Grüne und FDP wollen mehr für die Wirtschaft tun

Berlin Die Einigkeit, sie hat nicht mal einen Tag gehalten. Bei der Kabinettsklausur am Mittwoch hatte Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) noch versprochen, dass die Ampel ihre Differenzen in Zukunft nicht mehr öffentlich austrägt.

Doch schon am Donnerstag wurde deutlich, dass das wohl ein frommer Wunsch bleiben dürfte. Die inzwischen fast traditionell als Streitparteien auftretenden Grünen und die FDP tauschten am Donnerstag allerhand Dissens aus. Weiterhin im Zentrum der koalitionsinternen Debatte: die Reaktion auf die Wachstumsschwäche der deutschen Wirtschaft.

Was die Ausgangslage betrifft, da herrscht durchaus Einigkeit zwischen den Koalitionären. Die Regierung hatte in Meseberg zwar mit dem Wachstumschancengesetz sieben Milliarden Euro Steuererleichterungen beschlossen und ein neues Gesetz für den Bürokratieabbau auf den Werg gebracht. Die Regierungsspitzen um Scholz machten aber klar, dass das nur der erste Baustein war.

Grüne und FDP sind nun am Donnerstag gleich mit den nächsten Ideen vorgeprescht. Doch welche konkreten Maßnahmen es als nächstes braucht, um die deutsche Wirtschaft anzuschieben, da sind gleich wieder die alten Differenzen aufgebrochen.

Dass die Meseberg-Beschlüsse nur ein Anfang sein können, sehen auch Ökonominnen und Ökonomen so. Die in Meseberg beschlossenen Erleichterungen für die Wirtschaft würden in die richtige Richtung weisen, „dürften aber in ihrer Wirkung sehr überschaubar bleiben“, erklärt Stefan Kooths, Konjunkturchef am Kiel Institut für Weltwirtschaft (IfW).

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Die neuen Vorschläge für weitere Maßnahmen halten Wissenschaftler aber für falsch fokussiert. Die Wirtschaftsweise Veronika Grimm sagt: „Leider konzentriert sich die politikstärke auf kurzfristige Maßnahmen, die aber leicht verpuffen können.“

FDP will Stromsteuer senken – Grüne nicht

Bei der FDP hat sich, wie so oft, die Fraktion nach Meseberg in die Offensive gewagt. Die Bundestagsabgeordneten wollen bei ihrer Klausur am Freitag in Dresden ein Positionspapier beschließen. Dem Handelsblatt liegt der Entwurf des Papiers in Auszügen vor.

Den hohen Energiepreisen wollen die Liberalen mit einer Senkung der Stromsteuer begegnen. Die Liberalen wollen die Steuer auf den von der EU vorgegebenen Mindestsatz senk. Das wäre rund zwei Cent weniger pro Kilowattstunde.

Die Einnahmen aus der Stromsteuer belaufen sich auf 6,8 Milliarden Euro jährlich. Bei einer Senkung auf den Mindestsatz dürfte rund die Hälfte wegfallen. Entsprechende Einsparpotenziale will die FDP im Bundeshaushalt suchen, ohne dabei konkreter zu werden. Alternativ kann sich die FDP auch eine Finanzierung aus dem Klima- und Transformationsfonds vorstellen. Der ist allerdings schon überbucht.

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Der Widerspruch von Grünen-Parteichefin Ricarda Lang ließ nicht lange auf sich warten. Das bringe den Unternehmen „gar nichts“. Die Grünen halten den Vorschlag für nicht ausreichend zielgenau.

Hilfen für den Energiepreis müssen sich aus ihrer Sicht vor allem an die energieintensive Industrie wie Chemie oder Stahl richten, die die hohen Preise für Strom und Gas besonders trifft. Die energieintensiven Unternehmen sind aber weitgehend von der Stromsteuer befreit. Eine Absenkung der Stromsteuer helfe damit der Industrie nicht, hieß es auch aus dem Umfeld von Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne).

Grünen wollen Industriestrompreis – FDP nicht

Bei den Grünen war es am Donnerstag der Bundesvorstand, der in Nürnberg ein sechsseitiges Papier mit dem Titel „Wohlstand sichern“ beschlossen hat – und dessen Vorschläge ähnlich inkompatibel mit den Ideen des Koalitionspartners sind wie das FDP-Dokument.

Anstatt auf eine Stromsteuer-Senkung wollen die Grünen der Industrie direkt helfen, mithilfe eines Industriestrompreises. Habeck hatte diesen im Mai vorgeschlagen. Er will den energieintensiven 80 Prozent ihres historischen Verbrauchs zu sechs Cent je Kilowattstunde staatlich garantieren.

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Das wiederum will die FDP nicht, wie die Fraktion in ihrem Papier nochmal deutlich macht: „Stromsteuersenkung für alle statt Industriestrompreis für wenige“. Ein Industriestrompreis sei der falsche Weg, „weil es unfair wäre, wenn Handwerk und Mittelstand den subventionierten Strompreis für die Großindustrie bezahlen würden“, heißt es im Entwurf.

Auch Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) hat sich vorläufig gegen einen vergünstigten Stromtarif für die Industrie positioniert. In Habecks Umfeld schwinden inzwischen die Hoffnungen, dass er mit seinem Konzept in dieser Form Erfolg hat. Insbesondere sein Vorschlag für die Finanzierung über den Wirtschaftsstabilisierungsfonds (WSF) an der Schuldenbremse vorbei erscheint bei einigen im Habeck-Ministerium zunehmend aussichtlos.

FDP macht Atomkraft-Diskussion wieder auf

Die größte Provokation für die Grünen dürfte die Forderung von der FDP-Fraktionsklausur sein, sich Atomkraftwerke in Deutschland doch noch offenzuhalten. Im Frühjahr waren die letzten drei deutschen Kernkraftwerke vom Netz gegangen.

Gruppenfoto um Bundeskanzler Olaf Scholz, Robert Habeck und Christian Lindner mit allen Beteiligte

Die anwesenden Politiker brachten die ersten Gesetze auf den Weg gebracht.

(Foto: IMAGO/Manngold)

Vorangegangen war ein monatelanger erbitterter Streit innerhalb der Ampel zwischen Grünen, die den Atomausstieg nicht oder nur minimal antasten wollten, und der FDP, die ihn um mehrere Jahre verschieben wollte. Die Auseinandersetzung brachte die Ampel an den Rand ihrer Existenz – und musste letztlich durch ein Machtwort von Kanzler Scholz beendet werden.

Die FDP-Fraktion fordert zwar nicht, den Atomausstieg wieder aufzuheben. Sie will aber den Rückbau der drei Atomkraftwerke stoppen. So will man sich einen späteren Wiedereinstieg offenhalten, sollte das für die Versorgungssicherheit oder zur Senkung der Strompreise nötig sein.

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Dass aber auch das bei den Grünen wahrlich nicht gut ankommt, machte Umweltministerin Steffi Lemke gleich deutlich: „Es ist die eigene Verantwortung und Entscheidung der FDP, ob sie einen so rückwärtsgewandten Antrag in den Deutschen Bundestag einbringen möchte.“

Grüne erhöhen Druck bei Investitionsgesellschaften

Der Grünen-Vorstand hat neben den Energie-Fragen neue Investitionen in den Wohnungsbau, Gebäude und Infrastruktur sowie in das Schienennetz vorgeschlagen. Die Schuldenbremse sieht die Partei dafür nicht als Hindernis, dank öffentlichen Investitionsgesellschaften. Dabei würde der Bund die Gesellschaften mit Eigenkapital ausstatten. Sie könnten dann über Kredite Kapital aufnehmen und investieren.

Parteichefin Lang hatte diesen Weg schon vor zwei Wochen ins Spiel gebracht. Die Ökopartei hält mehr finanziellen Spielraum für den Bund nötig. Eine Diskussion um eine erneute Aussetzung der Schuldenbremse betrachtet man bislang als aussichtslos, zu sehr hat sich Finanzminister Christian Lindner (FDP) dagegen positioniert.

Jetzt hoffen die Grünen auf den Ausweg namens Investitionsgesellschaften. Die tauchen auch im Koalitionsvertrag von SPD, Grünen und FDP auf. Die Liberalen wollen davon aktuell aber trotzdem nichts wissen. Fraktionsvize Christoph Meyer nennt den Vorstoß der Grünen „befremdlich“.

Ökonominnen: „Mit eigentlichen Herausforderungen nicht auseinandergesetzt“

So weit, so viel Uneinigkeit. Was Ökonomen allerdings mehr zu Bedenken gibt, ist, dass trotz dieses Gros an Vorschlägen aus der Ampel die eigentlichen Probleme nicht angegangen würden, die Deutschland langfristig Wohlstand kosten könne.

Die Wirtschaftsweise Veronika Grimm sagt: „Auffällig ist, dass man sich mit den eigentlichen Herausforderungen nicht wirklich auseinandersetzt.“ IfW-Konjunkturchef Kooths führt aus: „Der demografische Wandel lastet mehr und mehr auf den Wachstumskräften in Deutschland.“

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Die deutsche Wirtschaft würde laut IfW-Prognose 2027 um rund einen halben Prozentpunkt schrumpfen, weil immer weniger Erwerbstätige immer mehr Rentner versorgen müssen, wenn man technologischen Fortschritt und Kapitaleinsatz als konstant annimmt. Tendenz steigend.

Das müsste die Ampel nach Ansicht der Expertinnen und Experten angehen. Einerseits durch Bildung. „Der wichtigste Standortfaktor sind gut ausgebildete Menschen“, sagt Kooths. Deshalb brauche es deutlich größere Anstrengungen für Verbesserungen im Bildungssystem, insbesondere in den frühen Lebensjahren.

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Gleichzeitig brauche es eine Rentenreform: „Immer höhere Beiträge für immer weniger Erwerbstätige – diese Formel geht auf Dauer nicht auf.“ Grimm schlägt zudem eine Stärkung der Erwerbsbeteiligung von Frauen durch Steuerreformen und mehr Zuwanderung für den unter Druck stehenden deutschen Arbeitsmarkt vor.

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