Nur vier Prozent der Beschäftigten verlangen Auskunft

Familienministerin Lisa Paus (in Weiß) bei einem Frühstück mit Unternehmerinnen

„Wir müssen das Entgelttransparenzgesetz und seine Instrumente weiterentwickeln, damit sich endlich mehr bewegt – insbesondere für Frauen.“

(Foto: IMAGO/photothek)

Berlin Es galt als große Hoffnung auf dem Weg zu mehr Lohngleichheit zwischen Männern und Frauen: das Entgelttransparenzgesetz. Doch diese Hoffnung hat sich nicht erfüllt, zeigt der zweite Evaluationsbericht zum Gesetz, den das Bundeskabinett am Mittwoch verabschiedet hat.

So haben bisher nur vier Prozent der Beschäftigten von ihren Arbeitgebern Auskunft verlangt, wie viel vergleichbare Arbeitnehmer des anderen Geschlechts verdienen. Auch sind die Instrumente des Gesetzes nur wenig bekannt.

„Wir müssen das Entgelttransparenzgesetz und seine Instrumente weiterentwickeln, damit sich endlich mehr bewegt – insbesondere für Frauen“, sagte Familienministerin Lisa Paus (Grüne).

Der Bruttostundenverdienst von Frauen in Deutschland lag im vergangenen Jahr laut Statistischem Bundesamt durchschnittlich 18 Prozent unter dem der Männer. Dieser sogenannte Gender-Pay-Gap hat sich seit 2016 leicht verkleinert, ist aber vom Ziel der Bundesregierung, ihn bis 2030 auf zehn Prozent zu senken, noch weit entfernt.

Rechnet man strukturelle Faktoren wie die Qualifikation, die Berufswahl, den Beschäftigungsumfang oder unterschiedliche Karriereverläufe heraus, verbleibt zwischen den Geschlechtern eine bereinigte Lohnlücke von sieben Prozent.

30 Prozent der Betriebe überprüften freiwillig ihre Entgeltstrukturen

Die Große Koalition hatte deshalb das von der damaligen Familienministerin Manuela Schwesig (SPD) vorangetriebene Entgelttransparenzgesetz beschlossen, das Mitte 2017 in Kraft getreten ist. Die Hoffnung: Wenn Frauen wissen, was ihre männlichen Kollegen verdienen, können sie sich besser gegen eine eventuelle Ungleichbehandlung zur Wehr setzen.

Dazu wurde in Betrieben und Dienststellen des öffentlichen Dienstes mit mehr als 200 Beschäftigten ein individuelles Auskunftsrecht eingeführt. Beschäftigte können den Durchschnittsverdienst einer Gruppe des anderen Geschlechts in vergleichbarer Tätigkeit erfragen.

Diesen Auskunftsanspruch haben aber seit der ersten Evaluation des Gesetzes im Jahr 2019 bis zum vergangenen Jahr nur vier Prozent der berechtigten Beschäftigten in Anspruch genommen.

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Die niedrige Quote hat laut Evaluationsbericht damit zu tun, dass zwei Drittel der Beschäftigten ihre Rechte nicht kennen. Unter dem verbleibenden Drittel sehen manche keinen Mehrwert in einer Auskunft oder sie fürchten berufliche Nachteile, wenn sie eine Anfrage stellen.

Unternehmen erfüllen Quoten nicht

Für die Untersuchung hat das Institut für Angewandte Wirtschaftsforschung (IAW) der Universität Tübingen von August bis Oktober vergangenen Jahres 2332 Beschäftigte, 1085 Betriebe und 1108 Dienststellen sowie 567 Betriebs- und 309 Personalräte befragt.

Außerdem sind privatwirtschaftliche Arbeitgeber mit mehr als 500 Beschäftigten nach dem Gesetz aufgefordert, auf freiwilliger Basis ihre Entgeltstrukturen auf eventuelle Ungleichheiten zu überprüfen. Dies haben im Berichtszeitraum 30 Prozent der betreffenden Unternehmen getan.

Unternehmen mit mehr als 500 Beschäftigten, die einen Lagebericht abgeben müssen, sind darüber hinaus verpflichtet, regelmäßig über Gleichstellung und Entgeltgleichheit zu informieren. Auch hier liegen die Quoten hinter den Erwartungen der Regierung.

Die Gutachter fanden heraus, dass nur die Hälfte der Beschäftigten das Entgeltgleichheitsgebot kennt – also das Gebot, Männer und Frauen für die gleiche Arbeit auch gleich zu bezahlen. Noch weniger Beschäftigte kennen das Entgelttransparenzgesetz.

Arbeitgeber warnen vor „Symbolpolitik“, DGB hält Weiterentwicklung des Gesetzes für „unumgänglich“

Um es schlagkräftiger zu machen, wollen SPD, Grüne und FDP das Gesetz weiterentwickeln. Im Koalitionsvertrag haben sie vereinbart, dass künftig auch Gewerkschaften oder Verbände individuelle Rechte von Beschäftigten vor Gericht geltend machen können sollen.

Bei der Novelle will die Bundesregierung zudem die im Juni 2023 in Kraft getretene EU-Entgelttransparenzrichtlinie berücksichtigen, die bis Juni 2026 in nationales Recht umgesetzt werden muss. Die Richtline geht über die deutschen Vorschriften hinaus, sie sieht beispielsweise neue Berichtspflichten schon für Unternehmen mit mindestens 100 Beschäftigten vor.

Der Evaluationsbericht enthält auch Stellungnahmen der Sozialpartner, die die unterschiedliche Sichtweise von Arbeitgebern und Gewerkschaften auf das Thema Entgelttransparenz deutlich machen.

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Dass der Auskunftsanspruch nur so selten eingelöst werde, belege, dass das Entgeltgleichheitsgebot in den Betrieben eingehalten werde, schreibt die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA). Statt „Symbolpolitik“ zu betreiben, solle die Bundesregierung lieber die Erwerbs- und Karrierechancen von Frauen verbessen.

Der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) hält dagegen eine Weiterentwicklung des Gesetzes für „unumgänglich“. Die jüngst verabschiedete EU-Entgelttransparenzrichtlinie sei dabei „ein Glücksfall“, denn ihre Vorgaben seien so weitgehend, „dass die Bekämpfung der Entgeltlücke auf betrieblicher Ebene realistisch erscheint“, heißt es in der DGB-Stellungnahme.

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