Israel und Saudis planen ökonomische Allianz

Tel Aviv Für Israels Ministerpräsidenten ist es ein Coup, für politische Beobachter eine Sensation: Benjamin Netanjahu kündigte im israelischen Fernsehen eine enge ökonomische Zusammenarbeit mit Saudi-Arabien an. Man werde einen gemeinsamen „Wirtschaftskorridor“ von der arabischen Halbinsel bis Europa gründen. Es gehe vor allem darum, im Bereich der Energie-, Transport- und Kommunikationstechnologien zu kooperieren. „Das hätte enorme wirtschaftliche Folgen für Investoren“, schwärmte Netanjahu.

Ausgerechnet Saudi-Arabien: Mehr als 70 Jahre standen sich das wichtigste Land der arabischen Welt und Israel unversöhnlich gegenüber. Nun wollen beide Staaten zusammenrücken – und zwar gleich auf zwei Ebenen:

Militärisch: Auch wenn Riad im März wieder diplomatische Beziehungen zu Teheran aufgenommen hat, bleibt der Iran für die größte Volkswirtschaft im Nahen Osten eine Bedrohung. Sowohl Saudi-Arabien als auch Israel fürchten sich vor den Aggressionen der Mullahs. Im vergangenen Jahr lotete man unter der Führung der USA eine Verteidigungskooperation mit verschiedenen Ländern der Region aus, um ein gemeinsames Frühwarnsystem zur Luftabwehr aufzubauen.

Wirtschaftlich: Die Angst vor dem Iran schweißt auch ökonomisch zusammen. Netanjahu sagte, eine solche Allianz werde nicht nur die Wirtschaft beider Staaten beflügeln. Sie werde auch den Iran von Aggressionen in der Region abhalten.

Die angekündigte Kooperation dürfte in Washington auf Wohlwollen stoßen. US-Präsident Joe Biden dringt seit Langem auf eine Annäherung der ehemals verfeindeten Staaten. Noch im Juli hatte er den nationalen Sicherheitsberater Jake Sullivan nach Riad geschickt, um das Thema Israel mit Kronprinz Mohammed bin Salman zu besprechen.

Trotz der fehlenden formellen Beziehungen haben israelische Technologie- und Cybersicherheitsunternehmen in den vergangenen Jahren mehr oder weniger heimlich Geschäfte mit dem Königreich gemacht. Die Saudis sind vor allem an Militär- und Geheimdiensttechnologien interessiert.

So verkaufte Israel an Saudi-Arabien die berüchtigte Spionagesoftware der NSO Group, mit der Telefone gehackt werden können. Ende 2020 berichteten Medien, Netanjahu sei nach Saudi-Arabien geflogen, um sich mit dem Kronprinzen zu treffen – eine Reise, die von beiden Seiten nie offiziell bestätigt wurde.

Mohammed bin Salman, Joe Biden

Der US-Präsident wünscht sich bessere Beziehungen zwischen Riad und Tel Aviv.

(Foto: VIA REUTERS)

Einige Geschäftsbeziehungen sind inzwischen aber auch offiziell verankert worden. Voriges Jahr etwa öffnete Saudi-Arabien seinen Luftraum für Fluggesellschaften, die Israel ansteuern und verlassen.

Ende Juli preschten zudem eine israelische Solarfirma und eine saudische Holding mit einem Joint Venture vor. Das Start-up SolarEdge will künftig mit der saudischen Holding Ajlan & Bros zusammenarbeiten, einem der größten privaten Konglomerate des Mittleren Ostens und Nordafrikas.

SolarEdge hat sich auf photovoltaische Energiegewinnungs-, optimierungs- und Monitoringsysteme spezialisiert. Ziel der Kooperation sei es, „die Einführung intelligenter Lösungen für erneuerbare Energien in Saudi-Arabien zu unterstützen“, heißt es in einer gemeinsamen Medienmitteilung. SolarEdge solle dem Königreich bei der Umsetzung der Vision 2030 helfen, die unter anderem eine Verringerung der Ölabhängigkeit bis zum Ende dieses Jahrzehnts vorsieht.

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Der Schulterschluss ist bemerkenswert, weil Israel und Saudi-Arabien keine diplomatischen Beziehungen unterhalten. Bis vor wenigen Jahren lehnten die meisten arabischen Staaten Beziehungen zu Israel ab, solange die Besetzung palästinensischen Landes anhalte.

Aber ein Paradigmenwechsel stellte sich mit der Unterzeichnung der Abraham-Abkommen zwischen Israel, den Vereinigten Arabischen Emiraten (VAE) und Bahrein ein. Die Araber am Golf unterschrieben den Vertrag, ohne dass Israel den Palästinensern Zugeständnisse machen musste. Später folgten Abkommen mit Marokko und dem Sudan.

Auch wenn sich Saudi-Arabien dieser Normalisierungswelle bisher nicht angeschlossen hat: Ohne die Zustimmung Riads wäre der Prozess nicht möglich gewesen. Die Bekanntmachung des saudi-israelischen Joint Ventures erfolgte, nachdem Israels Außenminister Eli Cohen den Daumen gehoben hatte. Das Land sei einem Friedensabkommen mit den Saudis „so nahe wie nie zuvor“.

Laut „New York Times“ fordert Riad als Gegenleistung jedoch einen massiven Sicherheitspakt zwischen den USA und Saudi-Arabien. Riad habe zudem die Unterstützung der USA für ein ziviles Atomprogramm und eine Sicherheitsgarantie der USA nach dem Vorbild der Nato auf dem Wunschzettel. Ein weiterer Punkt seien Fortschritte bei der Palästinenser-Frage, heißt es in Tel Aviv.

Sonnen-Kraftwerk in Israel

Saudi-Arabien erhofft sich von Israel technologische Lösungen. Dabei geht es auch um erneuerbare Energien, denn Riad will künftig kein Ölstaat mehr sein.

(Foto: picture alliance/dpa)

Netanjahu setzt sich zwar für eine Normalisierung mit den Saudis ein, müsste jedoch zunächst ein innenpolitisches Problem entschärfen. Seine radikale nationalistische Koalition spricht davon, palästinensische Gebiete zu annektieren. Selbst von geringfügigen Zugeständnissen an die Palästinenser, die für Riad Voraussetzung für eine Aufnahme diplomatischer Beziehungen sind, wollen Netanjahus Koalitionspartner nichts wissen.

Der Premierminister versprach, er werde keinen palästinensischen Staat zulassen, ohne dass Israel die Sicherheitskontrolle über ihn ausübt. Andernfalls werde man „einen iranischen Terrorstaat bekommen“, sagte er. „Die Palästinenser sollten alle Befugnisse haben, sich selbst zu regieren, aber keine Befugnisse, Israel zu bedrohen.“

Doch so sehr die Palästinenser-Frage noch einer tieferen Beziehung zu Saudi-Arabien auch im Weg stehen könnte: Jerusalem hätte durch eine solche Allianz politisch viel zu gewinnen. Der internationale Einfluss Saudi-Arabiens als Hüter der heiligen Stätten Mekka und Medina würde dem Land helfen, mehr Anerkennung in der muslimischen Welt zu bekommen, argumentieren politische Beobachter.

„Es würde die Fähigkeit Israels symbolisieren, normale Beziehungen zu den Nachbarstaaten zu unterhalten, obwohl der Palästinenserkonflikt ungelöst bleibt“, schreibt auch der ehemalige US-Geheimdienstler Paul Pillar: Der einzige Nutznießer einer solchen Symbolik wäre die rechtsgerichtete Regierung Israels.

Für das saudische Herrscherhaus hingegen sei eine Annäherung an Israel nicht ohne Risiken, argumentiert der ehemalige Botschafter der USA in Saudi-Arabien, Chas Freeman. Die Wut saudischer Bürger auf Jerusalem könne eine „politische Konvulsion, vielleicht sogar eine Revolution in Saudi-Arabien“ auslösen.

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