Deutschland gerät in doppelte Wachstumsschwäche

Lebensmittelhandel

Besonders der Handel mit Lebensmitteln hat zuletzt einen starken Rückgang verzeichnet.

(Foto: dpa)

Berlin Die Wachstumsaussichten für die deutsche Wirtschaft verdüstern sich. „Die konjunkturellen Probleme in Deutschland spitzen sich in doppelter Weise zu“, sagte die Wirtschaftsweise Veronika Grimm dem Handelsblatt. Bei den Unternehmen läuft es immer schlechter, und das erhoffte Wachstum durch den privaten Konsum droht auszubleiben.

Im vergangenen Winter galten Industrie und Handel noch als Stütze. Inzwischen macht sich die Zinswende immer stärker bemerkbar, zudem gerät die Exportwirtschaft in die Krise.

Das Geschäftsklima des Mittelstands ist im Juli um etwa ein Fünftel abgerutscht, wie die staatliche KfW-Bank am Montag mitteilte. KfW-Chefvolkswirtin Fritzi Köhler-Geib sieht Deutschland im „konjunkturellen Niemandsland zwischen schwacher Rezession und kraftloser Erholung“. Die Schwäche zeigt sich inzwischen in fast allen Branchen, ob Auto, Maschinenbau oder Großhandel.

Gleichzeitig zeichnet sich ab, dass der inländische Konsum die Konjunktur weniger stützen wird als erhofft. Im Juni fielen im Einzelhandel die realen Einnahmen überraschend um 0,8 Prozent gegenüber dem Vormonat, wie das Statistische Bundesamt am Montag bekannt gab.

Ökonominnen und Ökonomen hatten mit einem Plus gerechnet. Der Grund: Deutsche Verbraucherinnen und Verbraucher konsumieren wegen der Inflation vorsichtiger.

Schwacher Impuls durch den privaten Konsum

Während die durchschnittliche Inflationsrate im Euro-Raum im Juli auf 5,3 Prozent zurückging, zog die Rate für Deutschland an. Sie ist nach EU-Berechnungen auf 6,5 Prozent gestiegen.

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Zwar hat sich der private Konsum in Deutschland im zweiten Quartal stabilisiert. Eine substanzielle Erholung ist „allerdings ausgeblieben, sodass vom privaten Konsum insgesamt nur ein schwach positiver Impuls gekommen sein dürfte“, sagte Geraldine Dany-Knedlik, Co-Konjunkturchefin am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) Berlin.

Sie rechnet für die nächsten Monate mit etwas mehr Konsum, weil die Inflation langsam nachlassen dürfte und die Löhne steigen. Insgesamt wird das laut DIW-Prognose aber nicht reichen, damit die deutsche Wirtschaft 2023 wächst. „Basierend auf diesen Zahlen gehen wir für das laufende Jahr aktuell von einer stagnierenden Wirtschaftsleistung aus“, sagte Dany-Knedlik.

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Der frühere Wirtschaftsweisen-Chef Lars Feld sieht auch die Zinserhöhungen der Europäischen Zentralbank (EZB) als Grund für die Konsumschwäche. „Die Zinserhöhungen der EZB dämpfen die Konjunktur, sind aber richtig zur Inflationsbekämpfung“, sagte Feld dem Handelsblatt.

Privater Verbrauch ist das „Sorgenkind“

Die durch den privaten Konsum ausgelösten Probleme im Einzelhandel hatten sich in den vergangenen Monaten bereits abgezeichnet. In der ersten Jahreshälfte setzten die Einzelhändler zwar 3,6 Prozent mehr um als im Vorjahreszeitraum, real gab es allerdings einen kräftigen Rückgang von 4,5 Prozent, erklärte das Statistische Bundesamt.

Spürbare Lohnerhöhungen, steuerfreie Inflationsausgleichsprämien und die Rentenerhöhungen könnten in der zweiten Jahreshälfte die Kaufkraftverluste zumindest eindämmen. „Die schlechte Konsumlaune spricht jedoch gegen einen Turnaround“, sagte der Chefvolkswirt der Hauck Aufhäuser Lampe Privatbank, Alexander Krüger. „Der private Verbrauch behält den Status Sorgenkind.“

Der Handelsverband Deutschland (HDE) rechnet in diesem Jahr mit einem Umsatzplus von drei Prozent. Inflationsbereinigt dürfte er allerdings um vier Prozent sinken. „Die Rahmenbedingungen bleiben insgesamt schwierig“, sagte HDE-Präsident Alexander von Preen kürzlich. „Insbesondere die nach wie vor hohe Inflation sorgt dafür, dass die Branche nicht richtig ins Laufen kommt.“

Das von den GfK-Forschern ermittelte Konsumklima-Barometer für August stieg zwar leicht, verharrte aber mit minus 24,4 Zählern tief im negativen Bereich. „Das Niveau wird in den kommenden Monaten niedrig bleiben“, sagt GfK-Experte Rolf Bürkl. „Der private Konsum wird demnach keinen positiven Beitrag zur gesamtwirtschaftlichen Entwicklung leisten können.“

Besonders stark litt im ersten Halbjahr der Facheinzelhandel mit Lebensmitteln unter der Kaufzurückhaltung der Kunden: Hier gab es einen realen Umsatzeinbruch von 9,3 Prozent im Vergleich zum Vorjahreszeitraum. Auch der Internet- und Versandhandel verzeichnete ein deutliches Minus, und zwar von 7,3 Prozent. Die Geschäfte mit Textilien, Bekleidung, Schuhen und Lederwaren wuchsen hingegen um 7,3 Prozent.

Mit Agenturmaterial

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