Mercedes-Chef Ola Källenius im Interview: „Wir erhöhen den Einsatz“

Wien Der Stuttgarter Autobauer Mercedes-Benz will noch mehr Geld in die Entwicklung und Produktion von Elektroautos investieren. „Wir erhöhen den Einsatz“, sagt Vorstandschef Ola Källenius im Handelsblatt-Interview.

Der schwedisch-deutsche Manager reagiert damit auf den lahmenden Absatz batterieelektrischer Modelle mit Stern. Im weltgrößten Markt China konnten die Stuttgarter von Januar bis Mai nur 6900 Stromer verkaufen, in Deutschland sinken die Bestellungen.

Weltweit sind neun von zehn Neuwagen bei Mercedes nach wie vor Verbrenner. Bis 2030 wollen die Schwaben zwar möglichst nur noch reine Elektroautos verkaufen. Doch das Geschäft mit den Stromkarossen läuft zäher als erwartet. Källenius musste bereits ein Zwischenziel seiner „Electric only“-Strategie kassieren. Demnach dürften reine Elektroautos und Plug-in-Hybride nicht 2025, sondern erst 2026 die Hälfte des Fahrzeugabsatzes ausmachen. An dem Plan hält Källenius aber weiter fest.

Der Grund: „Irgendwann im Laufe dieses Jahrzehnts dreht der Markt. Dann werden wir ein exponentielles Wachstum bei Elektroautos sehen“, erklärt der 54-Jährige. Und für alle, die dann keine konkurrenzfähigen Fahrzeuge im Angebot hätten, könne es „gefährlich“ werden. Källenius will daher das bisherige Budget für die Antriebswende von 40 Milliarden Euro im Zweifel aufstocken und ohnedies geplante Ausgaben vorziehen. Details nannte er nicht.

Die gesunkene Kaufkraft, gekappte Subventionen und steigende Zinsen dämpfen derzeit die Nachfrage nach Elektroautos. Hersteller wie Tesla oder Volkswagen versuchen, mit Preiskürzungen dennoch Kunden zu überzeugen. Källenius lehnt große Rabatte dagegen kategorisch ab. „Wir bleiben standhaft.“

Lesen Sie hier das ganze Interview mit Mercedes-CEO Ola Källenius:

Herr Källenius, die Nachfrage nach Elektroautos flaut ab. In Deutschland brechen die Aufträge ein. Ist Ihr Ziel, den Elektroanteil am Absatz von aktuell elf auf bis zu hundert Prozent bis Ende des Jahrzehnts zu steigern, zu ambitioniert?
Wir sind ja jetzt erst mal im Jahr 2023 und noch nicht im Jahr 2030. Im letzten Halbjahr sind wir erneut um mehr als hundert Prozent mit unseren Elektroautos gewachsen. Unter den etablierten Herstellern zählen wir mit unseren E-Fahrzeugen zu den führenden Anbietern. Vor allem in Europa und den USA stehen wir hervorragend da. Gleichzeitig ist klar: Die Transformation ist ein Marathon, und da sind wir heute erst bei Kilometer acht oder neun.

In Ihrem wichtigsten Markt China liegen Sie weit hinter Wettbewerbern.
Im Luxussegment sind wir die Nummer eins auf dem chinesischen Automarkt. Das ist eine gute Grundlage. Tatsächlich erfolgt der Elektrohochlauf in China bislang vor allem im günstigen Einstiegs- und Volumenmarkt. In dem Segment, in dem wir unterwegs sind, fehlt es noch an Dynamik.

Ola Källenius auf der Automesse in Shanghai

„Im Luxussegment sind wir die Nummer eins auf dem chinesischen Automarkt.“

(Foto: Bloomberg)

Ihre Konkurrenten senken daher die Fahrzeugpreise.
Es ist richtig, dass das Umfeld insgesamt härter wird, die Zentralbanken erhöhen die Zinsen, die Weltwirtschaft kühlt ab. Von dieser Entwicklung können wir uns nicht abkoppeln. Wir sind jedoch nicht bereit, beim ersten Gegenwind umzufallen, um kurzfristig mehr Autos zu verkaufen. Wir bleiben standhaft. Aktuell benötigen wir etwas taktische Geduld, ändern aber nicht unser strategisches Ziel.

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Sie reagieren also erst einmal gar nicht auf die geänderte Marktlage?
Im Gegenteil: Wir erhöhen den Einsatz und ziehen Investitionen in die Elektromobilität im Zweifel sogar vor oder weiten diese aus.

„Wir werden ein exponentielles Wachstum bei Elektroautos sehen“

Das wären dann mehr als die bislang veranschlagten 40 Milliarden Euro, die Sie in die Elektromobilität investieren wollen. Warum also mehr Einsatz?
Das Ziel ist klar: „zero emission“ – wir werden klimaneutral. Ob wir 2030, 2033 oder 2035 unseren letzten Verbrenner verkaufen, lässt sich zwar nicht genau vorhersagen, denn das entscheiden unsere Kunden. Wir erwarten aber: Irgendwann im Laufe dieses Jahrzehnts dreht der Markt. Dann werden wir ein exponentielles Wachstum bei Elektroautos sehen. Und für alle, die dann nicht bereit sind und die richtigen Produkte parat haben, kann es gefährlich werden. Wir bringen daher ab Ende 2024 auf der Basis unserer nächsten E-Plattformen eine massive Produktoffensive.

Ihre Strategie, alles unter Strom zu setzen, funktioniert doch nur, wenn der E-Wandel rasch erfolgt. Je länger Sie auch Diesel, Benziner und Plug-in-Hybride mitschleppen müssen, desto mehr leidet Ihre Marge unter der hohen Komplexität.
Nein, das ist kein großes Problem. Wir müssen ja keine neuen Motorenwerke mehr bauen, das Geld ist längst investiert. Und in unseren Pkw- und Van-Fabriken können wir schon heute flexibel alle Fahrzeuge nebeneinander produzieren, unabhängig vom Antrieb. Teil unseres Businessplans ist zudem, dass wir alle wesentlichen Verbrennungsmotoren noch fit für die nächste Emissionsstufe in Europa, Nordamerika und Asien machen. Danach wird der Mitteleinsatz reduziert. Wir haben also die Möglichkeit, auf jede Nachfrage im Markt zu reagieren, obwohl ab 2025 alle neuen Plattformen bei uns vollelektrisch sein werden.

Dennoch: Was ist Ihr Plan B, wenn der Verbrenner auch 2030 noch in großen Stückzahlen nachgefragt wird?
Nehmen Sie die neue E-Klasse als Beispiel. Wir müssen unsere Business-Limousine doch nicht sklavisch nach dem üblichen Lebenszyklus von sieben Jahren vom Markt nehmen. Wir könnten diese und andere Baureihen mit Hightech-Verbrennern und Hybriden auch noch mal technologisch auffrischen, falls die Nachfrage auch über 2030 hinaus noch groß sein sollte.

Sie tun so, als würde eine derartige Modellpflege nichts kosten.
Der Aufwand ist tatsächlich vergleichsweise gering. Wir brauchen weder neue Motoren noch eine neue Plattform für die Verbrenner. Das sind sonst die beiden teuersten Elemente. Alles andere, also die elektrisch-elektronische Architektur, das Betriebssystem und die Fahrerassistenzsysteme, entwickeln wir so oder so für die Elektroautos weiter. Insofern mache ich mir hier ökonomisch wenig Sorgen.

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Einige Ihrer Händler hegen Zweifel an Ihrer Elektro- und Luxusstrategie. Die Mercedes-Vertreter in Deutschland fürchten, Sie könnten das Geschäft hierzulande infolge immer neuer Preisaufschläge mit „Vollgas gegen die Wand“ steuern. Was entgegnen Sie?
Wir sprechen oft und intensiv mit unseren Händlern. Auch in deren Sinne gilt: Ein Sommerschlussverkauf passt einfach nicht zu einer begehrenswerten Marke wie Mercedes. Wir müssen auch keine Kanäle für Zusatzvolumina bedienen, bei denen die Renditen nicht markenadäquat sind.

„Ein Mercedes bietet mehr als ein Durchschnittsauto und kostet daher auch ein bisschen mehr“

Mercedes-Neuwagen haben sich in den vergangenen Jahren stark verteuert. Überziehen Sie nicht langsam mit den Preisen?
Für viele Produkte haben sich die Preise in den letzten Jahren deutlich stärker erhöht – von Urlaubsreisen bis zum Würfelzucker. Zudem ist der Durchschnittspreis bei Mercedes besonders dadurch gestiegen, dass unsere Kunden vermehrt größere und besser ausgestattete Modelle kaufen. Grundsätzlich gilt: Ein Mercedes bietet mehr als ein Durchschnittsauto und kostet daher auch ein bisschen mehr. Aber man darf nicht übertreiben.

In China und in Deutschland klagen einige Händler über schlechte Material- und Verarbeitungsqualität, etwa bei der C-Klasse. Mercedes gilt zudem als Rückruf-Europameister. Wie passt das zu Ihrem Luxusversprechen?
Fakt ist: Die Anzahl unserer Rückrufe sinkt seit drei Jahren deutlich, ebenso die Gewährleistungsansprüche. Wir sammeln auf der ganzen Welt Daten zur Qualität unserer Fahrzeuge, auch da geht der Trend in die richtige Richtung. Qualität ist die Priorität Nummer eins bei Mercedes. Da gibt es keine Abstriche. Natürlich sind wir nie zufrieden und streben möglichst gar keine Fehler an. Im Zweifel agieren wir aber proaktiv im Interesse der Kunden und machen lieber einen Rückruf mehr als andere, damit auch kleinere Unregelmäßigkeiten konsequent behoben werden.

Elektroauto bei Mercedes in Sindelfingen

Doch das Geschäft mit der Elektromobilität läuft zäher als erwartet.

(Foto: Mercedes-Benz AG)

Lassen Sie uns über Ihre Fahrzeugsoftware sprechen. Auffällig an Ihren Baureihen sind die immer größeren Bildschirme. Sind Apps wie Tiktok oder Angry Birds dafür wirklich die besten Inhalte?
Gerade bei der Integration von Tiktok war die Reaktion in vielen Märkten extrem positiv. Aber das ist ja nur ein Bruchteil unseres Infotainmentangebots. Über die Plattform von Zync kann jeder schon heute topaktuelle Filme und Serien im Auto streamen. Wir bieten nahezu alle Musikdienste an. Gerade der Beifahrer hat auch während der Fahrt allerhand Entertainmentoptionen. Businesskunden können sich zu Videokonferenzen aus dem Auto zuschalten. Da gibt es keinerlei Restriktionen.

Sie bieten anders als etwa Tesla keinerlei Blockbuster-Spiele an, nur Microgames. In China fehlt zudem die beliebte Karaoke-Option im Auto.
Das haben wir jetzt mit der neuen E-Klasse bereits geändert: Da kann man dann auf jeden Fall in der Langversion in China Karaoke singen. Und von unseren Kunden wissen wir, dass gerade „casual games“ im Auto besonders gefragt sind. Aber da kommt selbstverständlich noch mehr.

In puncto Entertainment bieten unsere Autos zum Beispiel mit Dolby Atmos schon besseren Sound als das eigene Wohnzimmer. Wir werden von jetzt an in jedem Mercedes-Neuwagen das ganze Cockpit digitalisieren. Alle Autos, von kompakt bis sehr groß, bekommen zumindest optional einen Super- oder Hyperscreen. Das wird zum Standard.

Bei der Navigation und anderen Inhalten paktieren Sie mit mittlerweile mit Google. Wird die Kooperation mit dem Tech-Konzern vertieft?
Wir glauben, dass wir gemeinsam sehr gute Anwendungen entwickeln können, etwa indem wir Karten, Navigation und Fahrerassistenzsysteme clever miteinander verschmelzen. Das ist sehr komplex und bedarf daher noch einiger Jahre an Arbeit. Das wird in der nächsten Generation unserer mittelgroßen und großen Fahrzeuge kommen.

„Welchen Content von Apple wir im Auto umsetzen, entscheiden wir allein“

Der iPhone-Hersteller Apple will mit Carplay 2.0 bald eine komplette Benutzeroberfläche rein im Apple-Design ins Auto bringen. Mercedes wurde zunächst als einer von 14 Partner genannt. Sind Sie wirklich dabei?
Wir arbeiten mit Apple seit Langem intensiv zusammen. Deswegen haben wir gesagt, wir beteiligen uns gerne an der Diskussion. Welchen Content von Apple wir im Auto umsetzen, entscheiden aber wir allein. Ganz unabhängig vom Anbieter gilt: Wir übertragen unser Cockpit mitsamt Anzeige- und Instrumentencluster nicht an eine Fremdfirma. Wir bleiben der Architekt unserer eigenen, digitalen Infrastruktur und des User-Interfaces. Wir geben den Marktplatz nicht ab.

Dann riskieren Sie aber, dass die Infotainmentsoftware in einem Massenauto mit Apple-Cockpit womöglich besser sein wird als jene in einem Luxusfabrikat von Mercedes, oder?
Das glauben wir nicht. Es geht bei Softwareanwendungen immer um eine Kombination aus Funktion und Ästhetik. Nehmen Sie den Bereich des automatisierten und autonomen Fahrens. Da öffnet sich eine ganz neue Welt, die man auch grafisch abbilden muss.

Ein anderes Beispiel ist die Verknüpfung aus Navigation und intelligentem Lademanagement. Um das zu bewerkstelligen, müssten die Tech-Konzerne eine Tiefenintegration in allen Fahrzeugdimensionen leisten. Das sehen wir nicht. Zudem spielen US-Tech-Konzerne in wichtigen Märkten wie China keine Rolle. Es wäre also auch aus Kundensicht ein Irrweg, sich hier an einen Provider zu binden.

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Softwareentwicklung lebt von Skaleneffekten. Mercedes verkauft jährlich nur zwei Millionen Pkw. Wie wollen Sie gegen weit größere Wettbewerber und Digitalriesen bestehen?
Wir haben bereits zehn Millionen vernetzte Fahrzeuge auf der Straße, die Flotte wächst täglich. So klein sind wir wahrlich nicht. Zudem sind wir der festen Überzeugung, dass ein Autohersteller sein Hirn und zentrales Nervensystem selbst beherrschen muss. Start-ups machen das ja auch so – übrigens meist mit deutlich kleineren Volumina. Und trotz des Entwicklungsaufwands für unsere eigene Chip-to-Cloud-Architektur MB.OS sind unsere Fixkosten in dem Bereich in etwa gleich geblieben.

Für MB.OS haben Sie jährlich bis zu zwei Milliarden Euro budgetiert. Dabei dürften vor allem Ihre Cloud-Kosten infolge von mehr und mehr Vernetzung und Software-Updates steigen. Wie soll sich das rechnen?
Unsere Nettorechnung ist positiv. Im Vergleich zu einigen Wettbewerbern haben wir das eher zurückhaltende Ziel formuliert, bis Ende der Dekade einen hohen einstelligen Milliardenbetrag mit digitalen Erlösen zu erwirtschaften. Heute stehen wir bei etwa einer Milliarde. Das heißt: Das Hardwaregeschäft, also der Verkauf von Autos, bleibt unser Kern.

Zugleich wächst unser Umsatz mit digitalen Diensten von Monat zu Monat. Das geht schon seit zwei Jahren so. Der Betrag ist noch nicht so signifikant, dass wir eine Ad-hoc-Meldung aussenden müssten, aber es geht voran.

Ola Källenius im Interview: „Die Kosten der Lidar-Lasertechnik sind noch zu hoch“

Der größte Erlöstreiber sollen künftig Upgrades bei Fahrerassistenzsystemen sein.
Exakt, da sehen wir viel Potenzial und statten künftig jeden Neuwagen mit einem großen Sensorset und einem Supercomputer aus.

Lidare zur Distanzmessung verbauen Sie jedoch nicht durchwegs. Das schließt Upgrades zu den höheren Stufen des autonomen Fahrens aus, also Level 3 und Level 4, bei denen die Technik teils oder ganz das Steuern übernimmt.
Die Kosten der Lidar-Lasertechnik sind noch zu hoch, um sie in jedem Auto vorzuhalten. Ab Werk können Sie das Paket aber natürlich buchen. Zudem gibt es eine ganze Reihe von anderen Fahrerassistenzanwendungen, die rückwärtskompatibel geflasht werden können.

Sie experimentieren in den USA gerade mit ChatGPT im Auto. Wie lautet Ihr erstes Fazit?
Der erste Test in den USA hat gezeigt, dass sich die Nutzungshäufigkeit unseres Infotainmentsystems MBUX bei den Autos mit ChatGPT fast verdoppelt hat im Vergleich zu jenen ohne ChatGPT.

Was ist dabei das Ziel?
Wir wollen generative Künstliche Intelligenz mit relevanten Autodaten trainieren. Perspektivisch soll die KI in unseren Autos so gut sein wie „Jarvis“ in den „Iron Man“-Filmen.

Sie träumen also von einer Art persönlichem KI-Butler?
Uns geht es jedenfalls darum, die natürliche Spracherkennung im Auto auf ein völlig neues Level zu heben.

Herr Källenius, vielen Dank für das Interview.

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