Journalismus oder Propaganda? Milliardäre kaufen Frankreichs Zeitungen

Paris 40 Tage lang streikte die Redaktion des „Journal du Dimanche“ (JDD), Frankreichs bekanntester Sonntagszeitung. Der Arbeitskampf richtete sich gegen den neuen Chefredakteur Geoffroy Lejeune, der zuvor das politisch am rechten Rand stehende Magazin „Valeurs actuelles“ geleitet hatte. Und gegen den ultrakonservativen Industriellen Vincent Bolloré. 

Der Milliardär gebietet über ein Medienimperium, zu dem neuerdings auch das „Journal du Dimanche“ gehört. Bolloré, so vermutet die Belegschaft, habe die Personalentscheidung aus politischen Eigeninteressen durchgedrückt.

Am Ende hatten die Streikenden keine Chance: Lejeune konnte wie geplant seine Arbeit aufnehmen. „Auch wenn wir das Thema der redaktionellen Unabhängigkeit in die Öffentlichkeit getragen haben, so haben wir gegen unseren Aktionär nicht gewinnen können“, räumte die Journalistengewerkschaft SDJ ein.

Seit August liegt das „JDD“ wieder an den Kiosken aus, die Website wird wieder befüllt, allerdings nur notdürftig. Nach Gewerkschaftsangaben wollen Dutzende Mitglieder der Redaktion nicht für Lejeune schreiben und in den kommenden Wochen den traditionsreichen Titel verlassen. Wie die Sache ausgeht, ist offen.

Die Tumulte beim „JDD“ haben ein Schlaglicht auf den zunehmenden Einfluss weniger Milliardäre geworfen, die als finanzielle Retter der angeschlagenen französischen Presselandschaft auftreten. Zum Beispiel Bernard Arnault. Dem Chef des Luxuskonzerns LVMH und reichsten Franzosen gehören das Wirtschaftsblatt „Les Échos“ und die Boulevardzeitung „Le Parisien“.

Reporter ohne Grenzen in Sorge

Der Tech-Milliardär Xavier Niel hat sich an der linksliberalen „Le Monde“ beteiligt, die Unternehmerfamilie Dassault kontrolliert den konservativen „Le Figaro“. Der Industrielle Martin Bouygues besitzt den größten privaten Fernsehsender TF1.

Der Telekom-Milliardär Patrick Drahi investierte in die linksgerichtete Zeitung „Libération“ und den Nachrichtenkanal BFM TV. Und der Marseiller Reeder Rodolphe Saadé, dem bereits das südfranzösische Regionalblatt „La Provence“ gehört, erwarb Ende Juli die Wirtschaftszeitung „La Tribune“.

Zwar geht die Präsenz von Superreichen in den Eigentümerstrukturen anders als beim „Journal du Dimanche“ längst nicht überall mit harten politischen Richtungskämpfen einher. Doch die Nichtregierungsorganisation Reporter ohne Grenzen sieht die Entwicklung mit großer Sorge.

Deren Vorsitzender Christophe Deloire forderte Schutzmaßnahmen für die redaktionelle Unabhängigkeit. „Das Recht der Bürger auf Information steht auf dem Spiel“, sagte er. Die Logik, dass sich Milliardäre einfach Medien kaufen und Journalismus durch „geschäftliche oder ideologische Absichten“ ersetzen können, sei „extrem gefährlich“.

Bolloré, der „Rupert Murdoch von Frankreich“

Die wohl umstrittenste Rolle im französischen Presse-Monopoly spielt Bolloré. Die Familie des Bretonen machte ihr Vermögen einst mit Häfen in Afrika. Seit etwa zehn Jahren mischt der Multimilliardär über den Vivendi-Konzern auch zunehmend im Mediengeschäft mit.

Zum Portfolio gehören der Bezahlsender Canal+ und der Nachrichtensender CNews. Der jüngste Zukauf ist die Lagardère-Gruppe, zu der die Illustrierte „Paris Match“, der Radiosender Europe 1 und das „Journal du Dimanche“ gehören.

Vincent Bolloré

Angriff auf die „vierte Gewalt“?

(Foto: Reuters)

Im vergangenen Jahr wurde Bolloré vor einem Untersuchungsausschuss des Senats befragt, dem Oberhaus im französischen Parlament. Es ging um die Machtkonzentration in der Medienlandschaft. Bolloré beteuerte, seine Investitionen in Medien seien „weder politisch noch ideologisch“ geleitet. „Das ist ein rein wirtschaftliches Interesse.“

Doch es gab schon damals erhebliche Zweifel: CNews gilt als stramm rechter Informationskanal, manche sprechen vom „französischen Fox News“. Der Sender bot dem wegen antimuslimischen Hasskommentaren verurteilten Journalisten Éric Zemmour eine Plattform und begleitete wohlwollend dessen Versuch, Marine Le Pen bei der Präsidentschaftswahl 2022 im Rechtsaußen-Lager Konkurrenz zu machen.

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Nachdem die EU-Kommission die Übernahme der Lagardère-Gruppe im Juni wettbewerbsrechtlich billigte, wurde Lejeune als neuer Chefredakteur des „JDD“ vorgestellt – was zu dem mehr als einen Monat dauernden Streik führte. Der scheidende Eigentümer Arnaud Lagardère erklärte zwar, dass „weder Vincent Bolloré noch sonst jemand von Vivendi“ in die Personalentscheidung eingebunden gewesen sei.

Stramm rechte redaktionelle Linie

Doch der neue Chefredakteur befindet sich auf der redaktionellen Linie, die auch bei CNews geschätzt wird. Unter seiner Führung erschienen bei „Valeurs actuelles“ Artikel mit Titeln wie „Der neue feministische Terror“, Zemmour kürte das Magazin zum „Mann des Jahres“. Das bisher in der rechten Mitte angesiedelte „JDD“, so fürchtet es die Journalistengewerkschaft, drohe nun zu einem weiteren Sprachrohr für Bollorés Vorstellungen zu werden.

Machtkampf bei der Sonntagszeitung

Mehr als einen Monat streikte die Redaktion des französischen „Journal du Dimanche“ gegen die Nominierung eines neuen Chefredakteurs.

(Foto: IMAGO/ABACAPRESS)

David Assouline, Berichterstatter für die Sozialisten im Untersuchungsausschuss zu Medienkonzentration, bezeichnete die Nominierung Lejeunes als „Schlag ins Gesicht“ mit Blick auf das, was Bolloré dem Gremium zuvor erzählt habe. Das Problem sei nicht nur eine reine wirtschaftliche Konzentration. „Es gibt bei ihm den Willen, ein Propagandaimperium im Dienst extremistischer Ideen zu schaffen.“

Patrick Eveno, Professor für Mediengeschichte, hat einen differenzierten Blick auf die Rolle der Superreichen in den französischen Medien. „Es gibt auch Milliardäre, die die Presse gerettet haben, das muss man berücksichtigen“, sagte Eveno dem Radiosender France Culture. Bei den meisten Zeitungen seien Redaktionsvereinbarungen mit den neuen Eigentümern ausgehandelt worden, um deren Einfluss zu begrenzen. „Aber Bolloré will das nicht.“

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