahn- und Tierärzten – Cannabis zu medizinischen Zwecken verschreiben. Hintergrund ist eine geänderte Risikobewertung. Denn das geplante Cannabisgesetz ermöglicht in einem bestimmten Rahmen auch den Freizeitkonsum von Marihuana.

Die geplante Gesetzesänderung bei therapeutischem Cannabis lässt die Unternehmen der Branche, die Medizinalhanf importieren und vertreiben, auf eine stark wachsende Nachfrage hoffen. Bisher mussten Ärzte ein Betäubungsmittelrezept ausfüllen, wenn sie medizinisches Cannabis verordnen wollten.

„Für diese speziellen Rezepte gelten strenge Vorgaben und Dokumentationspflichten. Die Verschreibung als Betäubungsmittel stellt ein erhebliches Hemmnis dar“, sagt Jakob Sons, Mitgründer und Geschäftsführer von Cansativa. Diese Barrieren würden laut Gesetzentwurf künftig entfallen. „Wir gehen davon aus, dass es viele Ärzte gibt, die dann bereit sind, Cannabis als Medizin zu verschreiben“, sagt er.

Medizinisches Cannabis: Vierfache Zahl an Patienten erwartet

Der Markt für Medizinalcannabis in Deutschland beläuft sich derzeit auf rund 300 Millionen Euro gerechnet zu Abgabepreisen an die Patienten, schätzt Cansativa. Von gesetzlichen Krankenkassen wurden im vergangenen Jahr Verordnungen in Höhe von fast 200 Millionen Euro erstattet. Hinzu kommt ein großer Anteil an Selbstzahlern sowie Privatpatienten.

Die Cansativa-Gründer erwarten, dass sich dieser Markt mit Umsetzung des Gesetzes schon im nächsten Jahr verdoppeln könnte. In der zweiten Hälfte des Jahrzehnts halten sie sogar eine Verzehnfachung des Marktes im Vergleich zu 2022 möglich.

Auch die börsennotierte Cannabisfirma Cantourage sieht große Chancen für den Markt. Philip Schetter, CEO von Cantourage, beschreibt das Potenzial so: „Meiner Meinung nach könnten sich die Patientenzahlen in den nächsten Jahren verdreifachen oder vervierfachen“, sagt er.

In Ländern wie Kanada habe sich gezeigt, dass ein bis zwei Prozent der Bevölkerung medizinisches Cannabis nutzen. „Das würde für Deutschland heißen, dass die Zahl der Patienten von derzeit 250.000 bis 400.000 bis auf 1,6 Millionen wachsen könnte“, so Schetter.

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Finn Hänsel, CEO der Sanity Group, hält zwar auch eine Verdreifachung des Marktes für medizinisches Cannabis für möglich, will aber erst noch abwarten, ob der Entwurf auch in der vorgelegten Form Gesetz wird. „Denn wenn der Herausnahme von medizinischem Cannabis aus dem Betäubungsmittelgesetz auf der anderen Seite wieder Regelungen entgegengesetzt werden, die die Hürden für die Verschreibung anheben, würden sich die Markterwartungen wieder reduzieren“, sagt er. Derzeit wird der Referentenentwurf von Ländern und Verbänden begutachtet. Mitte August soll er ins Kabinett gebracht werden.

Cannabis-Legalisierung: Branche bislang enttäuscht von Ampelkoalition

Die vorsichtige Einschätzung Hänsels kommt nicht von ungefähr, denn die Legalisierung von Cannabis kommt nicht so schnell voran wie erwartet. Noch im Herbst hatte die Ampelkoalition verkündet, künftig die Abgabe von Cannabis für den Freizeitkonsum an Erwachsene über lizenzierte Fachgeschäfte ermöglichen zu wollen. Allerdings verstießen diese Legalisierungspläne gegen internationale Abkommen und EU-Recht, weswegen das Vorhaben deutlich abgeschwächt wurde.

Der jetzige Entwurf zur Legalisierung von Cannabis sieht die Möglichkeit für den Eigenanbau von drei Pflanzen und in speziellen Anbauvereinigungen, also gemeinschaftlichem Anbau in nichtkommerzieller Absicht, vor. Versand und Lieferung von Freizeitcannabis sind verboten. Mit der Bekanntgabe dieser Eckpunkte im April hatten sich die Hoffnungen vieler Cannabisanbieter auf ein Geschäft mit Freizeitcannabis zunächst einmal in Luft aufgelöst.

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Das lässt sich an den Börsenkursen ablesen: Die Cannovum Cannabis AG etwa hat seit April mehr als 80 Prozent ihres Werts verloren. Die Kurse sackten zeitweise auf 0,52 Euro ab und damit unter den Nominalwert der Aktie. Das Unternehmen plant nun im Anschluss an die Hauptversammlung im August eine Kapitalherabsetzung im Verhältnis 5:1. Es hat sein Geschäft mit medizinischem Cannabis ausgelagert und ist nur noch mit 25 Prozent beteiligt.

Die ebenfalls börsennotierte Synbiotic AG wiederum hatte noch im März zusammen mit der Gastronomiegruppe Enchilada Pläne für eine bundesweite Franchisekette vorgestellt, die Cannabisprodukte verkaufen sollte. Daraus wird nun in absehbarer Zeit nichts. Synbiotic-Chef Lars Müller überlegt nun, ob das Unternehmen ein Shopkonzept mit Produkten für den Eigenanbau von Cannabis aufziehen soll. Der Aktienkurs von Synbiotic hat binnen Jahresfrist rund zwei Drittel an Wert verloren.

Cannabis: Kaum Investitionen in Start-ups

Auch nicht börsennotierte Medizinal-Cannabisfirmen wie die Sanity Group oder Cansativa hatten sich im Zuge des Legalisierungshypes schon mit Plänen für Freizeitcannabis-Geschäften beschäftigt und sind nun wieder zurückgerudert. Benedikt Sons, Mitgründer und Geschäftsführer von Cansativa: „Wir haben unsere geplanten Aktivitäten in Richtung Freizeitcannabis erst einmal auf Eis gelegt. Wir konzentrieren uns auf Medizinalcannabis.“

Sons sieht das Unternehmen finanziell solide aufgestellt, das Geschäft trage sich zurzeit selbst. Zudem steht noch Geld aus den vergangenen Finanzierungsrunden zur Verfügung. „Das ist ein Vorteil, denn es ist derzeit schwierig, neues Kapital einzusammeln“, sagt er.

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Investoren hatten sich übrigens nur wenig vom Hype um Freizeitcannabis anstecken lassen, zeigt eine Auswertung vom Finanzierungsspezialisten FCF aus München. Trotz Legalisierungsplänen der Bundesregierung sind 2022 gerade mal fünf Wagniskapitaltransaktionen öffentlich geworden, in diesem Jahr bisher nur eine.

Cannabis-Legalisierung: Pläne scheinen Investoren noch zu unsicher

Mathias Klozenbücher, Managing Director für den Bereich Life Science bei FCF, sieht dafür verschiedene Gründe. „Zum einen agieren Kapitalgeber im Zuge der wirtschaftlichen Unsicherheiten insgesamt zurückhaltender. Zum anderen scheinen den Investoren die Pläne zur Legalisierung in Deutschland noch zu unsicher gewesen zu sein“, sagt er. Denn die Investments konzentrieren sich auf Unternehmen, die bereits ein Standbein im Geschäft mit Medizinalcannabis haben.

Die drei größten Deals der letzten Jahre mit zusammen rund 100 Millionen Euro konnte sich die Sanity-Group sichern. Andere zweistellige Runden entfallen auf etablierte Unternehmen wie Cannamedical, Cansativa und Demecan. „Reine auf Freizeitkonsum ausgerichtete Unternehmen spielen bei den Investments bisher keine Rolle“, sagt Klozenbücher.

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