Kommt das Kino noch aus der Krise?

Düsseldorf Die Kinos in Deutschland machen noch immer schlechtere Geschäfte als vor der Pandemie, obwohl es keine Covid-Beschränkungen mehr gibt und viele Topfilme laufen – im ersten Halbjahr „Avatar: The Way of Water“ und „Super Mario Bros.“, aktuell „Barbie“ und „Oppenheimer“.

In den ersten sechs Monaten des laufenden Jahres verkauften die Kinos mit 45,2 Millionen Tickets 36,2 Prozent mehr als im Vorjahreszeitraum, in dem es noch Einschränkungen gab. Allerdings liegen die Ticketverkäufe damit immer noch 15,7 Prozent unter denen der ersten Jahreshälfte 2019. Die Umsätze lagen 1,4 Prozent unter dem Vorkrisenniveau. Das zeigten am Donnerstag veröffentlichte Zahlen der Filmförderungsanstalt (FFA).

„Wir sehen einen Trend hin zum vorpandemischen Niveau und eine neue Lust auf Kinobesuche“, sagte FFA-Marktforscherin Norina Lin-Hi dem Handelsblatt. „Doch es wird sehr schwer werden, wieder dauerhaft die früheren Umsatz- und Ticketzahlen zu erreichen oder zu halten.“

Wegen steigender Lebenshaltungskosten müssen Verbraucher sparen – mitunter auch am Kinobesuch, der auch mit anderen Freizeitangeboten wie Vergnügungsparks oder Spielekonsolen konkurriert. Mit anderen Konkurrenten kämpfen die Kinobetreiber seit Jahren. Streaminganbieter wie Netflix machten den Betreibern schon vor Corona Kunden streitig.

Während der Pandemie mussten Kinos schließen und waren trotz Lockerungen nicht so attraktiv, weil Besucher Masken tragen mussten. Als die Beschränkungen ausliefen, suchten viele Menschen Kontakt in Restaurants und Bars oder fuhren in Urlaub – und wollten nicht unkommunikativ in Kinosälen sitzen.

Inzwischen kehren die Zuschauer in die Kinos zurück, doch den Betreibern drohen neue Probleme: die Doppelstreiks von Drehbuchautoren und Schauspielern in Hollywood. Die Fronten zwischen Gewerkschaften und Studios sind weiter verhärtet. Das bringt Kinoproduktionen ins Stocken. So soll die „Ghostbusters“-Fortsetzung erst im nächsten statt in diesem Jahr in die Kinos kommen, auch der Trilogie-Abschluss von „Spider-Man“ läuft nicht wie geplant ab Frühjahr 2024.

Blockbuster wie „Oppenheimer“ oder „Barbie“ werden immer wichtiger

Kommt das Kino noch aus der Dauerkrise? Richard Gelfond, Chef des kanadischen Kinobetreibers Imax, ist im Gespräch mit dem Handelsblatt vorsichtig optimistisch: „Die Branche ist auf dem Weg der Besserung, auch wenn sie sich noch nicht komplett von der Pandemie erholt hat.“ Im ersten Halbjahr 2023 steigerte Imax seinen Gewinn im Vergleich zum Vorjahreszeitraum um 49 Prozent. Das erste Quartal war für die 1967 gegründete Firma an den Kinokassen gar das beste ihrer Geschichte.

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Imax betreibt mehr als 1800 Premiumkinos in knapp 90 Ländern. Das Unternehmen will die Erfahrung für den Zuschauer durch riesige Leinwände und eigens dafür konzipierte Kameras so immersiv wie möglich gestalten. Die Firma profitiert so besonders vom Hype um den zweiten Teil der „Avatar“-Reihe und „Oppenheimer“. Beide Filme wurden mit Imax-Technik gedreht.

Imax-Chef Gelfond sagt: Jeder habe eine Küche zu Hause und gehe trotzdem ins Restaurant, weil es eine komplett andere Erfahrung sei, ein gemeinschaftliches Erlebnis. Das gelte wegen der Bild- und Tontechnik auch für den Kinobesuch. „Menschen wollen gerade Blockbuster-Filme auf bestmögliche Weise sehen – und gehen dafür ins Kino.“

Besonders Topfilme sind für die Branche momentan wichtig. Über 50 Prozent der verkauften Tickets entfielen laut FFA zuletzt auf die zehn meistgesehenen Filme. Vor der Pandemie waren es unter 40 Prozent. „Blockbuster locken gerade jene Leute an, die nur selten im Kino sind“, sagt Branchenkennerin Lin-Hi.

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Pandemiebedingt gab es zu Beginn des vergangenen Jahres jedoch kaum Neuerscheinungen. „Das Filmangebot ist dieses Jahr deutlich besser – fast jede zweite Woche gibt es einen neuen Blockbuster“, sagt Imax-Chef Gelfond. Besonders viele Tickets wurden in der ersten Jahreshälfte für die Filme „Avatar“ (5,7 Millionen) und „Super Mario Bros.“ (fünf Millionen) verkauft. Insgesamt kam der im Dezember 2022 angelaufene „Avatar“ auf über zehn Millionen Besucher.

Zu den besten Filmstarts des Jahres könnten die aktuellen Kassenschlager „Barbie“ und „Oppenheimer“ werden. Seit deren Kinostarts am 20. Juli zählen sie 4,5 bzw. drei Millionen Besucher.

Kinotickets sind um 17 Prozent teurer geworden

Deutsche Produktionen zogen im ersten Halbjahr 5,2 Prozent weniger Zuschauer an als vor Corona – und gingen damit weniger stark zurück als der Gesamtmarkt. „John Wick: Kapitel 4“ war mit 1,7 Millionen verkauften Tickets der erfolgreichste Film mit deutscher Produktionsbeteiligung, erreichte insgesamt Rang vier. „Wir sehen ein Wiederaufleben lokalsprachlicher Inhalte“, beobachtet auch Imax-Chef Gelfond.

Szene aus dem Film „Avatar: The Way of Water“

Der Disney-Film lockte im ersten Halbjahr 2023 die meisten Besucher an.

(Foto: AP)

Der Kinobesuch ist deutlich kostspieliger geworden: Im Schnitt kostete ein Ticket im ersten Halbjahr 10,06 Euro – 17 Prozent mehr als vor Corona. Getrieben wurde diese Statistik zwar auch durch den Film „Avatar“, bei dem die Kinos für die 3D-Darstellung und die längere Laufzeit höhere Preise aufriefen. Allerdings kämpfen die Kinobetreiber auch allgemein mit steigenden Kosten für Energie und wegen der Mindestlohnanhebung mit höheren Personalausgaben.

Für die Betreiber ist das ein schmaler Grat. Sie dürfen die Preise nicht zu stark anheben, um die Besucher nicht gleich wieder zu verschrecken. Imax-Chef Gelfond hält Kinokarten noch immer für kostengünstig. Dabei sind Tickets für seine Premiumhäuser 30 bis 50 Prozent teurer als bei der Konkurrenz. „Ein Kinobesuch versetzt Besucher in eine völlig andere Welt – und kostet nur einen Bruchteil eines Konzertbesuchs oder Stadiontickets.“

Kinosterben in Deutschland ist ausgeblieben

Gelfond will in Deutschland stark expandieren. Hierzulande hat Imax nur zehn Kinos, darunter in Leonberg bei Stuttgart die größte Imax-Kinoleinwand der Welt. In den nächsten fünf Jahren könnten es 50 werden, kündigte Gelfond an. Das Geschäft in Deutschland sei sehr profitabel.

Kinosaal

Die Kinos in Deutschland machen noch immer schlechtere Geschäfte als vor der Pandemie.

(Foto: The Image Bank/Getty Images)

Der 69-jährige Gelfond scheint an die Zukunft der Kinos zu glauben: „Ich habe schon viele Hochs und Tiefs erlebt und sogar Nachrufe auf Kinos gelesen. Doch Kinos werden noch lange Zeit nach meinem Tod existieren.“ Tatsächlich ist ein Kinosterben ausgeblieben – auch wenn die finanzielle Lage für kleinere Betreiber schwieriger wird. So gibt es hierzulande 1216 Kinounternehmen, kaum weniger als 2019.

Um ein größeres Publikum zu erreichen, müssten Kinos allerdings mehr Marketing für ihr eigenes Programm betreiben, rät Branchenkennerin Lin-Hi. „Viele Menschen wissen überhaupt nicht, welche Filme gerade im Kino laufen.“ Zudem brauche es mehr Aktionen, um preisliche Barrieren zu senken. So werden im Rahmen des bundesweiten Kinofests am 9. und 10. September in teilnehmenden Kinos alle Filme zum Preis von fünf Euro gezeigt.

Ausgerechnet die konkurrierenden Streamingdienste könnten Kinobetreibern zusätzlich helfen. So veröffentlichte Disney während der Pandemie neue Filme notgedrungen direkt auf seinem Videodienst – für die Filmpremieren mussten die Nutzer allerdings draufzahlen. Nach der Wiedereröffnung der Kinos bringen Disney und andere Studios ihre Filme nun zuerst wieder exklusiv im Kino. Viele Streamingnutzer waren nicht bereit gewesen, Extragebühren für einen Blockbuster zu zahlen.

Neue Filme erst exklusiv ins Kino und später auf die Streamingdienste zu bringen scheint sich auszuzahlen. So war „Top Gun: Maverick“ 2022 sowohl der erfolgreichste Kinohit als auch der meistgestreamte Film des Jahres. Imax-Chef Gelfond sagt: „Ein richtiges popkulturelles Phänomen wird ein Film nur, wenn er auch im Kino läuft.“

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