Ehemaliger „Bild“-Chefredakteur gewinnt Investoren für Start-up

Johannes Boie

In seiner ersten Finanzierungsrunde hat das Start-up des ehemaligen „Bild”-Chefs nun über eine Million Euro von privaten Investoren eingesammelt.

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Düsseldorf Statistisch gesehen verbringen Topmanager fast drei Viertel ihrer Arbeitszeit in Besprechungen, zeigt eine Harvard-Studie. In vielen Vorstandsetagen bremsen Papierunterlagen und umständliche Routinen die Abläufe – dabei kommen dort die teuersten Beschäftigten einer Firma zusammen.

Als Vorstandsreferent für Springer-Chef Mathias Döpfner hat Johannes Boie selbst erlebt, wie zeitraubend Meetings der Führungsgremien sein können. In dieser Zeit – bevor er in die Chefredaktionen von „Welt“ und „Bild“ aufstieg – hat er darum eine Software entwickelt, die Vorstandssitzungen digital planbar macht und die Treffen so effizienter gestaltet.

Alle, die in einem Meeting präsentieren, können damit etwa ihre Unterlagen an einem zentralen Ort ablegen, die Agenda wird bei Änderungen automatisch aktualisiert und mit den Kalendern der Teilnehmer abgeglichen. Das Programm verspricht auch, das Schreiben des Protokolls zu erleichtern. „Durch den Einsatz des Tools habe ich damals 40 bis 50 Prozent bei der Vor- und Nachbereitungszeit der Vorstandssitzungen gespart“, sagte Boie dem Handelsblatt.

Im Januar 2019 gründete er das Start-up Gertrud Digital – benannt nach seiner Großmutter und jener von Sven Rebbert. Der frühere Springer-Mitarbeiter Rebbert, der sich bei dem Medienhaus um Organisationsentwicklung gekümmert hatte, ist mittlerweile hauptberuflicher Geschäftsführer des Start-ups. Gründer Boie hat nur eine beratende Gesellschafterrolle inne, weil er nach seiner Berufung zum Chefredakteur der „Welt am Sonntag“ Anfang 2019 und später zum Chef der „Bild“-Zeitung für sein eigenes Start-up nicht operativ arbeiten konnte.

In seiner ersten Finanzierungsrunde hat das Start-up des ehemaligen „Bild”-Chefs nun über eine Million Euro von privaten Investoren eingesammelt. Man hätte sogar noch mehr Geld zeichnen können, so der 39-jährige Boie. „In dem angespannten Marktumfeld freut uns das – und es zeigt, dass das Produkt auch Investoren überzeugt.“ Mit dem Geld will die Firma das Wachstum beschleunigen und Kunden systematisierter ansprechen. Auch die Software soll weiterentwickelt werden.

Über eine Million Euro von privaten Investoren

Zu den Investoren zählt auch Angel-Investor Peter Thormann. Der ehemalige Managing Director der Beratung Deloitte sagt: „Die Digitalisierung und Automatisierung von Prozessen ist ein zentrales Thema für alle CEOs, um ihre Organisation möglichst effizient aufzustellen.“

Bislang war Gertrud Digital ohne externes Risikokapital gewachsen. Geld verdient das Start-up, indem Kunden einen monatlichen Betrag für die Nutzung des Programms zahlen. Dieser hängt von der Zahl der genutzten Lizenzen ab.

Zu den Kunden gehören nach Angaben des Jungunternehmens rund zehn Prozent der Dax-40-Firmen, darunter Energieriese Eon und Persil-Produzent Henkel, aber auch große Familienunternehmen wie Bosch oder der Schraubenhersteller Würth.

Die Firmen nutzen das Programm zur Organisation von Vorstands- und Aufsichtsratssitzungen. Die Anwendung ist in Microsofts Video- und Chatdienst Teams integriert. Die Daten verbleiben beim Kunden, die Sicherheit werde regelmäßig durch Drittanbieter geprüft, verspricht das Start-up. Technisch weiterentwickelt wird die Software durch die IT-Firma Phat Consulting, die Erfahrung im Microsoft-Umfeld hat. Sie ist ein weiterer Gesellschafter von Gertrud Digital.

Überraschende Abberufung als „Bild“-Chefredakteur

Boie war im Oktober 2021 zum Chefredakteur der „Bild“-Zeitung aufgestiegen. Er folgte auf Julian Reichelt, der das Medienhaus verlassen musste. Reichelt waren Machtmissbrauch, Mobbing und Fehlverhalten in Verbindung mit Beziehungen zu Mitarbeiterinnen des Hauses vorgeworfen worden.

Anfang März dieses Jahres wurden Boie und die komplette Chefredaktion der „Bild“-Zeitung überraschend von ihren Aufgaben entbunden. Gründe dafür nannte Springer nicht.

Dem digitalaffinen Boie sei es in der Anfangszeit gelungen, mit der alten Kultur zu brechen, heißt es in Unternehmenskreisen. Er habe offener kommuniziert, doch am Ende soll er an den alten Netzwerken gescheitert sein. Wie es mit Boie bei Springer weitergeht, ist unklar.

Gertrud Digital beschäftigt über ein Dutzend Mitarbeiter. Boie holte im Spätherbst 2022 Boris Häfele als weiteren Geschäftsführer und Gesellschafter an Bord. Häfele war einer der Gründer des Online-Kaffeehändlers Roastmarket. Diesen verkaufte er 2021 an den Kaffeehersteller Melitta und den Verlag Burda. Häfele soll mit seiner Vertriebserfahrung bei der Skalierung von Gertrud Digital helfen.

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