Paris Bei Bratwurst und Bier warnte der französische Innenminister Gérald Darmanin vor einem möglichen Sieg der Rechtspopulistin Marine Le Pen bei den nächsten Präsidentschaftswahlen: „Wir dürfen Frau Le Pen nicht unaufhaltsam zur Macht marschieren lassen“, sagte Darmanin bei einer Veranstaltung im nordfranzösischen Tourcoing, mit der er sich am Wochenende aus der politischen Sommerpause zurückmeldete. In Frankreich wurde der Auftritt als Bewerbung für die Nachfolge von Präsident Emmanuel Macron gewertet, der 2027 nach zwei Amtszeiten nicht mehr antreten darf.
Darmanin selbst spricht nicht offiziell über derartige Pläne, seine Ambitionen kann er aber nur schwer verbergen. Der 40-Jährige gehört dem konservativen Flügel von Macrons Mitte-Partei Renaissance (früher: La République En Marche) an. Der Innenminister steht für eine harte Linie bei Recht und Ordnung – und stellte dies während der Unruhen unter Beweis, die das Land nach dem tödlichen Polizeischuss auf den 17-jährigen Nahel Ende Juni fünf Nächte lang erschütterten.
In einer Reihe von Interviews über den Sommer hatte Darmanin seine Parteifreunde ermahnt, sich mehr um die Sorgen der Arbeiterschicht zu kümmern. Dazu gehöre auch der Wunsch nach mehr Sicherheit und einer stärkeren Kontrolle der Einwanderung. Sonst sei ein Sieg von Le Pens Rassemblement National (Nationaler Zusammenschluss) bei der nächsten Wahl in vier Jahren „ziemlich wahrscheinlich“.
Auch im an der Grenze zu Belgien gelegenen Tourcoing, das durch die Textilwirtschaft einst zu Wohlstand gelangte und heute wie viele Städte in Nordfrankreich von der Deindustrialisierung gezeichnet ist, wiederholte Darmanin seine Botschaft. Gerade in den unteren sozialen Schichten habe sich ein Teil der Wähler von der Politik verabschiedet oder gebe seine Stimme den Populisten, sagte er. „Ich will nicht, dass sich die Arbeiterschaft einem hasserfüllten Zusammenschluss zuwendet.“
Darmanin hob die „gute Bilanz“ von Macrons Regierung in Sozial- und Wirtschaftsfragen hervor, die gerade Haushalten mit geringeren Einkommen geholfen habe. Bei den Menschen komme dieser Eindruck aber nicht an, die Regierung müsse ihre Politik besser verkaufen. Die Unternehmen rief der Minister auf, ihren Belegschaften höhere Löhne zu zahlen.
Politischer Ziehsohn von Ex-Präsident Sarkozy
Darmanin hat algerische Wurzeln und wuchs in Nordfrankreich auf. Er kommt aus einfachen Verhältnissen, seine Mutter arbeitete als Haushaltshilfe. Als Schüler begann er sein politisches Engagement im bürgerlich-konservativen Lager, sein Mentor dort wurde Nicolas Sarkozy.
Während dessen Präsidentschaft bekleidete Darmanin verschiedene Beraterposten in der Regierung und stand Sarkozy auch als Sprecher zur Seite. Daneben startete er seine eigene politische Karriere als Abgeordneter in der Nationalversammlung und als Bürgermeister seiner Heimatstadt Tourcoing.
Als Macron 2017 zum Präsidenten gewählt wurde, schloss er sich dem neuen Mitte-Bündnis an. Zunächst gehörte er der Regierung als Juniorminister für Haushaltsfragen im Finanzministerium an, seit 2020 hat er das einflussreiche Amt des Innenministers inne.
Sarkozy hat seinem Schützling den Parteiwechsel offenbar nicht übel genommen. Der frühere Präsident ließ in einem vor wenigen Wochen erschienenen Buch wissen, dass er sich Darmanin als Nachfolger von Macron wünsche. Der Minister habe „offensichtliche Qualitäten: eine klare Ausdrucksweise, ein Verständnis der Wünsche der Arbeiterschicht und eine Energie, ohne die jedes Talent nutzlos ist“.
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Die Parallelen zwischen Sarkozy und Darmanin sind kaum zu übersehen: Beide machten sich als Innenminister mit einer Law-and-Order-Politik einen Namen. Und beide machten im Ministeramt keinen Hehl daraus, dem amtierenden Staatschef im Élysée nachfolgen zu wollen – im Fall von Sarkozy war das damals Jacques Chirac.
Darmanins Machtstreben irritiert Parteifreunde
Mit seinem Machstreben irritiert Darmanin allerdings nicht wenige Parteifreunde. „Die Themen sollten vor den Egos stehen“, sagte etwa Renaissance-Chef Stéphane Séjourné mit Blick auf die Ambitionen des Innenministers.
Die Sorge in Macrons Umfeld ist, dass Debatten um die Nachfolge die Agenda der Regierung belasten könnten. Der Radiosender RTL zitierte einen Vertrauten des Präsidenten mit den Worten, dass Kandidaturen für 2027 zum gegenwärtigen Zeitpunkt einer „etwas voreiligen Beerdigung von Emmanuel Macron“ gleichkämen.
Auch Premierministerin Élisabeth Borne mahnte: „2027 ist noch weit entfernt.“ Dennoch nimmt das Rennen um die Kandidatur der Mitte-Partei bei den nächsten Wahlen hinter den Kulissen zunehmend an Fahrt auf. Als mögliche Macron-Nachfolger gelten dabei auch der frühere Premierminister und aktuelle Bürgermeister von Le Havre, Édouard Philippe, sowie Wirtschafts- und Finanzminister Bruno Le Maire.
Borne fuhr am Wochenende kurzfristig nach Tourcoing, um ebenfalls auf der Veranstaltung des ehrgeizigen Ministers zu sprechen. Die plötzliche Reise der Regierungschefin wurde in französischen Medien als ein mit Macron abgesprochenes Manöver gewertet, um Darmanin in die Schranken zu weisen. Dem Innenminister wird nachgesagt, es als Zwischenschritt auf dem Weg in den Élysée-Palast auf Bornes Posten abgesehen zu haben.
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In Tourcoing beteuerte Darmanin seine Loyalität zu Macron. Der Präsident „weiß, dass er immer und unter allen Umständen auf mich zählen kann“, sagte er. „Ich lerne jeden Tag von ihm.“
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