Festgenommener mutmaßlicher russischer Spion pflegte Kontakte zu Jan Marsalek

Jan Marsalek

Das Bild zeigt den ehemaligen Wirecard-Vorstand (r.) bei einem früheren Treffen mit Vertrauten in den Arabischen Emiraten.

(Foto: privat)

Düsseldorf Orlin Roussev hatte gute Nachrichten. Er kenne einen chinesischen Anbieter, der „mehr als fähig“ sei, „qualitativ hochwertige und maßgeschneiderte Lösungen“ für Smartphones und andere elektronische Geräte zu liefern, schrieb der Bulgare in einer Mail vom 11. Mai 2015. Empfänger: Wirecards damaliger Asienchef Jan Marsalek.

Er selbst habe dort schon mehrere „extrem robuste Telefone“ mit „ziemlich exotischen Funktionen“ bestellt und sei beeindruckt, schrieb Roussev. Der Anbieter zeige ein „seltenes Maß an Kreativität und Denkvermögen“. Marsalek solle ihn wissen lassen, welche E-Mail er benutzen soll, „um dich vorzustellen (und wie ich die offizielle Story pitchen soll).“

Der Mailaustausch, der dem Handelsblatt vorliegt, wirft ein neues Licht auf die russischen Verbindungen des flüchtigen Wirecard-Managers. Roussev ist einer von drei bulgarischen Staatsbürgern, die seit Februar in Großbritannien in Untersuchungshaft sitzen. Es wird vermutet, dass sie für Russlands Geheimdienste spioniert haben.

Roussev tauschte neun E-Mails mit Marsaleks Wirecard-Mailadresse aus. Aus ihnen geht hervor, dass der Bulgare ihm ein spezielles Samsung-Smartphone und Zugang zu dem sogenannten Telekommunikationsprotokoll SS7 gab. Über die Mails hatte zuerst das „Londoner Dossier Center“ berichtet, hinter dem Kremlkritiker Michail Chodorkowskij steht.

Roussev schickte Marsalek eine Schritt-für-Schritt-Anleitung und bat den Manager: „Bitte führe sie auf dem Telefon aus, das ich dir gegeben habe“. Falls Marsalek das Telefon einmal verliere, so Roussev in der Mail vom 14. Juni 2015, könne es so getrackt werden. „Selbst wenn jemand die SIM-Karte wechselt, kann es sich stillschweigend bei dir melden“.

Jan Marsalek

Die Polizei fahndet seit 2020 nach dem Ex-Manager.

(Foto: dpa)

Der Bulgare versprach außerdem: „Ich werde dir die SS7-Protokolle schicken, sobald ich sie habe“. Das SS7-Protokoll erlaubt es Mobilfunkanbietern, untereinander zu kommunizieren. Deutsche Sicherheitsexperten wiesen jedoch 2014 nach, dass Nutzer mit Zugang zu dem Protokoll Gespräche Dritter abhören können. Auch Ortungen seien demnach möglich.

Marsalek markierte die Mail als „wichtig“. Hilfe bei der Einrichtung seiner SIM-Karte bekam er offenbar von einem in Tschechien lebenden Russen namens Anton und dessen Kontakten in der Mobilfunkbranche. So versprach Roussev Marsalek am 16. Juni 2015: „Anton ist morgen wieder in Prag und wird die Konfiguration persönlich vornehmen.“

Wirecard kollabierte im Juni 2020, Marsalek ist kurz darauf abgetaucht. Seitdem werden immer mehr Details zu seinen Verbindungen nach Russland bekannt. So berichtete das Investigativ-Magazin Bellingcat, dass der Österreicher seit 2010 mehr als 60 mal in das Land reiste und dafür etwa zehn verschiedene Pässe genutzt haben soll.

Marsalek prahlte mit Geheimdienstkontakten

Dem Handelsblatt liegen Fotos vor, auf denen Marsalek in der Nähe von Moskau mit Urkunden einer Firma posiert, die Amüsierflüge in russischen Kampfjets anbietet. Vertrauten zufolge prahlte der Österreicher mit einer Reise ins syrische Palmyra im Jahr 2017– dorthin konnte er zu jener Zeit nur mit russischen Geheimdienstlern gelangen.

In Libyen soll Marsalek angeblich geholfen haben, Gelder für Auslandsoperationen russischer Geheimdienste zu transferieren. In Londoner Finanzkreisen zeigte er angeblich 2018 Dokumente mit der geheimen Formel des russischen Nervengiftes Nowitschok herum, die er von einem österreichischen Agenten bekommen haben soll.

Marsalek hatte indes offensichtlich nicht nur zum russischen Geheimdienst enge Verbindungen. Deutsche Ermittler halten ihn für einen V-Mann des österreichischen Nachrichtendienstes BVT. Dem Generalbundesanwalt „liegen Anhaltspunkte dafür vor“, hieß es Ende 2020 in einer Antwort des Bundesjustizministeriums auf eine schriftliche Frage des damaligen Bundestagsabgeordneten Fabio De Masi.

Als gesichert gilt zudem, dass Marsalek im Juni 2020 mit Hilfe eines ehemaligen BVT-Agenten in einem gecharterten Privatflieger in die weißrussische Hauptstadt Minsk floh. Von dort soll er anschließend vom russischen Auslandsgeheimdienst SWR nach Moskau gebracht worden sein. Dort lebte Marsalek laut Handelsblatt-Recherchen mindestens eine Zeit lang im Nobelvorort Razdory.

Im vergangenen Jahr berichteten verschiedene Medien, dass Marsalek inzwischen einen russischen Pass haben soll und unter dem Namen „German Bazhenov“ weiterhin in Moskau einen mondänen Lebensstil führe. Zudem kursieren Fotos, die Marsalek vor einem noblen Fischrestaurant zeigen sollen.

Auch Roussev und die anderen in Großbritannien festgenommenen Bulgaren sollen über mehrere Pässe verfügt haben. Die Ermittler werfen dem Trio vor, die Ausweisdokumente aus unter anderem Italien, Frankreich und Großbritannien in „unlauterer Absicht“ besessen zu haben. Sie lebten und arbeiteten schon seit Jahren im Königreich.

Roussev ist ausweislich seines Linkedin-Profils Eigentümer der Firma NewGenTech LTD. Das Unternehmen beschäftigt sich demnach unter anderem mit „Signal Intelligence“, also der Auswertung von elektronischen Signalen zur Gewinnung von Geheimdienstinformationen.

Die nun bekannt gewordenen Verbindungen zu Marsalek geben einer Spekulation neue Nahrung, die das den Geheimdiensten nahestehende Blatt „Wersija“ aus Moskau bereits 2020 äußerte. Mit Blick auf den Wirecard-Skandal schrieb das Blatt: „Wir sehen nicht das Ende, sondern den Anfang einer großen Spionage-Geschichte…“

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